Synchronschwimmen:Das ist Deutschlands wohl älteste Synchronschwimmerin

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Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann Marie-Luise Jordan mit dem Synchronschwimmen. Für die heute 87-Jährige war der Sport eine Möglichkeit, die Welt zu sehen.

Von Sebastian Winter

München-Neuperlach, siebter Stock in einer grauen Gegend voller Hochhäuser. Marie-Luise Jordan blättert in einem kleinen, beigen Album, sie schmunzelt, sie sieht sich die Bilder ihres Lebens an. Jordan, 87, ist eine kleine Frau, freundlich, fröhlich, zugewandt. Ihr Wohnzimmer steckt voller Bücher, Literaturklassiker, Romane, sie hat fast alles gelesen. Davor der Hometrainer, mit dem sie sich fit hält.

Aber die beiden Alben auf dem Tisch sind vielleicht ihr größter Schatz. Er birgt die Geschichte einer Frau, die 1947 begonnen hat mit ihrem Sport. Vor mehr als 70 Jahren. Und die ihn noch heute ausübt. Bei ihrem Klub, dem Damenschwimmverein, der seit 2007 Teil der SG Stadtwerke München ist, haben sie keinen Zweifel: Jordan ist die älteste Synchronschwimmerin Deutschlands, mindestens, und eine der erfolgreichsten.

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Der Sport wird oft belächelt, stellt aber extreme Anforderungen an die Athleten. Unterwasserkameras produzieren beeindruckende Bilder.

Erst am Wochenende vor Heiligabend hatte sie wieder einen Auftritt. Mit den Jubiläumsdamen, wie sich die Seniorinnen nennen, war sie Teil der alljährlichen Weihnachtsshow der Isarnixen, die seit Jahrzehnten Showauftritte in Deutschland und Europa haben - und ganz nebenbei in Marlene Bojer und Daniela Reinhardt die führenden Synchronschwimmerinnen Deutschlands. Vor rund 1000 Zuschauern zeigte Jordan bei der "Kleinen Hexe", dass sie sich immer noch anmutig im Wasser bewegen kann.

Mit sieben weiteren Damen zeigte sie Figuren im Wasser, wie "Spielzeug", "Kreuz" oder "Qualle". Auch bei der Schneekönigin, Peter Pan und Aschenputtel war Jordan in den Jahren zuvor dabei. Sie ist froh, dass der Übungsstress jetzt vorbei ist, mit vielen Trainings und zwei Generalproben. "Ich möchte jetzt einfach wieder schwimmen, ohne Druck", sagt Jordan.

Die Jubiläumsdamen präsentieren in historischen Anzügen die Urform des Synchronschwimmens, das Musterlegen auf dem Wasser - Bilderreigen genannt. Sie treten in historischen Anzügen auf, aus der Zeit um 1900, als der Damenschwimmverein von den ersten Isarnixen gegründet worden war. Und sie sind laut der Klubchronik die weltweit einzige Gruppe, die diese Art des Synchronschwimmens noch beherrscht und praktiziert.

Die Münchnerin Jordan, die ihrer Stadt immer treu geblieben ist, ist zugleich eine der letzten, die von den Erfolgen aus den fünfziger Jahren erzählen kann. Die Isarnixen waren damals die große Nummer im Synchronschwimmen. Sie reisten durch ganz Deutschland, nach Italien zur Europameisterschaft, in die USA, nach Kanada. Das war völlig ungewöhnlich in jener Zeit.

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(Foto: Claus Schunk)

Lebenswege: Marie-Luise Jordan legt Figuren...

und reiht sich mit den Isarnixen vor der USA-Reise auf.

Ihr Bus fuhr sie durch halb Europa.

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(Foto: Claus Schunk)

Heute hält sich die 87-Jährige auf dem Hometrainer fit.

Und bei den Jubiläumsdamen.

Die zwölf Frauen wurden für Wasserrevuen gebucht, auch für Baderöffnungen oder Feiern. Die Bürgermeister, die sie empfingen, kann Jordan nicht mehr zählen. Ihre mehr als 90 deutschen Meistertitel holten die Isarnixen ohne Jordan, die 1957 aufhörte, just im Jahr der allerersten DM. Später stellte der Klub drei Olympiateilnehmerinnen, Christine Lang gewann 1982 EM-Gold.

Die Strahlkraft der Isarnixen, die seit jeher für den 1903 von 16 Frauen im Wittelsbacher Garten gegründeten Damenschwimmverein starten, war zu Jordans Zeiten immens. Ein Auftritt im Film "Die verschleierte Maja" von Géza von Cziffra machte sie 1951 in der Szene international bekannt. Fünf Jahre später fuhren die Nixen, die meist zu zwölft auftraten, per Schiff als erste deutsche Sportmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA. Für Jordan war es die Reise ihres Lebens. Doch zunächst wurde sie in düstere Zeiten hineingeboren.

In der zu Ende gehenden Ära der Weimarer Republik wuchs sie in der Rosenheimer Straße auf, "vis à vis vom Bürgerbräukeller", jener geschichtsträchtigen Großgaststätte, in der 1939 ein Attentat von Georg Elser an Adolf Hitler scheiterte. Sie war bei den Jungmädeln, vor dem Bund Deutscher Mädel drückte sie sich später nach eigenen Angaben erfolgreich. 1938 lernte sie schwimmen, damals im Müllerschen Volksbad, natürlich streng getrennt von den Männern. Im Verein für volkstümliches Schwimmen begann ihre Karriere. Im Krieg, erinnert sie sich, war sie viele Tage und Nächte im Luftschutzkeller, sie half, Brandbomben zu löschen, versorgte als Krankenpflegerin Verletzte und strickte Soldatensocken.

Nach dem Krieg trat Jordan mit ein paar Freundinnen in den Damenschwimmverein ein, wo die Isarnixen schon seit längerer Zeit schwammen. Bald tourten sie durch ganz Deutschland, mit einem alten Bus, auf dessen Heckscheibe ein selbst gefertigtes Banner prangte. Sie redeten, sangen und strickten auf den langen Reisen, nach Wolfenbüttel, Lüdenscheid, Lemgo, Bad Kissingen oder Leipzig. "Es war damals herrlich, so viel zu reisen", schwärmt Jordan. Sie übernachteten meist in Privatquartieren von befreundeten Schwimmern. Geld verdienten sie, da der Deutsche Schwimm-Verband nur Amateure in seinen Reihen duldete, nicht - auch nicht mit dem Filmauftritt.

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Von Sebastian Winter

1956 wurden die Isarnixen dann nach Amerika eingeladen. Jordan musste als Näherin, was inzwischen ihr Beruf war, unbezahlten Urlaub nehmen, sechs Wochen lang. Mit dem Passagierschiff "Castel Felice" starteten sie am 5. August von Bremerhaven nach New York. Genießen konnte Jordan die Überfahrt aber nicht. "Ich war so seekrank, mir war speiübel", sagt sie heute. Nicht einmal den Hummer aß sie, den es beim Captain's Dinner gab.

Von New York ging es im Flugzeug weiter nach Montreal, später mit dem Zug nach Quebec. Die Isarnixen hatten viele Aufführungen, Höhepunkt waren die kanadischen Meisterschaften - die die Münchnerinnen gewannen. Auch das Rahmenprogramm war spektakulär: Sie sahen die kanadische Wildnis, auch die Niagarafälle, sie erkundeten die Seen per Boot. Danach ging es von New York wieder zurück nach Deutschland, mit Eindrücken, die Jordan nie vergessen hat.

1957 hatte sie dann ihren letzten großen Wettkampf, in Würzburg, bald darauf bekam sie Helmut, ihr einziges Kind. Danach brachte sie Jugendlichen mehr als ein halbes Jahrhundert lang Schwimmen bei, und wurde 1991 zum Kopf der Jubiläumsdamen, mit denen sie noch immer ein bis zwei Mal pro Woche ins Wasser geht. "Sie ist ein Urgestein und hat unheimlich viel geleistet. Vor allem kümmert sie sich um die, denen es nicht mehr so gut geht", sagt Isarnixen-Trainerin Barbara Liegl. Einstige Teamkameradinnen beispielsweise, die heute demenzkrank im Altenheim leben.

In den Neunzigern wurde es stiller um die Isarnixen, doch seit ihrem Eintritt in die SG vor zehn Jahren blühen sie wieder auf. Die WM-Teilnehmerin Bojer und ihre Duettpartnerin Reinhardt wollen zu den Olympischen Spielen 2020 nach Tokio. Jordan verfolgt den Weg der Talente aufmerksam - und denkt zugleich nicht ans Aufhören, trotz zweier künstlicher Kniegelenke: "Ich möchte weitermachen, bis sie sagen, dass sie mich nicht mehr mögen", sagt Jordan. Man ahnt, dass die Nixe noch eine Weile ihre Muster ins Wasser legen wird.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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