Tankstelle Hart:Abschied von der Benzinmeile

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Die einstige Tankstelle Hart an der Lachener Straße in Dießen soll im Sommer abgerissen werden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Elfriede Hart hat 60 Jahre lang in ihrer Tankstelle in Dießen gearbeitet und gelebt. Im Sommer sollen die Gebäude abgerissen werden. Nach langer Suche fand die Familie für die 86-Jährige eine Wohnung in Riederau.

Von Armin Greune, Dießen

Die Tage der ehemaligen Tankstelle Hart in Dießen sind gezählt. Nach 60 Jahren ist der Pachtvertrag mit der Grundeigentümerin seit Jahresanfang ausgelaufen. Im Sommer soll das ortsbildprägende Gebäude an der Lachener Straße abgerissen werden. Die Familie der bisherigen Pächter ist noch immer damit beschäftigt, Wohnhaus und Garage auszuräumen. Für alle ist es eine große Erleichterung, dass für die 86-jährige Elfriede Hart nach langer Suche eine neue Wohnung in Riederau gefunden werden konnte: Sie hatte seit ihrem 25. Lebensjahr in der Tankstelle gelebt und gearbeitet.

Selbst am Bau waren sie und ihr vor zehn Jahren gestorbener Mann Paul maßgeblich beteiligt: Die Harts überzeugten 1963 das Mineralölunternehmen, nicht bloß eine Tankstelle, sondern auch eine unterkellerte Werkstatt und eine Wohnung zu errichten. Einen Teil der Kosten mussten die Pächter übernehmen. 30 Jahre lang betrieb das Paar an der Staatsstraße am Westufer des Ammersees eine Servicestation und Renault-Vertretung, bis sie alles an den Sohn Werner Hart übergaben - der dann an der Fritz-Winter-Straße in Dießen ein neues Autohaus bauen ließ.

Die Eltern blieben in der alten Tankstelle, auch nachdem der Betrieb 1998 aufgegeben wurde, weil Tank und Leitungen nicht mehr den sicherheitstechnischen Anforderungen entsprach. Vor etwa zehn Jahren wurden die Tanks gereinigt und mit Sand befüllt, was jetzt den Rückbau vereinfacht. Seit Monaten ist Werner Hart damit beschäftigt, den Abriss vorzubereiten, das Ersatzteillager zu räumen und das Haus zu entrümpeln - beziehungsweise die zahllosen Erinnerungsstücke seiner Eltern zu bergen. "Ich hab' auch gedacht, dass es viel ist. Aber dass es so viel ist, hab' ich nicht mal geträumt", sagt der 60-Jährige.

Eine Urkunde für 60-jährige Mitgliedschaft im Motorsportclub Dießen für Paul Hart wurde am 8. Februar 2014 verliehen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Unter anderem steckt in den zum Abriss vorgesehenen Gebäuden neben viel Privatem auch ein ganzer Haufen Ortsgeschichte. Vater Paul Hart war ein erfolgreicher Motocrossfahrer, der 15 Jahre lang um die Deutsche Meisterschaft mitfuhr. 41 Jahre lang wirkte er im Vorstand des örtlichen Motorsportclubs mit und gewann die Süddeutsche Rallyemeisterschaft. Das weithin als "Boggl" bekannte Dießener Original hatte aber nicht nur die Renn-, sondern auch die Sammelleidenschaft im Griff: In einem Schuppen im Hinterhof bewahrte er etwa 40 Oldtimer, unzählige Ersatzteile und Memorabilien auf. Den Nachlass zu ordnen sei "für die ganze Familie eine große Belastung", sagt Werner Hart. Inzwischen sei ein Großteil ausgeräumt: Mehrmals fanden spontane Flohmärkte vor der Tankstelle statt, für das markante Schild mit schwarzem "T" fand sich ein Liebhaber aus der Nachbarschaft.

Alles muss raus: Im Rahmen privater Flohmärkte haben einige Teile bereits neue Besitzer gefunden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Eine Haushaltsauflösung bedeutet immer viel Arbeit. Bis zum Sommer soll die einstige Tankstelle in Dießen komplett geräumt sein. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Für Elfriede Hart allein wäre die Haushaltsauflösung nicht zu bewältigen gewesen: "Da hätt' ich durchdreht", sagt die drahtige Frau, die im März ihren 86. Geburtstag feierte. Der Auszug aus ihrem vertrauten Heim habe sie schwer getroffen: "Ich hab's noch nicht überstanden." Die Wohnungssuche für sie habe sehr lange gedauert, weil fast alle Vermieter wegen des hohen Alters seiner Mutter abwinkten, sagt Werner Hart. Doch inzwischen ist sie in einem Eineinhalbzimmer-Appartement in Riederau untergekommen. Dort genießt sie ihren "wunderschönen Balkon mit Ausblick auf blühende Wiesen", erzählt Elfriede Hart.

Doch ihr neues Domizil sei arg ruhig. "Der Verkehr und der Trubel gehen mir ab", sagt die Witwe. Trotz aller wehmütiger Erinnerungen kann sie inzwischen ihren vormaligen Lebensmittelpunkt an Dießens Benzinmeile wieder besuchen. Demnächst will sie dort den Rasen auf der Fläche mähen, die weiterhin den Harts gehört.

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