München:Söhne Olympias

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Ein Ausdauersprinter, ein Durchstarter und ein bewegender Rekord: Drei Nachwuchs-Leichtathleten aus der Region und ihre erstaunlichen Geschichten.

Von Andreas Liebmann und Elena Winterhalter, München

Die Geher sind noch unterwegs, die Langstrecken- und Marathonläufer. Die Nimmermüden. Im Wesentlichen ist sie aber vorbei, die Leichtathletik-Saison, und aus Münchner Sicht bleiben vor allem zwei Frauen im Gedächtnis: Christina Hering, 22, als Halbfinalistin der Weltmeisterschaften in London über 800 Meter und Siebte bei der Universiade in Taipeh. Und Selina Dantzler, 17-jährige Werferin von der LG Stadtwerke München, die in Nairobi Mitte Juli den größtmöglichen Erfolg ihrer Altersklasse feierte: Sie wurde Kugelstoß-Weltmeisterin. Ein Titel, den sie vielleicht ewig hält, weil der Weltverband künftig keine U-18-WM mehr austragen will.

Auch fernab internationaler Großereignisse gab es in der Region viele erstaunliche Geschichten aus der Leichtathletik. Gerade im Nachwuchs haben sie es oft schwer, in die Zeitung zu finden. Etwa von Jakob Hangen vom TSV Vaterstetten, der im Februar beim Munich Indoor antrat, als 16-Jähriger mit einer Meldeleistung von 1,79 Meter - und trotz mehrmonatiger Wettkampfpause mal eben 1,95 Meter übersprang, was einen Vereinsrekord bedeutete und den Sieg in der Männerkonkurrenz. Oder von Paulina Pompino von der LG Würm Athletik. Mit ihrer Hochsprung-Bestleistung vom Jahresbeginn (1,70 Meter) zählte sie bei den deutschen U-16-Meisterschaften vor gut zwei Wochen in Bremen zu den Medaillenkandidaten, durfte aber nicht starten, weil ihre Trainer versehentlich ihre Startkarte nicht abgaben. Auch die drei folgenden Talente kann man sich für die Zukunft ruhig mal vormerken - hier sind ihre Geschichten.

Dominik Idzan, 14

Das Leben besteht nicht aus Zentimetern. Kaum jemand dürfte das in diesem Moment besser gewusst haben als der 14-jährige Dominik Idzan. Und doch waren ihm diese Zentimeter, die da gemessen wurden Ende Juli beim Kugelstoßmeeting auf dem Marktplatz von Böhmenkirch, so wichtig wie nie etwas zuvor in seinem jungen Sportlerleben. Der sonst so stille Teenager jubelte. Er ballte die Faust. Im ersten Versuch hatte er 18,01 Meter gestoßen, damit hatte er einen vermeintlichen Jahrhundertrekord übertroffen. Um 67 Zentimeter. Doch darum ging es nicht. "Ich hatte endlich den Wunsch meines Vaters erfüllt", erklärt er.

Anfang des Jahres hatte Dominik Idzan seinem Vater versprochen, er werde 2017 die 18-Meter-Marke angreifen. Es war ein Saisonziel damals, mehr nicht, und ein ausgesprochen ambitioniertes obendrein. Bei 17,34 Meter lag die bayerische Bestmarke bis dahin, sie stammte aus dem Jahr 1973. Fast 44 Jahre bestand sie. Dominik Idzan ist ein herausragendes Talent, vor drei Jahren entdeckt. Mit 14 ist er etwas größer als 1,90 Meter und hat schon eine echte Kugelstoßer-Statur. "Man kann ihn anders belasten als Gleichaltrige", sagt sein Trainer Andreas Bücheler. "Sehr trainingsfleißig" sei der Schüler, und einer, der die Kugel im richtigen Moment voll raushauen könne.

Jenes Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte, gewann für Dominik Idzan nachträglich an Bedeutung. "Sein Papa hat ihn immer angespornt", erzählt seine Mutter Martina, "er war sehr, sehr stolz auf ihn." Bis zuletzt sei diese Marke immer mal wieder Thema gewesen - Dominik Idzans Vater ist in diesem Jahr gestorben, unerwartet, nach kurzer, schwerer Krankheit. Den Rekordwurf erlebte er nicht mehr mit.

Sie glaube schon, dass ihrem Sohn der Sport auch Halt gegeben habe, sagt Martina Idzan. Seine Freunde und Trainingspartner im Wurfteam des TSV München-Ost gaben auf ihn Acht, "da hat sich das Team bewährt", glaubt Bücheler. Dominiks Mutter und die beiden älteren Brüder wollen ihn bei Wettkämpfen weiter unterstützen, "er hat da schon seinen Fanklub", sagt Martina Idzan. Aber der sportliche Erfolg sei schon "sein eigenes Ziel, er will Olympia unbedingt erreichen. Dafür trainiert er hart". Nach dem Rekordstoß hat ein gewisser Werner Hartmann Kontakt zur Familie Idzan aufgenommen. Der Inhaber einer Druckerei im Allgäu kündigte an, Dominik Idzan unterstützen zu wollen auf dessen Weg, in welcher Form auch immer. "Ich finde das toll, dass er dieses Interesse zeigt", sagt Martina Idzan. Hartmann, muss man wissen, war mal als Diskuswerfer bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles dabei; er stellte einen Jugendweltrekord auf; und er war es, der als Jugendlicher die Vier-Kilo-Kugel 17,34 Meter weit stieß. Vor fast 44 Jahren.

Vom Rasen zum Raser: Vor einem Jahr begann Alessandro Rastelli mit der Leichtathletik, nun ist der ehemalige Fußballer deutscher Meister. (Foto: Hartmut Pöstges)

Alessandro Rastelli, 15

Als Alessandro Rastelli die Tartanbahn verlässt, hat er noch nicht realisiert, was in seinem 100-Meter-Vorlauf gerade geschehen ist. Er muss dem Lauf der Konkurrenz abseits der Strecke zuschauen. Zu schnell wollte er aus den Startblöcken schießen, verursachte einen Fehlstart. Aus der Traum vom Doppelsieg bei seinen ersten deutschen Meisterschaften. Viel Zeit, die Enttäuschung zu verdauen, hat der 15-Jährige aber nicht. Am nächsten Tag kniet er wieder im Startblock. Diesmal im Finale über 300 Meter. Jene Distanz, über die er einige Wochen zuvor den deutschen Rekord um eine knappe Sekunde verbessert hat. Auf die Plätze, fertig, Schuss. Alles gelingt, Alessandro Rastelli läuft der Konkurrenz davon und sprintet in 34,84 Sekunden zu seinem ersten deutschen Meistertitel.

Das Unglaubliche: Erst seit einem Jahr trainiert der 15-Jährige Leichtathletik, bei der DJK Waldram in Wolfratshausen, nicht gerade einer Leichtathletik-Hochburg. Sein Trainer Willi Martin spricht von einem "Ausnahmetalent", das er im Sportunterricht am Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium in Pullach entdeckt hat, "ein fantastischer Junge", dessen Laufstil ihm sofort aufgefallen war. In seiner jungen Karriere ist der Zehntklässler nun schon bayerischer Hochsprungmeister in der Halle geworden, er ist auf der 100- und der 300-Meter-Strecke bayerische Bestzeiten gelaufen, hat den deutschen 300-Meter-Rekord verbessert und im August in Bremen den deutschen Meistertitel erobert. "Ein schönes, erfolgreiches Wochenende", fand er, trotz der Enttäuschung über 100 Meter.

Bevor Alessandro Rastelli zur Leichtathletik kam, spielte er Fußball beim SV Pullach. Seine Erfolge im vergangenen Jahr beweisen: Der Wechsel war die richtige Entscheidung. Auch sein Vater Vincenzo ist glücklich damit, er war selbst ein Leichtathlet. Statt auf dem Rasen trainiert Alessandro nun drei bis vier Mal die Woche auf der Laufbahn, motiviert und zielstrebig. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Sein nächstes großes Ziel sind die Olympischen Jugendsommerspiele 2018 in Buenos Aires.

Auf allen Distanzen: Vincente Graiani beweist über 100, 200, 400 und 800 Meter erstaunliche Vielseitigkeit. Und nicht nur dort. (Foto: Timo Premru)

Vincente Graiani, 16

Es ist Stau. Gerade hat Daniela Graiani-Peter ihren jüngsten Sohn Luca ins Training gefahren, der Elfjährige spielt Fußball beim TSV 1860 München. Auch Moritz, 13, ist Fußballer, beim Kirchheimer SC. Doch die Mutter ist nun in Eile, weil sie Vincente abholen muss, auch der 16-Jährige will ins Training befördert werden. Fünf Mal pro Woche. "Ein kleiner Shuttle-Service", sagt die Mutter lachend. Aber sie macht das gern. Besonders weil ihr Ältester nun Leichtathlet ist, wie sie selbst. Vor zwei, drei Jahren hat er aufgehört mit dem Fußball, "ich hatte die Lust verloren", sagt er, in den Zweikämpfen habe er nicht mehr mithalten können. "Wir stehen voll hinter ihm", sagt die Mutter und bezieht ihren Bruder Faliero Graiani gleich mit ein. Denn der war mal deutscher Mannschaftsmeister über 400 Meter Hürden, sie selbst hatte über diese Hürdendistanz sogar die Olympianorm für Atlanta 1996 geschafft. Weil es als Deutschlands Nummer vier damals nicht klappte mit dem Start, nahm sie später die österreichische Staatsbürgerschaft an, doch vor Sydney 2000 musste sie ihre Karriere verletzungsbedingt beenden. Eine Verletzung war es auch, die ihren Vincente vor einigen Monaten zur LG Stadtwerke München und zu Trainer Jonas Wahler brachte. Ein Ermüdungsbruch. "Die haben ihn toll aufgefangen", sagt sie. "Er war viel im Wasser, bis April hatte er noch keine Spikes an - und trotzdem hat er dann einen enormen Leistungsschub gehabt." Vor ein paar Wochen hat Vincente Graiani die Landeskadernormen über 100, 200, 400 und 800 Meter geschafft. Über 400 ist er der Schnellste seines Jahrgangs in Deutschland. Diese Vielseitigkeit sei "einmalig", sagt Trainer Wahler. Auch Daniela Graiani-Peter staunt: "Ich hätte nie gedacht, dass er über 100 Meter so schnell sein könnte." Denn gleichzeitig ist ihr Sohn ein starker Ausdauerathlet: Beim Münchner Silvesterlauf 2016 belegte er über fünf Kilometer Rang zwei - in der Männerwertung.

Vincente Graianis Ziel für die neue Saison ist die U-18-Europameisterschaft in Ungarn. Und Olympia, klar, "dafür mache ich das alles", sagt er. Um den Weg der Mutter zu beenden? "Nein, nein, für mich", versichert er. "Es fehlt noch viel, aber Olympia wäre mega." Nur in einem Punkt schlägt Vincente aus der Art: "Auf Hürden habe ich gar keine Lust", sagt er. "Dafür bin ich viel zu unbeweglich."

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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