Prozess vor dem Landgericht München I:Tödliche Beziehung

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80 Polizisten durchkämmen nach dem Leichenfund das Unterholz in der Nähe der Kapelle Sankt Anna in Berg, um weitere Spuren zu finden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Luca V. arbeitete als Prostituierte. Ihr Lebensgefährte soll sie umgebracht und in einem Wald bei Berg verscharrt haben. Der Staatsanwalt fordert eine Haftstrafe von zehn Jahren und acht Monaten, die Verteidigung einen Freispruch.

Von Leopold Beer, Berg /München

Der 27 Jahre alte Angeklagte betritt den Gerichtssaal in einem schwarzem Jogginganzug. Ein freundliches "Hallo" in die Runde, dann setzt sich Philip O.. Neben ihm eine Dolmetscherin. Er wirkt gelassen. Und das, obwohl er vor dem Landgericht München I angeklagt ist, weil er seine Freundin Luca V. getötet haben soll. Ihre halb verweste Leiche hatte der Hund einer Spaziergängerin am 16. Januar 2022 im Wald in der Nähe des Kapellenweges in Berg am Starnberger See aufgestöbert. Drei Monate später wurde Philip O. in Budapest von Zielfahndern verhaftet. Seitdem befindet sich der Mann in Untersuchungshaft.

Die unbekleidete Frauenleiche war von den Ermittlern anhand von DNA-Spuren und der Seriennummer ihrer Brustimplantate als Luca V. aus Budapest identifiziert worden. Die 25-Jährige war Prostituierte und bot europaweit ihre Dienste auf Escort-Portalen an - bis Ende November 2021 auch in München. Dort hielt sie sich mit ihrem Lebensgefährten auf, der für ihre Tätigkeit mehrere Tage lang ein Zimmer anmietete.

Ab dem 25. November verschwand die junge Frau plötzlich von der Bildfläche, auch digital gab es keinerlei Lebenszeichen mehr. Was an diesem Tag im gemeinsamen Zimmer eines Münchner Hotels passierte und ob dort Philip O. seine Partnerin umbrachte, ist unklar. Insbesondere über den genauen Tatablauf und das Motiv streiten sich Staatsanwaltschaft und die Verteidiger des Angeklagten.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Philip O. ein Motiv hatte, Luca V. loszuwerden. Der Angeklagte habe im Prozess sein Leben zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tötung als "die Hölle auf Erden" beschrieben. Trotz wiederholten Streits und regelmäßiger Versuche, sie zu überzeugen, war Luca V. offenbar nicht bereit, ihre Profession aufzugeben - nicht einmal zugunsten ihrer beiden Kinder mit Philip O. Dadurch gefährdete sie das Selbstbild des Angeklagten als jemand, "der es im Leben geschafft hat". Staatsanwalt Matthias Enzler ist überzeugt: "Das Überleben der Geschädigten hatte für den Angeklagten keinen relevanten Wert mehr".

Das Opfer Luca V.: Ihre Leiche wurde im Januar 2022 in einem Wald bei Berg entdeckt. (Foto: Polizeipräsidium Oberbayern Nord)

Am 25. November 2021 seien der Angeklagte und die Frau erneut in Streit geraten über ihre gemeinsame Zukunft. Die lange aufgestaute Frustration von Philip O. über die Tätigkeit seiner Freundin als Prostituierte habe sich dem Ankläger zufolge entladen: Der Mann habe sie zu Boden gebracht, mindestens zweimal gegen ihren Thorax getreten, fast sämtliche Rippen gebrochen und sie gewürgt. Infolge dieser massiven stumpfen Gewalt und der Verletzungen im Halsbereich starb Luca V.

Laut Staatsanwalt habe der Angeklagte die zierliche Frau anschließend in ihrem eigenen Reisekoffer aus dem Hotel geschafft und das Opfer mit einem Mietwagen über den Kapellenweg in das abgelegene Waldstück bei Berg transportiert. Dort habe er die Leiche mit Benzin übergossen und angezündet, um sie zu verbrennen, was aber nicht gelungen sei. Danach habe Philip O. seine Gefährtin in einer Mulde mit Erde und Geäst verscharrt und gehofft, dass sie nicht entdeckt würde, so der Staatsanwalt.

All das sind jedoch nach Auffassung der Verteidigung reine Spekulationen. Die Anwälte versuchen, Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft zu schüren und zeichnen ein gänzlich anderes Bild. Schließlich habe der Angeklagte gar kein Motiv für die Tat. Denn die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit der Getöteten seien jahrelang Gegenstand von Streit gewesen. Durch die Tat habe Philip O. zudem seine einzige Einkommensquelle verloren. Er habe von ihrer Arbeit finanziell profitiert. Und: Das Gericht dürfe sich nicht von der Frage leiten lassen: "Wer soll es denn sonst gewesen sein?" Stattdessen müsse die Kammer bei vernünftigen Zweifeln nach dem Grundsatz in dubio pro reo zugunsten des Angeklagten entscheiden.

Der 27-jährige Angeklagte hält zum Prozessbeginn im Januar einen Aktendeckel vor sein Gesicht. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Konsequenterweise fordern die Verteidiger von Philip O. also dessen Freispruch sowie eine Entschädigung für die in Untersuchungshaft verbrachte Zeit. Denn es kämen unendlich viele Täter in Betracht und die mehr als 1800 Spuren, denen die Ermittlungsbehörden nachgingen, hätten nicht mehr zutage gefördert als bereits im Haftbefehl gestanden habe. Daraus ergebe sich keineswegs zweifelsfrei die Täterschaft des Angeklagten.

Die Staatsanwaltschaft dagegen fordert zehn Jahre und acht Monate Haft für Philip O. wegen Totschlags. Das Strafmaß begründet der Staatsanwalt auch damit, dass der Angeklagte kein unbeschriebenes Blatt sei: In Ungarn wurde er bereits wegen Selbstjustiz und Urkundenfälschung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Für die Täterschaft spricht nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat. Bereits einen Tag nach der mutmaßlichen Tat habe er eine Ex-Freundin angerufen und sie gefragt, ob "sie es nicht erneut versuchen wollen". Zudem habe er nach ihrem Verschwinden nicht nach Luca V. gesucht, sondern bewusst Beweise vernichtet. Am Tag der Ladung durch die Kripo Fürstenfeldbruck hat Philip O. etwa sein Google-Konto gelöscht und sein Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt.

Der Angeklagte beteuert weiterhin seine Unschuld

Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die das als bloße Schutzbehauptung wertet, führen die Verteidiger für den Angeklagten ins Feld, dass Luca V. ihn verlassen habe. Dann die Optionen mit anderen Bekanntschaften auszuloten, sei zwar moralisch bedenklich, aber durchaus nachvollziehbar. Das Löschen des Google-Kontos sei auf den ersten Blick verwirrend, doch der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass diese Daten ohnehin problemlos wiederherstellbar seien. Das Handy habe er zurückgesetzt, weil das Display beschädigt war und er sich ein neues zugelegt hatte, so die Anwälte.

Der Fall ist ein Indizienprozess, einen unmittelbaren Beweis gibt es nicht. Die 1. Schwurgerichtskammer steht vor einer schwierigen Entscheidung: Hat der Angeklagte Luca V. tatsächlich getötet? Philip O. hat zuvor das letzte Wort: "Ich möchte noch einmal betonen, dass ich unschuldig bin." Noch immer scheint er gelassen. Dann verlässt der Mann in Handschellen den Saal. Das Urteil soll am kommenden Dienstag verkündet werden.

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