Schach:Stolze Nachzügler

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Das Bayern-Emblem auf der Brust, aber kein Geld in der Hand: Valentin Dragnev, 17, Österreicher, und seine Teamkollegen kämpfen in schwieriger Stellung. (Foto: Claus Schunk)

Weil sich der FC Bayern keine Profis leisten will, ist er in der Bundesliga nur Außenseiter

Von Thomas Gröbner, München

Es gibt Sätze von Franz Beckenbauer, die in ihrer Unbeschwertheit das Ernste und Brutale wunderbar leicht erscheinen lassen. Vielleicht hält sich auch deshalb einer dieser Sätze so gut, von dem nicht einmal verbürgt ist, dass er ihn tatsächlich gesagt hat: "Die Klötzchenschieber brauchen wir nicht mehr."

Als Präsident des FC Bayern München ließ Beckenbauer 1995 den Etat für die Schachspieler zusammenstreichen - es sollen 250 000 Mark gewesen sein - und die Profi-Mannschaft auflösen. Womit er den neunmaligen deutschen Schachmeister und Europapokalsieger in die Bedeutungslosigkeit versenkte. 13 Jahre sollte es dauern, bis Bayern München als Amateurteam zurück in die Bundesliga kam. Bis heute hat es sich dort halten können - wenn auch oft nur mit fremder Hilfe.

Doppelspieltag in der Schach-Bundesliga, nach eigenem Bekunden die stärkste Liga der Welt: Der FC Bayern spielt an diesem Wochenende gegen den Hamburger Schachklub, die Münchner Schachakademie (MSA) Zugzwang 82, der zweite Bundesligist aus der Landeshauptstadt, begrüßt Werder Bremen. Zwei Klubs, zwei Mal Abstiegskampf.

Sechzehn Paar Hände schütteln sich gleichzeitig, dann trampeln die Bauern nach vorne. 32 Spieler sitzen sich gegenüber, 14 Zuschauer umrunden die Tische im Kulturhaus Milbertshofen. Ein Schiedsrichter mit baumelnder Krawatte beugt sich über die Bretter, vorher hat er die Handys der jungen Bremer Spieler eingesammelt. An Waschbetonwänden hängen Ölbilder, ein Beamer wirft die Stellungen der Partien auf eine Leinwand. Emsige Ruhe in VHS-Atmosphäre, die live im Internet übertragen wird. Leuchtendes Rot der Bayern-Trikots, saftiges Werder-Grün auf der anderen Seite. Am Sonntag tauschen die Münchner Klubs die Gegner.

"Erstaunlich" nennt es Stefan Kindermann, Großmeister bei der MSA Zugzwang, überhaupt in die Bundesliga aufgestiegen zu sein. Zum ersten Mal richtet der Verein eine Bundesliga-Partie aus, er genießt den Moment. Weil sie darauf verzichtet haben, sich mit Profis zu verstärken und die Saison nur mit Amateuren bestreiten, ist der Abstieg eingeplant. Im Spiel der kalten Analytiker ist nicht viel Raum für wärmende Außenseitergeschichten. Für jeden Zug gibt es viele Möglichkeiten. Aber um Titel zu gewinnen, nur eine: die besten und teuersten Spieler einzufliegen.

Dominiert wird die Liga von Baden-Baden und Solingen, Teams, die für viel Geld Top-Spieler aus aller Welt anheuern. Sie kommen aus Indien, aus Osteuropa, aus China. Manche sitzen für fünf Vereine in Europa am Brett. Eingeflogen werden sie nur für die Partien gegen die Besten, es ist ein Wettlauf an der Spitze. In der Mitte der Tabelle balgen sich Vereine, die am Tropf von privaten Geldgebern hängen und sich auflösen, sobald das Geld versiegt. Und unten, da kämpfen ein paar Amateurvereine gegen den Abstieg.

Seit dem Beckenbauer-Bonmot ist es beim FC Bayern nicht mehr geduldet, Profis an die Bretter zu schicken. Abteilungsleiter Jörg Wengler kann das heute nachvollziehen. Man habe eben nicht mehr die Basis gesehen, mit Schach Geld zu verdienen: "Schach kann nicht die Massenwirksamkeit entfalten wie der Fußball oder Basketball." 100 000 bis 200 000 Euro würden reichen, damit könnte man eine titelfähige Mannschaft zusammenkaufen, da sind sich Kindermann und Wengler einig. Den Gegenwert, die Aufmerksamkeit, den sich Sponsoren wünschen, könnten Schachspieler aber nicht generieren. Deshalb sei Schach ein typischer Amateursport.

An den Brettern sitzen junge Männer, 19, 20 Jahre alt, sie tragen Fußball-Trikots, die sie im Fanshop bestellt haben, mit dem im Kragen eingestickten Leitmotiv "Mia san mia". Vielleicht wäre "Wer san mia?" passender. Das Bayern-Emblem auf der Brust zu tragen, tut gut, sie tragen es mit Stolz. Ob sie jemals einen der Fußballer hier gesehen haben? "Nie."

"Wir sind in den letzten Jahren permanent auf Abstiegsplätzen gelandet, und dann nur in der Liga geblieben, weil andere Vereine zurückgezogen haben oder nicht aufsteigen wollten", sagt Wengler. Mit den Top-Teams mithalten? Unvorstellbar. "Gerade so" könne man in die Bundesliga reinschnuppern. Doch Wengler ist sicher: "Unser Modell ist langfristig das bessere. Auch wenn wir nicht oben mitspielen können." Gegen Bremen verlieren beide Münchner Klubs 1,5:6,5. Auch gegen Hamburg unterliegt Bayern (3:5), die MSA holt beim 4:4 überraschend ein Remis. Die Bundesliga mag die stärkste Liga der Welt sein. Sie bleibt aber dennoch: eine Zweiklassen-Gesellschaft.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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