Ausstellung in Dießen:Geheimnisvolle Bilder in uralten Mauern

Lesezeit: 3 min

Schemenhafte Bilder fixiert im Augenblick. Der Fotografin Isabella Berr gelingt dies mit spezieller Technik. (Foto: Nila Thiel)

Die Fotografin Isabella Berr präsentiert ihre künstlerischen Aufnahmen in einem bedeutenden Baudenkmal der Ammerseegemeinde: dem Seerichter-Haus.

Von Katja Sebald, Dießen

Der eilige Geschenkkäufer auf der Suche nach dem ultimativen Schnäppchen wird in der Galerie Seerichter in Dießen nicht fündig werden. Wer jedoch dem glitzernden Weihnachtsrummel für einen Moment entfliehen will, der wird hier aufatmen. In der aktuellen Ausstellung sind die stillen und gleichsam entrückten Bilder der Fotografin Isabella Berr zu sehen. Die Galeristin Caroline Willy hat dazu in den historischen Räumen mit den knarzenden Dielen und prächtigen Öfen ausgesuchte Mid-Century-Designklassiker und in Würde gealterte Vintage-Möbel arrangiert. Entstanden ist ein ebenso zurückhaltendes wie spannungsvolles, vor allem aber in höchstem Maße ästhetisches Gesamtkunstwerk.

Die Fotografien von Isabella Berr, durchwegs auf mattes Fine-Art Papier gedruckt und auf Alu-Dibond montiert, wirken wie flüchtige Traumsequenzen, wie vage Wunschbilder oder wie der Versuch, beim Blick aus einem fahrenden Zug ein einzelnes Bild zu fixieren. Und tatsächlich sind viele von ihnen sozusagen "en passant" entstanden: Sie zeigen Menschen, die der Fotografin mehr oder weniger zufällig vor die Kamera gelaufen sind. Isabella Berr fotografiert an Flughäfen und Bahnhöfen, beim Besuch eines Museums, durch die Fenster eines Schiffs oder an einem Regentag durch die Windschutzscheibe aus dem parkenden Auto. Im Bild ergeben sich dadurch Lichtreflexe und Doppelungen, milchig-matte Farbwelten, in denen Konturen verschwimmen. Man blickt auf die Motive wie durch einen Gazevorhang oder durch Wasserdampf.

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Manchmal sind die Wassertropfen oder Schlieren und Wischspuren auf den Scheiben im Vordergrund zu sehen. Diese Strukturen verschmelzen mit dem Bildhintergrund zu einer einzigen Fläche aus helleren und dunkleren Partien. Architektonische Gegebenheiten, Fensterraster, Fassadengliederungen oder Geländer bilden den gleichsam grafischen Rahmen für beinahe surreale Momentaufnahmen, in denen die Motive eher verunklärt als abgebildet werden. Es sind Aufnahmen, die nicht als Beweis dafür dienen, was sich in einem bestimmten Moment tatsächlich ereignet hat. Vielmehr wirken sie wie mögliche Bilder von möglichen Ereignissen.

Isabella Berr, 1963 in Schongau geboren, absolvierte nach einem Pädagogikstudium eine Ausbildung zur Fotografin. Nach verschiedenen Assistenzen arbeitete sie in den Bereichen Werbung, Porträt und Ausstellungsdokumentation. Ihre künstlerischen Fotografien blieben lang in der Schublade, auf eine erste Präsentation im Jahr 2002 folgten jedoch zahlreiche Ausstellungen sowie zwei opulente Publikationen. Die Fotografin selbst schreibt zu ihren Bildern: "An Orten, das vorüberziehende Leben spürend, halte ich inne, fühle mich tief verbunden mit diesem Augenblick und sehe ein Bild, das ich festzuhalten versuche."

Isabella Berrs Fotos wirken wie flüchtige Traumsequenzen oder wie vage Wunschbilder. Sie arbeitete unter anderem in den Bereichen der Werbung und der Dokumentation von Ausstellungen. (Foto: Nila Thiel)

Im Seerichter-Haus haben die geheimnisvollen Bilder von Isabella Berr nun einen nahezu idealen Zufluchtsort gefunden, denn man darf wohl davon ausgehen, dass sich in seine uralten Mauern im Lauf der Jahrhunderte auch das eine oder andere Geheimnis eingeschrieben hat. Der Dießener Kunsthistoriker Thomas Raff bezeichnete das Gebäude als das bedeutendste profane Baudenkmal in dem an historischer Substanz reichen Ammersee-Städtchen. Seine Geschichte als Amtssitz des Seerichters reicht mindestens bis ins Jahr 1580 zurück, als der Seerichter Wolf Ligsalz an dieser Stelle mehrere aneinander stoßende Anwesen erwarb. Ein Markt- und Seerichter amtierte in Dießen jedoch bereits im 13. Jahrhundert. Er übte die höhere Gerichtsbarkeit aus und war auch für Hinrichtungen zuständig. Armin und Caroline Willy, die das Gebäude vor knapp zehn Jahren kauften und es behutsam renovierten, vermuten, dass sich im Keller einst auch ein Gefängnis befand.

In der Denkmalliste wird das Seerichter-Haus als Gebäude aus dem Jahr 1735 geführt. Zu dieser Zeit erhielt der jetzt sichtbare, nach außen hin schlichte Bau mit dem flachen Satteldach seine barocke Ausstattung, zu der unter anderem eine mächtige Holzdecke mit Bildkartuschen im Obergeschoss gehört. Der Seerichter Franz Ferdinand von Helmberg richtete damals die überaus prunkvollen Räume im ersten Stock ein, um einen möglichen Ehemann für seine Adoptivtochter zu beeindrucken, der auch sein Nachfolger werden sollte.

Sehr subtil sind die Arbeiten mit den morbiden Tönen der Räume abgestimmt

Mehr als eindrucksvoll sind jedoch auch die Erdgeschossräume, die heute als Galerie und Ausstellungsfläche dienen. Die Architektin Caroline Willy hat nicht nur die schöne Patina der alten Böden, Türen und Fenster sowie den mächtigen Rauchfang in der ehemaligen Küche erhalten, sondern auch eine ganze Ziegelwand wieder freigelegt. In jedem der Räume hat sie sparsam Sitzmöbel, Tische und Leuchten platziert. Sie kombiniert nicht nur mit sicherer Hand skandinavisches Design der 1960er Jahre mit Antiquitäten und Raritäten, sondern auch mit Gegenwartskunst. Sehr subtil hat sie für die Ausstellung die Atmosphäre und die morbiden Töne der Räume mit den weichen Farben in den fotografischen Arbeiten von Isabella Berr abgestimmt.

Die Ausstellung "Bilder und Räume" von Isabella Berr in der Galerie Seerichter an der Prinz-Ludwig-Straße 5 in Dießen ist noch bis zum 28. Januar 2024 nach telefonischer Vereinbarung unter 0170-8188831 zu sehen.

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