Handwerk am Ammersee:Kunststücke mit Klinge

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Schmied Alfons Bolley fertigt im Gewerkhaus Dießen kostbare Messer und vermittelt sein Wissen in Kursen.

Von Armin Greune, Dießen

Das Gemäuer, in dem Alfons Bolley nun seit zehn Jahren seine Werkstatt hat, passt perfekt zum archaischen Gewerbe. Unter dem Steinboden seiner Schmiede befindet sich ein mehr als 300 Jahre alter Bierkeller, das Gebäude darüber diente lange als Krankenhaus. 2009 wurde daraus das "Gewerkhaus" Dießen: ein Gemeinschaftsprojekt von Handwerkern im engeren Sinne des Worts, die meist alte Traditionen wiederbeleben. Dort formt Bolley mit Feuer, Luft, Kohle, handverlesenen Hölzern und bis zu mehreren Hundert Schichten von Stahl Messer - Unikate, in denen zig Stunden Handarbeit stecken.

Seine Werkstatt hat Bolley weitgehend selbst eingerichtet. (Foto: Nila Thiel)

Er arbeitet in zwei kleinen Räumen der ehemaligen Klinikküche, die er selbst hergerichtet hat. Dabei musste er eine zweite Decke einziehen, denn es lärmt gewaltig, wenn er auf dem Amboss schmiedet oder Klingen schleift. Auch viele Details am Arbeitsplatz wie den Abzug über dem Schleifband hat er selbst installiert. Der stammt aus einer Küche, der Umbau war für ihn eine leichte Übung: Der 62-Jährige, der mit seinen lebhaften Augen, der flammenverzierten Mütze und den Tattoos gut zehn Jahre jünger wirkt, hat seine Laufbahn mit einer Lehre in der Elektrobranche begonnen. Dazu gehörte damals auch noch stundenlanges Feilen in der Werkstatt - was er wie alle anderen Azubis hasste. "Aber jetzt bin ich froh drum, weil ich so gelernt habe, präzise händisch zu arbeiten," sagt Bolley.

In einem Damast-Messer stecken bis zu 1500 Lagen Stahl und hundert Arbeitsstunden. (Foto: Nila Thiel)

Schon lange vor der Ausbildung war freilich sein Interesse an Messern erwacht. Er wuchs am Wald in Hohenpeißenberg auf: "Da hat ein Messer zum Lagerbauen dazugehört." Bis heute sieht Bolley in seinen Produkten keine Waffen, sondern Werkzeuge oder wenigstens Zierrat: Er fertigt Küchen-, Jagd-, Schnitz-, Taschen-, Trachten- und Schmuckmesser. Die meisten Besucher aber kommen, um ihre Schneidwerkzeuge schärfen zu lassen, auch ein Metzger gehört zur Stammkundschaft.

Die Werkstatt in Dießen hat Alfons Bolley seit zehn Jahren. (Foto: Nila Thiel)

Auf die Idee, selbst Messer zu schmieden, kam Bolley in den Achtzigerjahren auf einer Australienreise. Bei einem Zwangsaufenthalt an einem öden Bahnhof im hintersten Outback lockte ihn lautes Hämmern in die nahe Werkstatt eines Farmers. Der schmiedete gerade mit simpelsten Mitteln seine Messer, Pflugscharen und Schaufeln selbst. Nach diesem Schlüsselerlebnis fertigte Bolley vor gut 30 Jahren sein erstes eigenes Messer an. Doch das blieb noch lange für ihn ein reines Hobby, als vierfacher Familienvater musste er weiter dem Brotberuf als Elektriker nachgehen. Ab und zu schweißte er Klingen in der Schmiede eines Bekannten zusammen, die er dann zuhause mit einem Heft versah und weiterbearbeitete. Als ihm Michael Ruoff 2009 anbot, ins Gewerkhaus zu ziehen, griff Bolley zu: Zwei Jahre lang hatte er schon nach einer Werkstatt mit eigener Esse gesucht.

Auch die Hölzer für die Griffe sucht der Kunsthandwerker am liebsten selbst. (Foto: Nila Thiel)

Dort fällt die kleine Holzsammlung ins Auge: Buchs, Flieder und Holler sind sein Lieblingsmaterial für Messergriffe: hart und schwer sollte es sein. Tropenimporte verwendet er kaum, "weil ich mir mein Holz lieber selber suche". Neun Zentimeter Durchmesser reichen, daher finden auch Strauchhölzer Verwendung. Selbst im Urlaub hält er danach Ausschau: "Da wird bei mir der Entdeckermodus angefeuert." So bekam er von Bauern in der italienischen Region Marken Olivenholz, das sonst verheizt worden wäre. Und ein Kunde brachte von den Azoren ein Stück Holz der Baumheide mit, die vom Wind gebeugt sehr langsam wächst, besonders hart und attraktiv gemasert ist - der Wurzelansatz ist als Bruyère für Pfeifen sehr begehrt. Auch eine Eichen-Kantel, die einst zum Sechzigerstadion in München gehörte, findet sich im Regal. Andere Hölzer wertet Bolley selbst auf: Gestockte Buche etwa, deren von Pilzen angegriffenes Kernholz dekorative Strukturen aufweist, tränkt er in Schellack oder flüssigem Acryl. Dabei probiert er verschiedene Farben aus - Experimentieren gehört für ihn zur Freude an der Arbeit.

"Früher war ich ja eher der Holzfan", sagt Bolley. Doch dann begann er an Motorrädern zu schrauben - noch heute hat er zwei alte Harleys - und entdeckte so die Begeisterung für "das sogenannte kalte Material". Dabei sei Stahl genauso lebendig wie Holz: "Er arbeitet und verformt sich bei höheren Temperaturen." An der mit Kohle befeuerten und einem Gebläsemotor bestückten Esse - auch eine Eigenkonstruktion - schweißt er Lagen von Stahl zusammen. Für eine Damast-Klinge können das an die tausend Schichten sein, wobei er je fünf oder sechs Blättchen stapelt und im Verbund zusammenschweißt. Um das typische irisierende Muster zu erzeugen, wird die Klinge nicht nur geschliffen, sondern auch angeätzt. Das Metall stammt aus vielen Quellen: Meist nimmt Bolley den Kugellagerstahl "Durapur 3505", er widmet sich aber auch gern dem Upcycling von vormaligen Mähwerken oder Kreissägenblättern. "Jeder Stahl ist anders", er kann das Material an der Farbe erkennen: Mit hohem Mangananteil nimmt es eine schwarze Farbe an, Nickel macht es silbern.

Jedes Messer, das er fertigt, sei ein Individuum und habe eine Seele, davon ist Bolley überzeugt. Ein Taschenmesser, für das 30 bis 40 Arbeitsstunden anfallen, kostet bei ihm 400 Euro, bei besonders edlen Stücken verlangt er auch vierstellige Beträge. Dafür halten sie ein Leben lang, wenn sie richtig gepflegt werden. Weil er für den Damast kohlenstoffhaltigen und chromfreien Stahl verwendet, können die Klingen allerdings korrodieren. Werden sie regelmäßig geschliffen, bleiben sie aber viel schärfer und schnitthaltiger als rostfreie Messer. Seine eigenen, mit Schmiede- und Brandstempel versehenen Produkte bietet er nur in seiner Werkstatt und bei wenigen Kunsthandwerkermärkten an: Die Stücke, von denen er sich nicht immer trennen kann, will er den Kunden persönlich überreichen. Daneben verkauft Bolley deutlich billigere Messer, für die er Klingen im Handel bezieht und die Hefte selbst herstellt.

Jeden Montag ist bei ihm Schleiftag, außer dem Schärfen übernimmt er auch Reparaturen: Aus ganz Deutschland schicken Kunden ihre Messer - etwa, wenn der Griff verfault ist. Damit noch nicht genug, gibt Bolley Kurse: Die Teilnehmer schmieden sich dabei in acht Stunden ihre eigene Klingen aus Monostahl, wofür sie ohne Materialkosten 240 Euro zahlen. Danach können sie die Werkstatt stundenweise mieten und die Messer unter Bolleys Aufsicht fertigstellen. Bislang haben die Schmiedekurse 55 Männer besucht - und eine Frau.

Holz oder Stahl womit arbeitet er denn nun am Liebsten? "Mit de Leit", antwortet Bolley. Schließlich ist er im Nebenberuf noch Tai-Chi-Lehrer, und in der Freizeit spielt er in der Rockband "Tante Droll" Bass, singt und schreibt die Texte in bairischer Mundart. Der "Selfmade-Man" im wahrsten Sinn des Wortes ist also durchaus teamfähig, was sich im Gewerkhaus schon angesichts des WG-Charakters dort bewährt hat. Klar gebe es auch mal Zoff, wenn "ein Saubär" Küche, Bad oder WC verwüstet zurücklasse. Doch die positiven Umstände überwögen den Ärger bei weitem: Bolley kann beim Gestalten der Messer seine stilsicheren Nachbarinnen zu Rate ziehen, auf deren Farbverständnis er vertraut. Für die Gürtel des Sattlers Ruoffs schmiedet er öfter Schnallen. Und für den Restaurator Stefan Muck hat er schon Türriegel für alte Kirchentüren gefertigt.

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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