Theater:Im Schweinsgalopp durch Raum und Zeit

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Die Geschichte der Schwere-Reiter-Straße als Theaterexperiment: Thomas Goerge hat "1130 Meter Schwere Reiter" im Mucca inszeniert.

Von Sabine Leucht

Es treten auf: ein bayerisches Wirtshaus, Varieté-Künstler und Soldaten. Durchaus naheliegend, wenn es um die Geschichte der Schwere-Reiter-Straße geht. Aber wer wäre wohl darauf gekommen, sie als Evolutionsgeschichte zu erzählen - praktisch vom Urknall bis zum Kulturareal der Zukunft? Doch statt einem Pfad linear zu folgen, geht es in weiten Sprüngen durch Zeit und Raum, wenn Thomas Goerge "1130 Meter Schwere Reiter" im Mucca inszeniert, wo das derzeit heimatlose Team des kleinen Theaters "Das Vinzenz" ungewohnt viel Platz hat. Bis zu zwanzig Menschen zugleich hat der Bildende Künstler und (Opern-)Regisseur dort versammelt. Ganz schön viele, wenn man bedenkt, dass hinter diesem Urknall-Ding die Idee steckt, den Menschen aus dem Mittelpunkt der Welt zu nehmen - gepaart mit dem Ovid-Zitat "Omnia mutantur, nihil interit", "alles wandelt sich, nichts geht unter".

Also haben Goerge und sein Team viel Geschichte in einen Topf geschmissen und ziehen einiges wieder daraus hervor. Mit Tarotkarten als Reiseleiter und großen Papptafeln als kulturhistorische Wegmarker, viel Musik und unterschiedlich gelungenen Spielszenen geht es - hoppla! - von den kriegsbegeisterten Künstlern des Ersten Weltkriegs, in dem Franz Marc noch kurz vor seinem Tod an Kandinsky schreibt, zu blauen und militärisch in die Pflicht genommenen Pferden, von einer 1833 entworfenen Nippes-Schachtel zum Shell-Imperium, von der Eiszeit zum blühenden Schuttberg auf dem Oberwiesenfeld und mit der Straßenbahnlinie 12 praktisch überallhin. Man erfährt naturgemäß viel von den Kriegen, in die das 1. und 2. Schwere-Reiter-Regiment verstrickt war; und von seiner Rolle im Wal-Tran-Handel und bei der Niederschlagung des Boxeraufstands in China ließen sich Fährten zur heutigen Energiepolitik und Kolonialismuskritik verfolgen. Und gelegt sind diese Fährten auch, bloß werden sie im allgegenwärtigen Schweinsgalopp rasch wieder verwischt.

"1130 Meter Schwere Reiter", 24., 25. Februar (20 Uhr) und am 26. Februar (18 Uhr), Mucca, Dachauer Str. 114

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