BMW Open:Lederhosen in Eis

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Die BMW Open waren nicht nur sportlich bemerkenswert. Das ATP-Profiturnier hat sich auch als gesellschaftliches Ereignis etabliert.

Von Gerald Kleffmann

Neun Tage dauerten die 102. Internationalen Tennismeisterschaften von Bayern. Auch wenn diesmal kein Schwergewicht wie vor zwei Jahren Andy Murray präsentiert und kein Zuschauerrekord erreicht wurde, gab es viele Momente, die diese BMW Open unverwechselbar machten. Ein Rückblick auf Begegnungen und Szenen, die den Charakter des Münchner ATP-Profiturniers auch abseits der Plätze widerspiegeln.

Beckers Offenbarung

Preis fürs Lebenswerk: Boris Becker präsentiert seine Iphitos-Tophäe. (Foto: Alexander Hassenstein)

Die Woche beginnt mit einer Ehrung. Und einer Überraschung. Man sollte ja denken, es sei der zigste Lifetime-Award, den Boris Becker erhalten habe. "Aber so war es ja gar nicht", sagt Veranstalter Michael Mronz. Es ist wohl die spezielle Aura des früheren Weltranglisten-Ersten, die die Wahrnehmung manchmal verzerrt, Becker wirkte irgendwie stets omnipräsent, "jeder dachte ja auch, er wäre zwei Jahre die Nummer eins gewesen", erinnert Mronz. Dabei seien es nur zwölf Wochen gewesen. Becker sagt bezeichnend, der Preis, überreicht von Ex-Fußballer Matthias Sammer, habe für ihn "einen hohen Stellenwert, ich bin hier für meine sportlichen Leistungen in Deutschland sehr lange nicht geehrt worden". Bemerkenswert seine Offenbarung: "Es ist mir wichtig, hier respektiert zu werden." Möglicherweise wird Becker andere Preise dieser Art erhalten. Aber beim MTTC Iphitos können sie nun für immer sagen: Wir waren die Ersten!

Lüthy und der Löffel

Tommy Haas bekommt von Turnierdirektor Patrik Kühnen eine Lederhose, uneingefroren. (Foto: Alexander Hassenstein/getty)

Patrik Kühnen biegt um die Ecke, er grüßt freundlich, ein Small-Talk. Da durchzuckt es ihn: "Ich muss Ihnen etwas zeigen!" Der 51-Jährige aus Püttlingen, der in Dubai lebt, ist der Turnierdirektor, im zehnten Jahr, Kühnen war Profi, 1988 stand er im Viertelfinale von Wimbledon, legendär sein Sieg gegen Jimmy Connors, den Kühnen Schlag für Schlag nachspielen kann. Er kramt sein Smartphone hervor, "das hat mir mein erster Trainer Helmut Lüthy zu Ostern geschickt". Ein Video. In dem Filmchen sitzt Lüthy vor einem Tisch. "Ich erkläre jetzt, lieber Patrik, wie du die Vorhand greifen musst." Vor ihm liegt eine Tasse. Daneben ein Löffel. Daneben eine Gabel. Leicht aufeinander liegend. Lüthy haut mit der rechten Hand auf die Gabel, durch die Hebelwirkung fliegt der Löffel hoch - in die Tasse. Mit diesem Handwinkel solle Kühnen die Vorhand greifen. Kühnen lacht. Tage später ist Lüthy in München. 78 fitte Jahre, ein fröhlicher Mensch. Er erzählt eine Geschichte. Nach einem harten Training habe er zu Kühnen gesagt: "So, und jetzt drei Kugeln Eis!" So war das damals. Aber man solle sich nicht täuschen: Er sei streng gewesen. Was Kühnen bestätigt: "Ich kam bei meinem ersten Training um zehn Minuten zu spät. Nach 150 Kilometern Anfahrt. Da sagte Helmut: Ich fahr in die Stadt! Wir sehen uns morgen!" Kühnen lacht. "Ich kam nie mehr zu spät!"

Coole Story

Von der Eislederhose des Siegers war Yannick Hanfman bei seinem starken Debüt in München noch ein Stück entfernt. (Foto: Alexander Hassenstein/getty)

Es gibt so manche sportliche Geschichte des Turniers, der Abschied von Tommy Haas, das frühe Aus des dreimaligen Siegers Philipp Kohlschreiber, eine der besten ist die von Yannick Hanfmann. 25, Karlsruher, vier Jahre Studium am College in L.A. - und schwerhörig. Als Qualifikant spielt er sich bis ins Viertelfinale. Bei seiner ersten Pressekonferenz weist er auf sein vermindertes Hörvermögen hin, kurze Betroffenheit, die fehl am Platze ist. Erstens hört Hanfmann so, dass das Gespräch problemlos verläuft. Zweitens ist er auf Zack. Hat Humor, ordnet tiefgründig ein, er wisse ja, er sei "eine coole Story". Ausgiebig schwärmt er von seiner Zeit an der University of California, und von den letzten zwei Jahren, die ihm den Schub gaben. Er trainiert nun an der Tennis-Base, dem Leistungszentrum des Bayerischen Tennis-Verbandes in Oberhaching. Lars Uebel ist überwiegend sein Coach, ein Motivator und Analytiker vor dem Herrn. Hanfmann hofft jetzt, dass auch andere Turnierveranstalter ihm eine Wildcard geben. "Vielleicht könnt ihr was machen?", sagt er. Ja, er macht sich auch seinen Spaß aus den Medien, deren Mechanismen er kennt. Seine Schwester ist Profitänzerin, er hat sie mal zur Sendung "DSDS" begleitet. War gut, sagt er. Aber sein wahres "Träumchen" sei es, gegen Roger Federer in einem Turnier antreten zu dürfen. Einmal hat er mit ihm trainiert. Jetzt steht für ihn Usbekistan an, ein Challenger. Hanfmann sagt trocken: "Das wird eine andere Erfahrung." Der Hanfmann'sche Esprit ist ein guter Esprit.

Wyclef Jean und der Goldanzug

Diesmal im gelben Sakko auf der Players-Night: Manfred Dirrheimer und seine Gattin zwischen den Tennis-Profis (v. l.) Roberto Bautista Agut, Gael Monfils und Fabio Fognini. (Foto: Getty Images For BMW)

Was auch zu würdigen ist: Die Internationalen Meisterschaften von Bayern entwickeln sich zu den Internationalen Festivitäten von Bayern. Samstag Pro-Am-Feier, Sonntag Players Party, Dienstag Sause einiger Profis im In-Lokal Burger&Lobster, Donnerstag Remmidemmi mit der Bild-Zeitung, und am Samstag kam der leibhaftige Wyclef Jean vorbei. Ja, der! Der von den Fugees, der Kultsänger aus Haiti, der politische Aktivist. Möglich machte es wieder Dr. Manfred Dirrheimer mit seiner "FWU Night", mit seinem Versicherungsunternehmen unterstützt er als zweitwichtigster Sponsor seit Jahren das Turnier. Vor zwei Jahren traten Mando Diao auf, 2016 James Morrison. Auch Wycelf Jean singt live, unplugged, klar, nur die Gitarre in der Hand, er rappt und röhrt, bis sich alle erheben, 911, no women no cry, killing me softly, ab gehen die Hüften. "Ich singe nicht, ich gebe Vibrationen weiter", brummt Wyclef Jean, der am Nachmittag in der Fußball-Arena war. Jetzt weiß auch er, immer noch gut in Form, dass es eine Mannschaft namens Darmstadt gibt, die ja gegen Bayern spielte. In dritter Reihe groovt Dirrheimer, der Anzug komplett goldfunkelnd, dazu schwarze Sneaker mit Goldkante. Vor Jahren trug er schneeweiße Anzüge mit edelstem Einstecktuch. Dirrheimer ist ein glasklarer Geschäftsmann, das gibt er gerne zu. Aber er ist auch jemand, der mit seiner Mischung aus feudaler Extravaganz und Tom-Wolfe-Stil jedes Event bereichert - und den man sich, würde es einen zweiten Teil von Pulp Fiction geben, mit Samuel L. Jackson und John Travolta beim Cruisen in einem Mustang vorstellen könnte. Den Schneider seines mooshammer-esken Anzugs will er nicht verraten, er soll sich ja weiterhin bevorzugt um ihn kümmern. Er grinst. Aber die Schuhe mit den Sohlen, die stammten von einem italienischen Designer. Habe er in Dubai gekauft. Dort hat er auch einen Wohnsitz.

Lederhose im Eis

Eislederne: Der Turnier-Sieger, Alexander Zverev, darf sich über eingefrorene bayerische Tracht freuen. (Foto: Getty Images For BMW)

Vor zwei Jahren hat Veranstalter Mronz erstmals dem Sieger eine Lederhose als Preis überreicht. Das war nett, aber jetzt folgt die Steigerung: die eingefrorene (und rechtzeitig zum Finale aufgetaute) Lederhose! Hinter der Aktion steckt viel Arbeit. Ein Eisdesigner hat den 450 Kiloblock angefertigt, Philipp Tremml heißt er, er kommt aus Ismaning. Sein Vater Thomas, einst ein Koch, hatte damit angefangen, aus dem Feringasee Eisblöcke zu schneiden und Pinguine zu schnitzen, inspiriert von einem japanischen Eiskünstler. Heute frieren Thomas und Philipp Tremml alles ein, was gewünscht wird, Uhren, Abendkleider, Autoreifen. Der Sultan von Oman war ihr Kunde, aber auch normale Menschen, die Geldscheine und Herzen einfrieren lassen. Das Verfahren ist aufwendig. "Viele denken, man legt die Hose nur ins Wasser", sagt Philipp Tremml. Ist aber komplizierter. Acht Wochen benötigte er für die Lederhose. Das Wasser muss gefiltert sein, sich bewegen, um Moleküle herauszuschwemmen, es darf nicht kälter als acht Grad unter Null sein. Tremml hat für alle Fälle den Beruf des Einzelhandelskaufmanns gelernt, bei einem Juwelier. Falls keiner mehr eingefrorene Dinge will. Danach sieht es nicht aus. Wenn jetzt andere Turniere auch mit den frozen Dingern anfangen sollten, kann Mronz seinerseits sagen: Wir waren auch hier die Ersten!

Neue Verträge

Um mal zu verstehen, wo das Turnier heute steht, hilft es, sich daran zu erinnern, wo es vor vier Jahren stand: "Damals mussten wir die Scherben zusammentragen", sagt Dirrheimer. Der frühere Profi Carl-Uwe Steeb hatte sich bei seinem ersten Jahr als Veranstalter übernommen und Dutzende Gläubiger hinterlassen. Dirrheimer kehrte nach einem Jahr Auszeit zurück, und am Sonntag wirkt die Gruppe der seitdem agierenden Verantwortlichen tatsächlich mehr als nur geschäftlich verbunden. Und die nähere Zukunft ist schon fixiert. Dirrheimer macht bis 2020 weiter, BMW gibt an diesem Sonntag seine Verlängerung bis 2019 bekannt, ein anderer Sponsor bis 2020 - und Turnierdirektor Kühnen sagt beschwingt: "Ich kann mir noch zehn Jahre vorstellen!" Mronz ist bis 2018 der Veranstalter, er wird aber sicherlich weitermachen. Nach dem Turnier stehen irgendwann, ohne Zeitdruck, Gespräche mit Peter Bosch an. Der tanzbegabte Klubpräsident des MTTC Iphitos, der Lizenzinhaber des ATP-Turniers ist, schwärmt von Mronz: "Er ist der beste Veranstalter, den wir hatten." In jedem Fall ist der Eventmanager aus Köln derjenige, der das Turnier nach der Pleite 2013 stabilisiert und jedes Jahr weitergebracht hat. In diesem Jahr etwa schob er die Veranstaltung in den Sozialen Medien an wie noch nie - doch die eingefrorene Lederhose ist und bleibt die wahre Hinterlassenschaft dieser BMW Open.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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