Saison 22/23:Verspielter Hohepriester der Kunst

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Jetzt wieder über 90 Prozent Auslastung: Intendant Serge Dorny blickt mit einiger Zuversicht in die kommende Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper, die für ihn eine "Piazza des Dialogs" sein soll. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Serge Dorny stellt seine zweite Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper vor. Sein Programm ist ein intellektuell raffinierter Diskurs zu den Operndauerbrennern Krieg, Liebe und Aufbruch ins Unbekannte.

Von Reinhard J. Brembeck

Serge Dorny, Flame und einst Jesuitenschüler, ist seit ein paar Monaten Intendant der Bayerischen Staatsoper, einem der strahlendsten Opernhäuser der Welt. Dorny, immer elegant und jungenhaft voranjubelnd, ist eine janusköpfige Erscheinung. Einerseits der seriöse Manager, betriebswirtschaftlich versiert, sozial aufgeschlossen und smart in der Kommunikation. Andrerseits ist er ein verspielter Hohepriester der Kunst, der Finanzfragen (Bayern spart 2023 über 90 Millionen bei Wissenschaft und Kunst, der Anteil der Oper wird im September festgelegt), Auslastungswerte ("Man sagt mir, dass es ganz gut sei, jetzt wieder über 90 Prozent") und Kostensteigerungen (Papierpreis verdoppelt, Baukosten, Personal) mit einem schelmenhaften Lächeln wegwischt. Ihm geht es immer um die Kunst.

Es ist leicht vorstellbar, dass Politiker diesem alerten und immer begeisterten Kunstmenschen ein geradezu unbedingtes Vertrauen schenken; Vertrauen ist eine der Kernvokabeln Dornys. Auch jetzt in seinem Intendantenbüro im fünften Stock des Probengebäudes neben der Staatsoper, über der derzeit gut sichtbar die ukrainische hellblau-gelbe-Fahne träge weht. Thema soll Dornys zweite Spielzeit sein. Aber viel lieber spricht Dorny über die Rolle der Oper in diesen wilden, von Krieg und Seuche gezeichneten Zeiten. Er nennt das Jetzt einen "schwebenden Moment", wir würden die alte Welt verlassen, wohin es geht, ist ungewiss. Immer stellt sich ihm die Frage, ob wir alle zuletzt nicht nur einfach weitergemacht, das System nur wieder und wieder kopiert hätten.

Eine Vorahnung? Serge Dorny hat seine raffiniert stimmige Kriegsspielzeit schon vor vier Jahren erdacht. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

In vielen Opern ist der Krieg Alltag

Das Ungewisse und Schwebende bündelt er 2022/23 in der ungewöhnlichen, aber Dorny-typischen Zusammenstellung der Frauentragödien "Dido and Æneas" von Henry Purcell mit Arnold Schönbergs "Erwartung": Liebestod, Nacht, Existenzvernichtung. Für beide Frauen ist es unmöglich, einfach weiterzumachen, die eine tötet sich, die Zukunft der anderen ist ungewiss. Purcell wie Schönberg wirken wie Propheten des Hier und Heute. Genauso Sergej Prokofjew mit seiner monströsen Tolstoi-Oper "Krieg und Frieden", die den Überfall Napoléons auf Russland verhandelt. Oder der "Aida" von Giuseppe Verdi, die sich um einen Krieg zwischen Nubien und Ägypten dreht, oder Brett Deans "Hamlet", der einen Krieg zwischen Dänemark und Norwegen als Folie nimmt, oder Claudio Monteverdis "Ulisse", der wie Purcell die Mutter aller Kriege verhandelt, den Trojanischen. Ganz zu schweigen von Richard Wagners "Lohengrin" mit der Truppenaushebung im heute belgisch-niederländischen Brabant und Wolfgang A. Mozarts "Così", die das neapolitanische "Bella vita militar" mit einer Liebeswette abgleicht. Plötzlich fällt auf, in wie vielen Opern der Krieg Alltag ist. Wenn ein Dramaturg im Mai 2022 solch ein Programm entwürfe, würde ihm ein populistisches Hausieren mit der derzeitigen Kriegshysterie vorgeworfen werden. Dorny aber, ein feinsinniger Dramaturg und Sängerkenner, hat diese raffiniert stimmige Kriegsspielzeit schon vor vier Jahren erdacht. Vorahnung? Oder das Gefühl, dass Frieden eine Ausnahme und Krieg die Regel im Menschenleben und deshalb auch in den Opern ist?

Dorny vergleicht die Staatsoper mit einem Dampfer, solide und unbeweglich. Ersteres ist in unsicheren Zeiten ein Vorteil, an letzterem will er arbeiten. Er sucht nach neuen Zugängen zur Oper, forscht nach ihrer Relevanz, ihrer Pertinenz. "Kunst ist geduldig", sagt er, "was wir heute nicht verstehen, verstehen wir vielleicht morgen". Dabei setzt er anders als seine Vorgänger regelmäßig auf Neues, heuer sind das Georg Friedrich Haas und Krzysztof Penderecki, nächste Saison werden es zwei japanische Rätselstücke von Toshio Hosokawa sein, beide beschwören Dornys "schwebende Momente", beide suchen eine neue Wirklichkeit.

"Piazza des Dialogs" soll für Dorny die Staatsoper sein, wo offene Fragen gestellt werden, keine Propaganda getrieben und ein eigener Weg zur Freiheit gesucht wird. Das rechtfertigt, dass Oper wie Bildung und Medizin Steuergelder erhält. Dorny weiß, dass deshalb sein Publikum die ganze Gesellschaft widerspiegeln muss, da gibt es noch einiges zu tun. Mit den gut angenommenen U-30-Angeboten für junge Menschen, die Oper hat mehr als 3000 Follower auf Instagram, ist ein erster Schritt getan. Für Dorny ist wie für Heraklit alles im Fluss, er kann es einfach nicht lassen, an eine neue Welt im Morgen zu glauben.

Spielzeit 22/23, Bayerische Staatsoper unter https://www.staatsoper.de/stuecke/saisonpraesentation/05-05-2022-1800-13635

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