Volleyball:"Der Verein muss noch lernen, wie ich ticke"

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Friedrichshafens Trainer Vital Heynen spricht vor dem Spiel in Herrsching über träge Schiffe, freche Bayern, Hallenprobleme - und die Frisur seines Angreifers Daniel Malescha

Von Sebastian Winter

An diesem Samstag (19 Uhr, Nikolaushalle) trifft Trainer Vital Heynen mit seinem neuen Klub VfB Friedrichshafen auf den TSV Herrsching - einen Verein, den er bislang nicht unbedingt auf dem Radar hatte. Der anerkannte Querdenker und Vater dreier Töchter hat so ziemlich alles erreicht im Volleyball: Zunächst auf Klubebene als Spieler und Trainer der belgischen Spitzenmannschaft Maaseik, von 2012 bis zum vergangenen Sommer als Bundestrainer. Heynen, 47, wurde mit der deutschen Nationalmannschaft Fünfter bei den Olympischen Spielen in London, zwei Jahre später WM-Dritter - der größte Erfolg einer gesamtdeutschen Volleyballmannschaft.

SZ: Herr Heynen, seit dieser Saison trainieren Sie nicht nur Belgiens Nationalmannschaft, sondern auch den VfB Friedrichshafen, den renommiertesten deutschen Klub. Was ist Ihr erster Eindruck?

Vital Heynen: Das Sportliche läuft super, wir sind im Pokalfinale, haben den Supercup gewonnen, starten in der Champions League, haben in der Liga erst ein Spiel verloren. Das hätte ich vorher sofort unterschrieben. Im Verein muss ich aber meinen Platz noch finden. Umgekehrt: Der Verein muss auch noch lernen, wie ich ticke.

Welche Probleme sehen Sie gerade?

Friedrichshafen ist top in vielen Bereichen, aber in den letzten zwanzig Jahren auch stabil geblieben. Das kann man positiv sehen, aber evolutionsmäßig ist nicht so viel passiert. In den letzten Jahren sind einige wichtige Leute, die lange Zeit im Verein waren, gegangen. Die Frage ist, wie schnell bekomme ich ein neues, frisches Denken hinein. Ein großes Schiff zu drehen ist nicht immer so einfach. Und ich habe noch nicht das Gefühl, dass wir uns genügend bewegen. Im Süden ist Deutschland nach meiner Wahrnehmung konservativer, Änderungen gehen da etwas schwieriger. Aber ich bin optimistisch, dass sich das bei uns bald bessert.

Vor ein paar Monaten haben Sie mit den deutschen Volleyballern noch gegen die besten Teams der Welt gespielt, am Samstag treten Sie in Herrsching an. Reines Aufwärmprogramm vor dem Champions-League-Spiel gegen Paris in drei Tagen? Nein, gar nicht, das kann nur in die Hose gehen. Aber wir hatten gerade vier Spiele in zehn Tagen, die unglaublich wichtig waren. Und jetzt ist die einzige Woche mit nur einem Spiel bis was-weiß-ich-wann. Wir sind deshalb etwas zu locker, aber brauchen das auch mal. Freitag habe ich mich mit Herrsching beschäftigt, das genügt.

Guter Draht: Vital Heynen, damals Bundestrainer, mit Tom Strohbach. (Foto: Imago)

Kennen Sie Herrsching überhaupt? Immerhin kommt es zum Bruderduell Ihres Liberos Markus Steuerwald mit Herrschings Zuspieler Patrick Steuerwald.

Ich kenne den Klub nicht, aber die Spieler. Da sind, abgesehen vom Bruderduell, mit Patrick Steuerwald, Ferdinand Tille und Tom Strohbach drei - das Wort Freunde finde ich falsch - Leute, die ich ganz gerne habe, die ich bei der Nationalmannschaft oft gesehen habe. Tom habe ich vor der Saison gefragt, ob er nach Friedrichshafen kommen möchte. Er hat gesagt, das Studium geht vor, kein Problem, jetzt spielt er in Herrsching. Das alles sind auch meine Spieler, nicht falsch verstehen bitte. Genau das macht das Spiel für mich besonders.

Wie schätzen Sie diese Spieler ein?

Süddeutsche sind vielleicht konservativer als Norddeutsche, dafür machen sie mehr Lärm. Steuerwald und Tille, das sind Bayern, die hört man. Große Klappe wäre jetzt vielleicht der falsche Ausdruck, aber die haben eine Meinung, wie ich selbst. Deshalb habe ich großen Respekt vor ihnen.

Daniel Malescha, den Sie für Friedrichshafens Diagonalposition verpflichtet haben, war zugleich Herrschings größter Verlust. Wie sehen Sie seine Entwicklung? Und spielt er am Samstag?

Die zweite Frage beantworte ich niemals, jeder kann spielen. Daniel macht unglaublich große Schritte nach vorne, er ist ein super Kerl, immer da, immer froh, ab und an sogar zu zufrieden. Ich kann nur positiv über ihn sprechen. Er hat schon mit der Nationalmannschaft gut gespielt, auch in Friedrichshafen macht er mir es nicht einfach. Ich habe jetzt (mit dem Tschechen Michal Finger, d. Red.) zwei gleich gute Diagonalangreifer. Nur mit seinem Haarschnitt bin ich nicht einverstanden. Er braucht wirklich mal einen guten Friseur.

Was fehlt Malescha noch zum Topspieler?

Mit 22 kann er noch nicht stabil sein, Daniel hat auch mal ein schlechtes Spiel gemacht. Er hat erst angefangen, Erfahrung zu sammeln, zu lernen, welchen Ball schlage ich in welchem Moment. Das zweite Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Innsbruck war schwierig für ihn. Das war etwas Neues, etwas, das es in Herrsching nicht gibt. In Herrsching muss man nicht jede Woche gewinnen. In meinen Augen muss Daniel im Nationalteam in zwei, drei Jahren eine wichtige Rolle spielen.

Macht Ihnen die gegnerische Halle Sorgen, immerhin hat der VfB in der Nikolaushalle erst in diesem Frühjahr im Playoff-Viertelfinale einen Satz abgegeben?

Wir haben Donnerstag und Freitag in einer kleinen Halle trainiert, ich kann ja nicht am Samstag nach Herrsching fahren und die Halle höher bauen. Aber jeder Spieler hat doch mal in so einer Halle gespielt. Klar ist das ein Vorteil für Herrsching, aber man muss da jetzt auch nicht übertreiben.

Herrsching musste wegen seiner zu kleinen Halle das Heimrecht im Pokal-Halbfinale an Berlin abgeben, der Volleyball-Bundesliga warf der Klub daraufhin "das blinde Verfolgen von Statuten, die mehr als fragwürdig sind" vor. Einverstanden?

Ich denke, dass die kleinen Vereine eines verstehen müssen: Wenn es ihnen gelingt, eine große, bessere Halle zu bauen, dann werden sie selbst auch groß. Das ist meine bisherige Erfahrung. Lüneburg beschwert sich nicht über die Regeln, sondern baut eine neue Halle. Die wissen, dass das ihre Zukunft ist. Herrsching hatte auch die Möglichkeit, vorher eine Halle für das Pokal-Halbfinale zu suchen. Ich verstehe das Problem, wenn sie keine finden, aber irgendwo muss man Grenzen setzen. Das ist nicht gegen die kleinen Vereine, es hilft ihnen. Überhaupt: Haben sie mal angefragt, ob unsere Halle frei ist (lacht)?

Wie finden Sie denn Herrschings Marketing-Motto: "Geilster Club der Welt?

Ach, ich bin auch nicht so ein Durchschnittsmensch. Wenn sie das gut machen, warum nicht? Das ist doch super, um sich als kleiner Klub zu platzieren.

Sie gelten als ganzheitlicher Trainer, Ihre Nationalspieler haben Sie zum Überlebenstraining in den Wald geschickt oder zu Vorträgen von Afghanistan-Veteranen. Geht das in Friedrichshafen auch?

Am Mittwoch haben wir so ein deutsches Kindergeburtstagsspiel gemacht, wo man Schokolade in Alufolie wickelt, sich Handschuhe anzieht und dann versucht, die Schokolade mit Gabel und Messer auszupacken und zu essen. Wir probieren viele Sachen, aber ich hatte bisher ganz wenig Zeit, die Mannschaft zu formen.

Aber dafür viel Zeit für Ihre geliebten Spaziergänge mit dem Tablet?

Das finde ich sehr angenehm in Friedrichshafen: Meine Wohnung liegt im Ort Eriskirch, sieben Kilometer von der Halle entfernt. Ich gehe immer zu Fuß zum Training. Und alles, was ich lese, auch meine Bücher, lese ich dann beim Spazieren.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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