Berg am Starnberger See:Literarische Familienaufstellung

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Josef Brustmann liest im Strandhotel in Berg vor 120 Zuhörern. (Foto: Georgine Treybal)

Der Musiker und Kabarettist Josef Brustmann hat in der Pandemie die Autobiografie "Jeder ist wer" geschrieben - ein sehr persönliches und anrührendes Buch.

Von Katja Sebald, Berg

Die Zither hat er natürlich dabei. Er wechselt zwischen Text und Musik, singt eine Handvoll Lieder, die man aus seinen anderen Programmen kennt. Aber diesmal ist Josef Brustmann nicht als der gefeierte Musikkabarettist in Berg, sondern als Autor seines autobiografischen Buchs "Jeder ist wer". Und so wird es ein eher leiser, ein poetischer und sehr eindringlicher Abend. Für die Literaturübersetzerin Elke Link ist es ein furioser Einstand als neue Vorsitzende des Berger Kulturvereins. Sie wolle die Sparte Literatur wieder mehr in den Fokus rücken, sagte sie in ihrer Begrüßung. Die mit knapp 120 Besuchern restlos ausverkaufte Lesung im Strandhotel Berg gab ihr mehr als recht.

Josef Brustmann hatte während der Pandemie, als Auftritte nicht mehr möglich waren, angefangen, die Geschichte seiner Familie aufzuschreiben. Zuerst in kleinen Episoden und Anekdoten, wie er es für seine Kabarett-Programme macht. Dann aber in immer größeren Zusammenhängen, in assoziativ aneinander gefügten Erinnerungsgeschichten. Am Ende war daraus ein Buch geworden, keine klassische Autobiografie, auch kein Lebensrückblick im eigentlichen Sinn, sondern eher eine Art literarische Familienaufstellung. "Jeder ist wer" heißt auch das Buchkapitel, in dem Brustmann eine solche Aufstellung mit seiner Herkunftsfamilie beschreibt. Das im Herbst vergangenen Jahres erschienene Buch hat viel Lob bekommen, auch aus berufenem Mund: "Ein wunderbarer Schriftsteller!", schreibt der Verleger und Dichter Michael Krüger über Brustmann und nennt ihn in einem Atemzug mit Graf und Achternbusch.

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Aber es ist noch einmal ganz etwas anderes, wenn Brustmann selbst aus seinem Buch liest und seine Altvorderen auftreten lässt. Zuerst seinen Großvater mütterlicherseits, jenen Josef Huber, "einst stolzer, mit mächtigem, kaiserlich gezwirbeltem Bart einher schreitender K.u.K.-Bürger" in Böhmen, der am Ende seines Lebens "nichts mehr" war. Der sich an seinem 65. Geburtstag einen Rausch ansoff und sich auf dem Heimweg in eisiger Kälte auf eine Bank legte, einschlief und erfror. Man habe ihn noch singen hören, nachdem er das Wirtshaus verlassen hatte. Seine außergewöhnliche Sing- und Musizierlust habe er seiner Tochter vererbt und diese wiederum ihren sieben Kindern. "Wir haben ihm viel zu verdanken, dem Josef Huber", sagt Brustmann, der genau neun Monate nach dem Tod dieses Großvaters zur Welt kam und dessen Vornamen trägt. Später an diesem Abend betritt auch der andere Großvater die Bühne, der sich aus unglücklicher Liebe zu einer jungen Magd mit seinem Jagdgewehr mitten ins Herz schoss.

Es wird in der Familie mehr gesungen als gesprochen

Und dann finden sich die Kinder dieser beiden unglücklichen Männer, sie heiraten, bekommen selbst Kinder, erleben Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung. Sie bauen sich ein neues Leben auf, in einem Reihenhaus in Waldram, verkauft von der katholischen Kirche an kinderreiche Heimatvertriebene. "Waldram hieß kurz vorher noch Föhrenwald und war nach dem Zweiten Weltkrieg größtes europäisches Auffanglager für Juden gewesen, die den Holocaust überlebt hatten", schreibt Brustmann. Eilig hatte man dort eine neue Normalität geschaffen. "Wir wuchsen ohne jegliches Wissen über Waldrams Geschichte auf", so Brustmann. Waldram sei für seine Eltern das große Glück gewesen. In der Familie sei mehr gesungen worden als miteinander gesprochen. Es habe lange keinen Fernseher gegeben, auch das habe zu seiner glücklichen Kindheit beigetragen.

In einer Familienaufstellung entstehe "ein sprechendes Gruppenbild, dass Dir Hören und Sehen vergeht", sagt Brustmann irgendwann an diesem Abend. Seiner Mutter und seinem Vater, die ihr Leben lang arbeiteten und sparten, die nicht über die Vergangenheit sprachen und nicht an den Wunden rührten, die als einzigen Reichtum die Kinder und das gemeinsame Singen hatten, setzt Brustmann ein sehr persönliches, ein anrührendes, aber nicht sentimentales Denkmal. Er erzählt von ihrem Leben und von ihrem Sterben. Am Ende sei alles verziehen, nicht vergessen gewesen. Es ist ein Abend, der noch lange nachklingt.

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