München:Ausgetrickst

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Vollversammlung: Vor dem Freistoß von Nico Karger stellen sich vier Löwen zur Bayern-Mauer. Kargers Schuss landet zum 1:0 für den TSV 1860 im Netz. (Foto: Claus Schunk)

Außenseiter TSV 1860 II gewinnt das Derby gegen den FC Bayern II mit 2:0 Toren. Deren Trainer Heiko Vogel will nach der verdienten Niederlage erst einmal nichts mehr von einem Kampf um die Meisterschaft hören

Von Christoph Leischwitz, München

Eigentlich hatten sie diesen Freistoßtrick schon abgehakt, hatte in der Praxis auch nie so richtig geklappt, erzählt Nico Karger. "Es ist auch schon eine Weile her, dass wir ihn zum letzten mal ausprobiert haben, ungefähr drei Wochen", so der Angreifer der U21 des TSV 1860 München. Doch nun, in dieser elften Spielminute im Münchner Derby, kramten sie ihn noch einmal aus, es war einfach zu verlockend: Nicholas Helmbrecht hatte von Schiedsrichter Günter Perl am Strafraumrand einen Freistoß zugesprochen bekommen, der Ball lag zentral und nur Zentimeter hinter der Sechzehner-Linie. Dann postierten die jungen Löwen neben die Fünf-Mann-Mauer des FC Bayern II eine zusätzliche Vier-Mann-Mauer, Torhüter Andreas Rössl reckte vergeblich den Hals, er sah den Ball nicht mehr. Dann lief Karger an, die Mauer der Sechziger bewegte sich ein kleines bisschen zur Seite. Der Ball sprang direkt neben Rössl an den Innenpfosten und von dort ins Tor. Und weil es von den jungen Bayern vergleichsweise wenig Kreatives zu sehen gab an diesem Sonntagnachmittag, hatten sich die jungen Löwen mit dem eilig abgestaubten Trick auf die Siegerstraße gebracht. Am Ende gewann der Außenseiter verdient mit 2:0 (1:0).

Nicht nur Rössl, alle Spieler hatten in diesem friedlich-winterlichen Derby vor nur 10 300 Zuschauern zunächst eine schlechte Sicht gehabt. Kurz nach 14 Uhr braute sich einiges zusammen über dem Grünwalder Stadion, es begann zu schneien und zu stürmen, die Trikots flatterten den Spielern am Leib. Die Sechziger hatten in dieser Partie des 20. Spieltags Heimrecht und offensichtlich nicht daran gedacht, das Flutlicht anzumachen. Viel Sehenswertes gab es in den Anfangsminuten allerdings nicht. Ohne jeglichen Trick hatte Patrick Weihrauch den ersten Freistoß für die Bayern weit über das gegnerische Tor geschossen (9.), dann folgte auch schon der Freistoß auf der anderen Seite, der die Führung bringen sollte. Ob der Pfiff berechtigt war, wollte Bayerns Trainer Heiko Vogel zumindest einmal in Frage stellen. Nach einem Konter über die rechte Seite war der aus dem Profikader zur Verfügung gestellte Romuald Lacazette bedient worden. Sein zu leicht gespielter Querpass auf den freien Helmbrecht nahm eigentlich das Tempo aus dem Spiel. Der Angreifer stoppte ab, wollte noch aufs Tor schießen und wurde dabei von Philipp Walter attackiert - Perl erkannte darin ein Foul. "Wir sind unglücklich in Rückstand geraten mit diesem Freistoß", sagte Vogel später. Er merkte allerdings schnell an: "Aufgrund der zweiten Halbzeit ist 1860 München der verdiente Sieger." Denn dem Trainer hatte überhaupt nicht gefallen, wie seine Mannschaft auf den Rückstand reagierte. Mehrere seiner Spieler sollten sich einmal fragen, "ob sie überhaupt den Fußball lieben", sagte er, und kritisierte mangelnden Einsatz sowie ein "Mentalitätsdefizit". Tatsächlich hatte der Meisterschaftsanwärter, der laut Vogel erst einmal keiner mehr ist, über 90 Minuten keine einzige gute Chance gehabt. Am meisten sorgte noch Julian Green auf der linken Seite für Druck. Doch in der 39. Minute kam seine Flanke nach einem guten Sololauf zu ungenau, eine Minute später stellte sein Distanzschuss den 1860-Keeper Michael Netolitzky vor keine größeren Probleme. Auch als der Profi im Bayern-Kader, Jan Kirchhoff, in der zweiten Halbzeit seine Abwehrposition weitgehend aufgab und die Regie im Mittelfeld übernahm, blieb das Angriffsspiel harmlos. "Zurzeit läuft es einfach nicht", sagte Angreifer Green nach dem Spiel.

Als er das sagte, standen die Spieler mit den blauen Trikots noch auf dem Zaun vor der Gegengerade und feierten lautstark mit den Fans. Auch bei den Sechzigern ist es zuletzt alles andere als rund gelaufen. Erst vergangene Woche hatten sie ihr Heimspiel gegen den SV Schalding-Heining 1:2 verloren, die Mannschaft befindet sich etwas überraschend im Abstiegskampf. Doch gegen die Bayern hatte man sich auch schon in der Hinrunde mehr als gut verkauft, beim torlosen Remis allerdings seine Chancen nicht verwertet.

Das war diesmal anders. Nach Kargers Freistoßtor traf in der zweiten Halbzeit auch noch Nicolas Andermatt, nachdem er den jungen Innenverteidiger Marco Friedl umspielte und aus kurzer Distanz den Ball ins kurze Eck drosch (48.). Der Sieg hätte noch höher ausfallen können, so traf zum Beispiel Felix Weber mit einem Kopfball den Innenpfosten (68.). Die zweite Maßnahme zum Erfolg: "Wir wollten dem Gegner keine Luft lassen, immer den Ballführenden attackieren. Das ist natürlich sehr anstrengend", erklärte Trainer Daniel Bierofka später. Der 36-Jährige hatte bislang weder als Spieler noch als Trainer eine Partie gegen die Bayern gewinnen können. Er freue sich aber vor allem für die Mannschaft. "Sie hat wochenlang nur auf die Fresse bekommen, jetzt dürfen sie sich erst mal freuen", sagte er. Aber nur bis Montagfrüh. Denn ein Spiel steht vor der Winterpause noch aus, der Abstiegskampf geht weiter. Und das war Bierofka sogar noch wichtiger, als den Bayern im Titelrennen wichtige Punkte zu klauen.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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