München:Neue Chance für den Eiskunstlauf?

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"Ich muss alles ausschöpfen, ohne laut zu werden. Sonst habe ich versagt": Igor Strelajev und Jana König, die zwei neuen A-Lizenz-Trainer in München. (Foto: Robert Haas)

Igor Strelajev und Jana König wollen in München die Liebe zum Eiskunstlauf wieder wecken. Das Trainerpaar setzt auf Empathie statt Drill.

Von Isabel Winklbauer, München

Noch tut sich nichts im westlichen Olympiapark. Noch sind keine Bauarbeiter am Werk, um die vom Stadtrat beschlossene Mehrfachhalle zu errichten. Am Münchner Eiskunstlauf, der dort neben dem deutschen Eishockey-Meister EHC Red Bull und Basketball-Champion FC Bayern unterkommen soll, wird allerdings fleißig gewerkelt - an der Verbesserung der schwachen Leistungssportabteilung durch ein neues Trainerkonzept.

Nach mehr als einem Jahrzehnt unter der Führung von Stützpunktleiter Andrejs Vlascenko unterrichten im Olympia-Eissportzentrum seit dieser Saison vier gleichberechtigte A-Lizenz-Trainer. Nicht mehr ein Festangestellter gibt die Direktive vor, sondern mehrere Freie. "Konkurrenz belebt das Geschäft", sagt Julia Degenhardt, Referentin für Eiskunstlauf im Bayerischen Eissportverband. "Ab nun müssen die freien Trainer attraktiv sein, um gute Läufer zu halten."

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Vlascenko, dessen Vertrag in der Saison 2016/17 auslief, weil München seinen Status als Stützpunkt verlor, bleibt den 38 Meisterschaftsläufern und dem Nachwuchs somit erhalten. Auch Stefanie Ruttkies, die schon Annette Dytrt, Eva-Maria Fitze und zu seiner aktiven Zeit auch Vlascenko trainierte. Neu in dieser Vierer-Konstellation sind Jana König und Igor Strelajev, die in diesem Sommer ihre A-Lizenzen erhalten haben. Sie lösten sich im Sommer aus dem bislang maßgeblichen - und nun aufgelösten - Team Vlascenko, dem sie als Co-Trainer angehörten. Sie machen weiter als selbständige "Trainer für die Elite", wie es im Reglement heißt.

Strelajev kam 2009 nach München, wo er seither als Vlascenkos rechte Hand fungierte. Er gilt als exzellenter Trainer für jüngere Kinder. Wie vielen er den Axel beibrachte, wie viele er zu Wettkämpfen in der Region begleitete, weiß niemand. "Igor, übernimmst du mal?" - diesen Satz hören die Eltern an der Bande schon gar nicht mehr, so oft schallte er über Eis. Mit unerschütterlichem Gleichmut tröstet er enttäuschte Prüflinge und verzweifelte Mütter, treibt zu mehr Tempo an, verteilt Kaugummis in exotischen Geschmacksrichtungen. Vor allem aber: er schreit nie. Auf keinen Fall. "Meine Aufgabe ist es, alles verständlich zu erklären", sagt Strelajev. "Ich bin es, der alle Möglichkeiten ausschöpfen muss, ohne laut zu werden. Sonst habe ich als Trainer versagt."

Strelajev stammt aus dem kasachischen Karaganda. Dort ging es wesentlich härter zu: Seine Mutter schickte ihn bei minus 30 Grad aufs Eis, der Abwehrkräfte wegen. Seine Jugend verbrachte er im Eislaufinternat in Jekaterinburg. So wie sein eigener Trainer, der ihn ständig anschrie, habe er nie werden wollen, erinnert sich Strelajev. Nicht zuletzt deshalb lernte er später, als er an der Moskauer Sportakademie studierte, mit Vorliebe für das Fach Psychologie. 1992 emigrierte er in den Westen. Hier landete er in Königsbrunn bei Augsburg, heiratete und gründete eine Familie. "Er ist viel zu wenig streng", sagen einige Eltern und Kollegen über Strelajev. Doch genau das könnte nun zur Chance für München werden. Schließlich liegt er mit seinem Konzept nicht weit weg von dem des Olympia-Goldtrainers Alexander König. Auch der hatte als junger Läufer Ungerechtigkeit und Drill erlebt und setzt nun auf Empathie und Teamgeist. Dass sich Verständnis in jedem Alter auszahlt, bewies Strelajevs Schüler Stefan Ullmann: Er holte im Mai Gold bei der ISU Adult Competition.

Auch Strelajevs neue Lebensgefährtin Jana König hat ihre Wurzeln in Kasachstan. Ihre Familie kam aus Aktjubinsk nach Waldkraiburg, als sie sieben war. Die bayerische Nachwuchsmeisterin von 2006 ist praktisch auf der Eisbahn aufgewachsen, schob schon mit drei Jahren in der Laufschule einen Stuhl übers Eis ("Das waren damals in Kasachstan die Pinguine.") und schlief in einen Mantel gewickelt auf der Tribüne, während ihre Mutter ihrer Ämter als Trainerin und Wettkampfrichterin waltete. Heute steht König, seit 2013 Trainerin in München, vor dem Abschluss ihres Studiums als Sport- und Deutschlehrerin. Auf dem Eis ist sie als versierte Technikerin gefragt. Außerdem wird ihre strukturierte Arbeitsweise geschätzt. Der Deutsche Olympische Sportbund lud sie dieses Jahr zu einem Meeting ein, in dem die Kriterien für die Aufnahme in den Bundeskader neu erarbeitet wurden. "Diese Kriterien sind bisher zu streng", sagt König, "gerade was die Rahmenbedingungen, also beispielsweise Trainingszeiten, betrifft." Diese könnten nur die Stützpunkte erfüllen, aber eben nicht mehr München. "Wir haben hier mildere Regelungen angeregt", sagt König.

Die Rahmenbedingungen für Erfolge im Eiskunstlauf sind an der Isar miserabel. Die Stadt stellte vergangenes Jahr ihre Förderung für den Leistungssport ein. Im alljährlichen Hauen und Stechen um Eiszeiten gucken MEV und ERC sowie die Obmannschaft des Bayerischen Eissportverbands oft in die Röhre. Um gute Meisterschaftsläufer zu halten, wären mehr Stunden nötig. Auch sei der Übergang vom Breitensport in den Leistungssport schwierig, sagt König. "Sportarten wie Fußball oder Ski haben mehr Kadersportler und Grand-Prix-Teilnehmer, weil sie ihre Talente aus der breiten Masse schöpfen. Aber wie soll man für das Eis Breitensportler gewinnen, wenn die Freistadien sieben Monate im Jahr geschlossen sind und die Stadt sie nicht überdacht? Der jetzige Zustand ist ein Armutszeugnis. München war doch einmal eine große Eiskunstlaufstadt."

Die Liebe zum Kunstlauf, die in München bis in die 80er Jahre hinein so lebendig war, könne man durchaus wieder wecken, meint Strelajev. "Wir brauchen nur Vorbilder." Er erwarte, dass sich bei den Älteren in zwei bis drei Jahren, bei den Kleinen in sieben bis acht Jahren solche erfolgreichen Sportler herauskristallisieren. Sechs beherrschten derzeit den Doppelaxel, die Eintrittskarte für internationale Wettkämpfe. Strelajev, König, Vlascenko und Ruttkies kämpfen fortan als Team München darum, sie zu halten. Steht die neue Halle wie geplant 2021, gibt es Hoffnung für die Eiskunstlaufstadt München.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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