Sigur Rós in München:Leiser Lauschangriff

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Sigur Rós Frontmann Jón Pór "Jónsi" Birgisson bei einem Auftritt in Riga (Archivbild). (Foto: REUTERS)

Wie schreibt man über ein Konzert, dessen Sprache man nicht versteht? Nicht etwa weil man kein Wort Englisch kann oder mit dem Isländischen fremdelt. Sondern, weil es nichts zu verstehen gibt. Wir versuchen es mit Assoziationen. Mit Gedankenfetzen. Irgendwie angemessen bei Sigur Rós.

Von Lars Langenau und Friederike Grasshoff

Eine alte Fabrikhalle im Münchner Vorort Freimann, 21 Uhr, Platz für bis zu 6000 Personen. Zwar nicht ganz voll, trotzdem kuschelig. Rastafaris, Kondommützenträger, Normalos, Ehepaare, Spontan-Pärchen und Frauen im Sadomaso-Look starren auf die Bühne. Doch da ist nicht viel zu sehen.

Ein paar Menschen stehen da in schwarzen Klamotten und bedienen ihre Instrumente, sonst passiert nicht viel. Aber da ist diese leicht nörgelige Stimme, von der man nie genau weiß: Singt da nun ein Mann oder eine Frau? Doch dieser Klang trägt das ganze Konzert. Auf diesen Klang muss man sich verlassen, denn die Songs versteht man nicht. So sehr man sich auch bemüht. Ist das nun Isländisch oder doch eine Phantasiesprache, in der immer wieder die selben Vokalreihen bemüht werden? Aber dazu später. Denn: Der Sinn ist eigentlich egal, hier geht es nur um den Klang, um den leisen Lauschangriff.

Verfügt Island über Bäume?

Der Sound ist eigentlich nur mit Radiohead vergleichbar. Vielleicht manchmal auch noch mit Lampchop. Im Jazzbereich am ehesten mit Nils Petter Molvaer. Postrock. Dream Pop. Ambient. Melancholie. Sphärisch. Auftritt Sigur Rós.

Wabernde Batik-Blasen, pulsierende Zellen, grünes Polarlicht, weite Wiesen, knutschende Kinder, Landschaften aus Rauch, Bäume werden auf die Wand über der Bühne projiziert. Bloß: Verfügt Island über Bäume? Gibt es da Wälder? Nicht nur Geysire? Gitarrenriffs mit der Wucht und Kraft von "The End" von Jim Morrissons "The Doors". Apokalypse now. Angriffskrieg diesmal auf Isländisch. Rauchschwaden. Feuerwerk als Illusion. Maschinensound in alter Fabrik. Wolken treiben über die Bühne. Wolken ziehen über Weizenfelder.

Vorne der einäugige Jón Pór "Jónsi" Birgisson mit großartiger Falsettstimme. Gitarrenbearbeitung mit Cellobogen. Singt er von "Desire"? Der Begierde? Dem Begehren? Heißt es jetzt: "Is it all love"? Oder: "So cloud is clown"? Egal. Singt er von fifteen Eiern oder eyes? Von "Where are" oder "Wajawaja?". Über: "Between you and me"?, "It is so high"? Von "You can so beautiful"? Von "Surrender"? "It's you"? "St. Paul"? "I'm sire"? "You know for"?

Elbengleich

Egal. Keiner der Gäste ist wegen der Texte hierher gekommen. Der Frontmann von Sigur Rós hat bislang nur ein einziges englischsprachiges Lied aufgenommen: "All Alright." Ansonsten: Melodische Kunstsprache Vonlenska (Hoffnungsländisch). Und die ist: ganz leise. Und: ganz laut. Fragil und trotzdem so kraftvoll.

Es wird doch zum großen Lauschangriff. Synthetisch. Futuristisch. Natürlich. Düster. Belebend. Melancholisch. Energisch. Alles wieder: Desire. Auf der Leinwand über der Bühne: Kinder mit Gasmasken. Oder Kinder als Elefanten verkleidet? Mit Penissen im Gesicht? Dann: Menschen schwimmen im Eiswasser. Wasserballett bei Minusgraden. Unterlegt mit Walgesang, wie ein sakraler Kinderchor. Romantisch. Blutig. Schweißtreibend. Elegisch. Verwirrend.

Irgendwie schottisch. Irgendwo irisch. Auf jeden Fall: Elfenhaft. Elbengleich. Irrlichternd. Hobbitmäßig. Einfach. Sauber. Gut. Traurig. Schön. Nicht von dieser Welt. Wunderschön.

Ende: 23 Uhr. Abtritt Sigur Rós. Grelles Neonlicht. Vertreibung aus dem isländischen Paradies. Draußen ist es kalt. Egal: Desire!

Hier zum Nachhören. Eine Auswahl aus der Setlist: "Í Gær", "Ný Batterí", "Sæglópur", "Olsen Olsen", "Vaka", "E-bow", "Hoppípolla", "Með Blóðnasir", "Glósóli", "Svefn-g-englar", "Popplagið".

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