Vorzeigebetrieb Konradhof:Der Gemüsemetzger von Unering

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Landwirt Stefan Dellinger nimmt aus der großen Holzkiste riesige Gelbe Rüben, die er auf seinem Konradhof in Unering anbaut. Geputzt, geschält und geschnitten werden die Feldfrüchte im vormaligen Schlachthaus. (Foto: Georgine Treybal)

Stefan Dellinger wurde einst wegen Wasserverunreinigung behördlich verfolgt, jetzt zeichnet die Staatsregierung seinen Hof als "Leuchtturmprojekt" aus. Dort baut er mehr als 40 Gemüsesorten an und bedauert, dass sich für seine Bio-Frischware nur wenig Abnehmer im Fünfseenland finden.

Von Armin Greune, Seefeld

Gemüseernte im Februar? Aber ja! Gestern erst sind am Konradhof im Seefelder Ortsteil Unering Karotten aus dem Erdreich gezogen worden, Stefan Dellinger holt eine der riesigen Gelben Rüben aus der Holzkiste. Natürlich habe ein Teil der Feldfrüchte bei der Überwinterung im Boden gelitten oder sei angeknabbert worden. Aber wären sie schon im Herbst geerntet worden, hätten sie die viermonatige Lagerung in seinem vormaligen Kuhstall längst nicht so gut überstanden wie in der Erde, meint der Landwirt. Und der kurze Weg von der Scholle in die Küche sei nun mal ein Pfund, mit dem der Konradhof wuchern könne: "Fresh cut" laute die Devise - geputzt, geschält, geschnitten im ehemaligen vormaligen Schlachthaus. Die verzehrfertig präparierten Feldfrüchte verkauft der Uneringer Betrieb an Großküchen, Lebensmitteleinzelhändler oder an Caterer, die wiederum Schulen, Kindergärten und Kantinen mit Fertigessen beliefern.

Für sein Konzept der "Gemüsemetzgerei" hat das bayerische Landwirtschaftsministerium Dellingers Hof gerade als eines von 30 "Leuchtturmprojekten" ausgezeichnet. Die Aktion "30 für 30" soll zum erklärten Ziel der Staatsregierung beitragen, den Bio-Anteil in der Landwirtschaft bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent zu steigern. Die Auszeichnung ist mit einem Gutschein für Werbeaktivitäten in Höhe von 5000 Euro verbunden.

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Mit der bayerischen Obrigkeit hat Dellinger freilich auch schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Vor vier Jahren musste er sich vor Gericht wegen "versuchter Gewässerverunreinigung" verantworten, weil das Landratsamt Starnberg bei einer Kontrolle ein Leck im Fahrsilo gefunden hatte. Das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt, Dellinger aber stellte das gesamte Konzept des mehr als 500 Jahre alten Familienbetriebs radikal um. Eigentlich hatte der studierte Landwirt geplant, die Schweine-, Rinder- und Geflügelhaltung unter Berücksichtigung des Tierwohls auszuweiten und einen modernen Hochsilo zu errichten. Doch die Pläne scheiterten an den "vielen behördlichen Auflagen", sagt Dellinger. 2019 ließ er binnen einer Woche alle Schweine schlachten, der Konradhof zog seine Verkaufsstände aus zwölf Wochenmärkten in der Region ab. Ein florierender Betrieb aus Produktion, Verarbeitung, Direktvermarktung und einem Cateringunternehmen für Kitas schrumpfte in kürzester Zeit von 270 Beschäftigten auf weniger als zehn. Dellinger bezifferte seinen Umsatzschaden auf zwei Millionen Euro, dazu kam der Ausstieg aus der Cateringfirma.

Bio-Zwiebeln muss der Konradhof gerade zukaufen: Die eigene Ernte ist wegen Trockenheit fast komplett ausgefallen. (Foto: Georgine Treybal)

Während er sich bei der Tierhaltung immer stärker überwacht und eingeschränkt gefühlt habe, lasse ihm der Gemüseanbau selbst nach den strengen Bioland-Richtlinien mehr Eigenverantwortung: "Ich fühle mich freier als Landwirt", sagt Dellinger. Rund 350 000 Euro hat er in die Umstellung investiert, unter anderem schaffte er Kartoffel- und Karottenernter an. 40 verschiedene Kulturen hat er in der vergangenen Saison angelegt - "aber heuer will ich auf 60 kommen", sagt der 45-Jährige und zählt auf: "Honigmelone, Süßkartoffel, Kerbel..."

"Mein größter Fehler ist die Vielfalt. Und mein größter Vorteil ist die Vielfalt". Bei einer breiten Auswahl an Produkten ließe es sich leichter wegstecken, wenn einzelne Kulturen ausfallen oder ein Abnehmer wegbricht. Aber der Arbeitsaufwand im Mischbetrieb sei erheblich höher, als wenn man sich auf wenige Produkte konzentriert. "Außerdem haben wir erst alles dazu lernen müssen - jetzt wird es leichter", sagt er: "Aber ich lern' gern und manchmal bin ich halt meiner Zeit voraus."

Auch die Bio-Karotten verkauft der Uneringer Betrieb an Großküchen, Lebensmittelhändler oder an Caterer. (Foto: Georgine Treybal)
Gelagert wird im vormaligen Kuhstall unter anderem Sellerie. (Foto: Georgine Treybal)

Der zuvor fast nagelneue Offenstall wird auf dem Konradhof nun zur Hälfte als Lager genutzt, dort ist das Gemüse trocken, luftig und fast etwas zu kühl untergebracht. Dellinger zieht Petersilwurz, Sellerie und Kartoffeln aus zentnerschweren Holzkisten, letztere wären eigentlich sein mengenmäßig bedeutendstes Produkt. Doch die hat er gerade von einem anderen Bioland-Betrieb zugekauft, denn die eigene Erdäpfelernte war schlecht: "Wir sind auf die zeitweise extreme Trockenheit im Juli nicht vorbereitet gewesen." Man habe zu früh gepflanzt, heuer will er mehrere Sorten zu unterschiedlichen Zeiten setzen.

Seine Zwiebelkulturen waren 2023 sogar ein Totalausfall: "Die baue ich in Zukunft nur noch bewässert an", sagt Dellinger. Das Fünfseenland mit seinen oft steinigen Ackern eigne sich ja nicht besonders zum Anbau von Hackfrüchten. Doch der 45-Jährige rechnet mit der Klimakrise: Die sich häufenden Starkregenereignisse vertragen die wasserdurchlässigen Schotterböden des Alpenvorlands besser als der Sand, auf dem Wurzeln und Knollen meist kultiviert werden. Zudem kommt dem wärmeliebenden Gemüse zugute, dass die Jahresmitteltemperaturen im Alpenvorland inzwischen um zwei Grad angestiegen sind. Dennoch sei er derzeit noch "im weiten Umkreis der einzige Gemüsebauer", sagt Dellinger.

Der andere Teil des Offenstalls ist gerade von einer großen Herde bevölkert. 420 Mutterschafe und fast genauso viele Lämmer gehören im Moment zum Konradhof, schließlich muss auch das Grünland mit möglichst geringem Arbeitseinsatz genutzt werden. Die Tiere werden außerhalb geschlachtet, das Fleisch wird unter anderem samstags im Uneringer Hofladen angeboten.

Steigende Kosten stehen stagnierenden Erlösen gegenüber, die Preisfindung ist schwierig

Im eigenen, 2004 für 400 000 Euro errichteten Schlachthaus sind noch die Transportschienen für die Tierhälften an den Decken geblieben. In der nun dem Gemüse gewidmeten Metzgerei erklärt Dellinger, wie viel Handarbeit beim Waschen, Schälen und Schnippeln von Karotten und Kartoffeln trotz maschineller Vorbereitung anfällt. Steigende Kosten stünden stagnierenden Erlösen gegenüber: "Die Preisfindung ist momentan anstrengend." Eigentlich wäre jetzt Saison für Feldsalat. Doch die aufwendige Verarbeitung und Lagerung brächten es mit sich, dass er dafür einen Kilopreis von 15 Euro verlangen müsste - "und teure Sortimente sind gerade gar nicht gefragt." Auch Dellinger spricht von einer "inflationsbedingten Biokrise".

"Im Landkreis würde ich mir mehr Nachfrage wünschen", sagt Dellinger

Man sollte meinen, im Fünfseenland - wo der Münchner Speckgürtel wohl am fettesten ist - lägen die Absatzmärkte für hochwertige Lebensmittel gleich vor der Tür. Doch der Konradhof beliefert nur eine Kita in Andechs und eine Schule in Wörthsee. "In München ist der Biobedarf da, im Landkreis würde ich mir mehr Nachfrage wünschen", sagt Dellinger und zählt eine Reihe von Großbetrieben und Verwaltungen in der näheren Umgebung auf, in deren Kantinen er vergeblich Akquise betrieben habe. Derzeit setze er etwa zwei Drittel seiner Produkte über den Lebensmittelhandel und ein Drittel an Caterer ab.

Auch rund 400 Mutterschafe und ihre Lämmer werden auf dem Konradhof gehalten. (Foto: Georgine Treybal)

Weil er einen Großkunden verloren hat, will der Landwirt heuer die Anbaufläche auf zehn Hektar reduzieren, im Vorjahr waren es noch 18. Er betont, dass der Konradhof großzügig mit EU-Mitteln subventioniert werde. An den jüngsten Bauernprotesten hat Dellinger nicht teilgenommen. Er habe schon Verständnis für die Demonstrationen, "aber alles wird unsere Regierung nicht richten können". Er sei froh, "dass die Ökolandwirtschaft mit einer Vielzahl von Umweltzielen gefördert wird und ich habe Verständnis dafür, dass auf der anderen Seite beim Agrardiesel gespart wird", sagt Dellinger. Wichtig sei, dass die Ernährung der Bevölkerung nicht zu Umweltschäden führe "und unsere Produktivität, unser Bauernstand, Landschaft und Natur in gutem Zustand bleiben".

Mit kürzeren Transportwegen zur Weiterverarbeitung ließe sich auch der ökologische Fußabdruck des Konradhofs verringern. Aber noch landen Dellingers Vorzeige-Karotten zwei Tage später im 50 Kilometer entfernten Aying: in einer Großbäckerei mit 90 bayernweiten Verkaufsstellen, die "Sportlerbrot" mit "Möhren" fertigt.

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