Tischtennis:Mercedes für alle Fälle

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Teil zwei einer Fahrgemeinschaft: Mercedes Nagyvaradi, 26. (Foto: Aleksandar Djorovic/Grubisic/Imago)

Der Kader des Frauen-Erstligisten Schwabhausen galt als komplett, im Herbst soll die neue Saison beginnen. Nun hat er überraschend eine zweite Ungarin verpflichtet. Der Verein reagiert damit auf den möglichen Ausfall seiner Nummer eins.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

"Ich werde sie Ursel nennen." Mit diesem Satz hatte der Tischtennistrainer Alexander Yahmed vor einigen Wochen ein neues Familienmitglied angekündigt beim TSV Schwabhausen - und gleichzeitig mit schelmischem Grinsen die Klippe umschifft, dessen Vornamen korrekt wiedergeben zu müssen. Es ging um die 20-jährige Ungarin Feher, die zur neuen Saison den Erstligisten verstärken soll und die in der aktuellen Weltrangliste auf Rang 228 zu finden ist. Nicht als Ursel, sondern mit ihrem wirklichen Vornamen Orsolya. Es trifft sich gut für Yahmed, dass eine weitere neue Spielerin aus Ungarn, die er nun vorstellt, sicher nichts dagegen hat, wenn er sie künftig der Einfachheit halber "Mercedes" ruft. Unter anderem, weil sie tatsächlich so heißt. Und weiter? Nun: "Na..., Naga..., Nani..." - Mercedes eben.

Die Frage nach dem Nachnamen ist die erste, aber nicht die einzige, die die Verpflichtung der 26-jährigen Mercedes Nagyvaradi aus Szekszard aufwirft. Denn eigentlich war der Kader des TSV Schwabhausen bereits komplett. Doch nun muss der Verein aus dem Landkreis Dachau für einige Zeit den Ausfall einer Spielerin befürchten, deren Namen Yahmed vermutlich sogar im Schlaf buchstabieren könnte: Sabine Winter. Die Nummer eins des Teams, langjährige Nationalspielerin, ehemalige Nummer 36 der Welt und zweimalige Doppel-Europameisterin, hat sich einer Operation an der rechten Schulter unterzogen. Diese bereitet ihr seit fast vier Jahren Probleme, Winter spielte dauernd mit Schmerzen. Alle denkbaren konservativen Therapien habe sie ausprobiert, erklärt sie, in den vergangenen Monaten reduzierte sie dann ihr Trainingspensum deutlich, legte ihre internationale Karriere auf Eis - auch das ohne den erhofften Effekt. Nun sei es Zeit gewesen für einen Eingriff. Mitte Mai wurde ihr am Schlüsselbein und am Schulterdach Knochen entfernt, um Platz zu schaffen. "Es lief alles nach Plan." Winter, die ihren Lebensmittelpunkt während ihrer Schonzeit nach Oberbayern zurückverlegt hatte, um hier ihr Abitur nachzuholen, ist zuversichtlich, ihren Paradeschlag, den Vorhand-Topspin, bald wieder so explosiv hinzubekommen wie zu besten Zeiten.

"Wir waren im Handlungszwang", erklärt Yahmed, deshalb habe man Nagyvaradi geholt. Mit Feher könne sie eine Fahrgemeinschaft aus Budapest bilden, das sei praktisch; und dass beide um einen Platz im Nationalteam ihrer Heimat konkurrierten (Feher ist die Nummer sechs Ungarns, Nagyvaradi als Weltranglisten-299. die Nummer sieben), sei auch nicht verkehrt. "Sie können sich gegenseitig antreiben."

Es werde für sie ein "Übergangsjahr", erläutert Yahmed, vieles müsse neu geordnet werden. An diesem Montag soll dank gelockerter Corona-Vorgaben in Bayern endlich das Vereinstraining wieder aufgenommen werden, mit strengem Hygienekonzept. Die ersten Termine bei den Frauen stehen trotzdem schon fest. Anfang September soll der Ligapokal starten, Anfang Oktober die erste Liga. Ein Absteiger wird diesmal nicht gesucht, weil Bad Driburg zwar lange vor der neuen Saison, aber eben nach Ende der Meldefrist seinen Erstliga-Ausstieg erklärt hatte und deshalb nun formal als achtes Team für 2020/2021 geführt wird - als bereits feststehender Absteiger und somit als echte Geistermannschaft.

Schwabhausens neuer Kader sieht nach der für Yahmed überraschenden Rückkehr der 18-jährigen Laura Tiefenbrunner zu ihrem Heimatklub Kolbermoor ("Sie wäre meine Wunschspielerin gewesen") nun hinter Winter einen Vier-Nationen-Mix vor. An Position zwei steht die US-Amerikanerin Crystal Wang, bei der Yahmed skeptisch ist, ob sie zum Einsatz kommen wird. Im vergangenen Jahr habe man da mit den Terminen sehr viel Glück gehabt: Mit wenigen Einsätzen ausgerechnet gegen direkte Konkurrenz trug Wang entscheidend dazu bei, dass der Abstiegskandidat TSV Fünfter war, als die Saison wegen der Pandemie abgebrochen wurde. Es folgen als inzwischen altbewährte, aber immer noch junge Kräfte: die Kroatin Mateja Jeger und die Weißrussin Alina Nikitchanka, danach die beiden Ungarinnen Feher und Nagyvaradi.

Bleibt eine Frage offen: die nach Winters Ausfalldauer. Ihr Trainer vermutet, eine Rückkehr in der Hinrunde werde "eher schwer" möglich sein. Winter selbst geht fest davon aus, zum Ligaauftakt fit zu sein. Zwei Auswirkungen der Corona-Krise kamen ihr entgegen: Einerseits verschob sich der Saisonstart deshalb etwas nach hinten, andererseits konnte sie ihre Operation spontan vorverlegen, als sich auch die Prüfungstermine für ihr Fachabitur geändert hatten. Sobald das bestanden ist, will sie ans Bundesleistungszentrum nach Düsseldorf zurückziehen. Um schmerzfrei wieder richtig anzugreifen.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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