Ski-Weltcup:Ohne Druck in der Weißbier-Blase

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Frech, aber auch noch ein wenig scheu: Nach ihrem Debüt in Sölden ist Lisa Marie Loipetssperger, 20, vom WSV München "echt happy". Vor ihr liegt viel Arbeit - die sie ganz entspannt angehen will.

Von Johannes Knuth

Manche Orte verlieren nach einer Weile ein wenig ihren Zauber, aber das kleine Sölden im Ötztal zeigte sich vor Kurzem selbst dem Stammgast von einer, nun ja, neuen Seite: Leere Straßen, dunkle Fenster, wie in einem Katastrophenfilm, kurz bevor die Hölle losbricht. Das alles war natürlich dem Corona-Protokoll geschuldet; der Auftakt des alpinen Ski-Weltcups fand in einer Blase statt, die unter keinen Umständen platzen sollte. Der Skirennfahrerin Lisa Marie Loipetssperger war diese Stille gar nicht so unrecht, so kurz vor ihrem Debüt in der höchsten Liga des Alpinsports: "Da kann man das erste Mal ein bisschen entspannter angehen, wenn man noch nicht das ganze Weltcup-Paket hat", sagte sie. Dieses ganze Paket beinhaltet in Sölden traditionell Après-Ski vor dem Teamhotel bis in den Morgen und 15 000 feiernde Zuschauer am Renntag. Es gab Jahre, da brachten die Trainer ihren Athleten Weißbier aufs Zimmer, zur Beruhigung.

Die ungewohnte Stille hatte diesmal noch einen Vorteil, beim Riesenslalom der Frauen: Loipetsspergers Lachen hallte nach dem ersten Lauf gut vernehmbar durchs fast menschenleere Gletscherstadion. Es war ein sehr erleichtertes Lachen.

Alpine Riesenslaloms bei den Frauen folgten in den vergangenen Jahren einem vertrauten Skript: Viktoria Rebensburg fuhr vorneweg, was dahinter geschah, war aus deutscher Sicht selten erbaulich, aber die Vorfahrerin legte darüber meist einen Mantel des Schweigens. In Sölden, beim ersten Rennen nach Rebensburgs Rücktritt, wurde die Lücke nun umso schärfer sichtbar. Aber es helfe ja nichts: Man habe im Europacup, der zweiten Liga des Sports, in den vergangenen Jahren "a gute Truppn" aufgebaut, sagte Jürgen Graller, der Cheftrainer der Frauen im Deutschen Skiverband (DSV): "Es ist schon a bissel an der Zeit, dass die Jungen jetzt aus der Komfortzone rauskommen, auf die große Bühne." Ganz neu ist dieses Aufbauprojekt nicht. Kira Weidle vom SC Starnberg profitierte davon bereits vor einigen Jahren, im vergangenen Winter gab Teamkollegin Leonie Flötgen ihr Debüt im Weltcup, ebenfalls im Riesenslalom. Neu ist, dass Lisa Loipetssperger, 20, vom WSV München, nun ebenfalls ihre Chance bekommt: In Sölden wurde sie 50., sie war damit immerhin zweitbeste Deutsche, einen Rang vor der erfahreneren Jessica Hilzinger. Und nun?

Ansatzweise dabei: Lisa Loipetssperger fährt bei ihrem ersten Weltcup-Riesenslalom am vergangenen Wochenende in Sölden auf Platz 50. (Foto: imago)

Ihr Werdegang klingt einerseits vertraut und auch wieder nicht, als "Stadtkind" unter vielen "Berglern", wie sie es formuliert. Die Familien dieser Kinder müssen immer mehr Zeit aufbringen, um den Nachwuchs in den Schnee zu bringen (oder viel Geld für die Trips der Skiklubs). Loipetssperger profitierte dabei vor allem von der Passion ihrer Familie, sie sei da "eher so reingerutscht", als Sechsjährige kam sie schon zum WSV. Dann habe sich "das alles so a bisserl verselbstständigt": deutsche Meistertitel in allen Nachwuchsklassen, vor allem im Slalom und Riesenslalom ("Ich bin nicht so der Fan von extrem hohen Geschwindigkeiten"), Fachabitur auf dem Sportinternat in Berchtesgaden, erste Verletzungen, aber es ging dann doch immer bergauf, beziehungsweise: schnell bergab. Mittlerweile ist sie in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, sie ist jetzt quasi Berufsrennfahrerin. "Es ist wie ein wahr gewordener Traum", sagte Loipetssperger vor einem Jahr: "Zumindest schon einmal ein Stück weit."

Das passt ganz gut zu ihrem Charakter: Schritt für Schritt, oder besser: Schwung für Schwung. Abenteuerlustig, aber nicht sorglos. Keine, die sich selbst überholt. Andere, wie die Neuseeländerin Alice Robinson oder auch Rebensburg, hatten in Loipetsspergers Alter schon Weltcups gewonnen oder Olympiamedaillen, Loipetsspergers bestes Resultat ist bislang ein 20. Platz im Europacup. Aber langfristig kann es auch nicht schaden, sich in diesem zehrenden Sport von der geduldigen Seite ans Limit zu tasten. "Ich will erst mal einfach nur mein bestes Skifahren präsentieren", sagte sie in Sölden. Der Finallauf der besten 30? "Wäre cool, wäre aber auch nicht schlimm, wenn ich es nicht schaffe."

Lisa Marie Loipetssperger. (Foto: Harald Steiner/imago)

Ihr Debüt geriet dann zur doppelten Bestätigung: dass sie "ansatzweise dazugehört", wie ihr Cheftrainer sagte, dass aber noch ganz schön viel Arbeit vor ihr liegt: "Da war noch etwas Scheu dabei", befand Graller, aber grundsätzlich schätze er Loipetsspergers Qualitäten, die er in das Attribut "unkompliziert" kleidet: Sie fahre frech, lasse die Ski "extrem schnell aus", rutsche und drifte also nicht zu lange in den Kurven. Loipetsspergers Selbst-Rezension fiel fast identisch aus, auch das spricht für sie: Sie sei "echt happy", im Steilhang habe sie aber "ein bisschen zu viel hingehalten und zu wenig riskiert". Aber grundsätzlich, das betonte ihr Trainer, sei eines klar: "Dass der Jugend die Zukunft gehört." Schwung für Schwung.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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