Schrannenhalle:Schaulaufen auf Münchner Art

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"Da könnt ma sich glatt neileg'n": Die neue Schrannenhalle frönt der ortsüblichen Lust am Verschwenderischen und lockt ein bunt gemischtes Publikum an - inklusive der unvermeidlichen Schickimickis.

Wolfgang Görl

Eigentlich gehört es sich nicht, arglose Bürger zu belauschen, aber manchmal, wenn es der Wahrheitsfindung dient, geht es nicht anders. So auch an diesem Donnerstag, kurz vor 17 Uhr: Durch die vor wenigen Tagen wiedereröffnete Schrannenhalle spazieren die Leute, als wäre dies ein Zoo voller Wundertiere. Wo man hinschaut: Delikatessen, Spezereien, Spirituosen. Dargeboten mit der ortsüblichen Lust fürs Verschwenderische.

Bei Tamara Wolleschak bekommt der Schrannen-Besucher ein Glas Champagner. (Foto: Robert Haas)

Hier muss beinahe jeder seinen Senf dazugeben - der Notizblock des Lauschers ist bald vollgeschrieben. "Mei, die schönen Brote! Die san ja göttlich!" (Frau vor dem Käfer-Brotstand.) "Fünf Euro für 0,1 Liter Weißwein - die spinnen doch." (Passantin an einer Vinothek.) "Tolle Sachen ham s', aber die Preise!" (Lodenjanker-Kavalier zu seiner Frau.) "Guad. Da könnt ma sich glatt neileg'n. (Mann nach dem Probieren eines Schinkens im Steirerladen.) "Schee is scho, aber für uns z'deier." (Dame mit riesiger Einkaufstasche zur Freundin).

Wie immer, wenn München mit etwas Neuem konfrontiert wird, meckern die einen und die anderen jubeln. Auch gibt es Münchner, die Schimpf und Applaus in ihrer Person vereinigen und je nach Gesprächspartner das eine oder das andere hervorkehren. Was die Schrannenhalle betrifft, so ist sie beinahe von Beginn an ein dankbares Objekt für jedwede Erregung. 1853 als Wunder der Technik eröffnet, erwies sich die 430 Meter lange Getreidehalle nach einigen Jahrzehnten als überdimensioniert, sie wurde sukzessive abmontiert, den Rest erledigte 1932 ein Feuer. Im August 1978 entdeckte der Architekturhistoriker Volker Hütsch Teile der Eisenkonstruktion in einer Lagerhalle, woraufhin der Stadtrat beschloss, den Wiederaufbau anzugehen.

Der aber zog sich hin, und als man 2005 doch fertig wurde, war von den dekorativen Säulen und Verstrebungen nur mehr wenig zu sehen. Was ins Auge stach, war ein Sammelsurium von Fressständen und Kunsthandwerksbuden, die man zusammen mit einem hinterwäldlerischen Kulturangebot als Konzept verkaufte. So etwas schaut sich der Münchner zwei-, dreimal an, dann überlässt er es Touristen und Fürstenfeldbruckern - und schließlich freut er sich, wenn alles den Bach hinunter geht. So kam es dann auch.

Jetzt also der Neuanfang. Der Unternehmer Hans Hammer hat die Halle für knapp 35 Millionen Euro erworben, in den Umbau hat er noch einmal 10 Millionen hineingesteckt. Seit der Eröffnung Mitte Oktober, der sogar Hochadel und Promi-Ärzte beiwohnten, strömen die Münchner massenhaft hinein, aus purer Neugier und um nachzuschauen, ob man diesmal ihren Ansprüchen gerecht wird.

Einer dieser ersten Tester ist Thomas Linster, der seinen Hallenrundgang mit einem Glas Champagner einleitet. Linsters Gemahlin Annemarie ist auch dabei, und die sprudelt gleich mal los: "Wir sind absolut begeistert. Hier gibt es - wie soll ich sagen? - besondere Sachen." Dies zu vertiefen, wirft ihr Mann einen Blick zurück auf die traurige Vergangenheit der Schranne: "Das war ein Ringelpiez aus Schafwollsocken und Hausschuhen." Der Mann spült die betrübliche Erinnerung mit einem Schluck Champagner hinunter, entsprechend beschwingt sieht er die Gegenwart: "Hier schau ich mir die Leute an und trink in aller Ruhe einen Wein dazu. Im Wirtshaus hingegen bist du gefangen."

Na also: ein erster Pluspunkt. Man kann ihn gelten lassen, auch wenn die Linsters in Aschau am Inn leben und sich als "absolute Landeier" bezeichnen.

Auf Begegnungen mit Landeiern war man nicht vorbereitet, denn Kenner der Materie hatten im Vorfeld prophezeit, die neue Schranne würde ausschließlich von Schickimickis bevölkert sein. Offenbar ist man nicht Klatschreporter genug, diese zu erkennen, oder es ist einfach nicht ihr Tag. Jedenfalls stehen auch am Stand des burgenländischen Weinguts Leo Hillinger zwei Damen, die, so schick sie auch sein mögen, weniger der Schickeria zuzurechnen sind als dem gehobenen Münchner Bürgertum.

Elisabeth Hölzl und ihre Tochter Karoline haben sich gerade ein Glas Secco rosé genehmigt, die Stimmung ist aufgeräumt. "Uns gefällt's, aber für den normalen Bürger is des nix mehr", sagt Karoline Hölzl, die ihren freien Tag mit einem Besuch in der Schranne veredelt. "Zu teuer", fügt Mutter Hölzl hinzu, außerdem vermisst sie Sitzgelegenheiten. Daraufhin meldet sich auch der Herr mit dem Zwirbelbart zu Wort: "In eineinhalb Jahren sind die wieder am Ende", orakelt der Mann, der anonym bleiben möchte, weil er auf der Fahndungsliste stehe - ein alter Spruch, aber immer gut, eine fröhliche Runde noch fröhlicher zu stimmen.

Weil's gerade so lustig ist, ordert Karoline Hölzl noch ein Glas Secco rosé, das drei Euro kostet und auch den Normalbürger nicht in den Ruin treibt. Überhaupt verfügt das Trio über eine ausgeprägte Schrannenhalle-Erfahrung. Bereits in den Zeiten, als die Völlerei noch mit kulturellen Beiprogrammen kaschiert wurde, bildeten die drei hier eine lustige Runde. "Mir hat's früher besser gefallen", sagt Karoline Hölzl. "Da haben wir uns beim Inder das Essen geholt und in Kay's Bistro den Prosecco." "Und in den Fernsehern sind Sportübertragungen gelaufen", fügt der Herr von der Fahndungsliste dazu.

Schon immer hat die Schrannenhalle ein Objekt für jedwede Erregung. (Foto: Robert Haas)

Noch mag es verfrüht sein für gesicherte Befunde, doch die Hillinger-Bar scheint eine magische Anziehungskraft auf Münchens Prosecco-Gemeinde auszuüben, darunter besonders auf Männer, die ihre Stenz-Natur ins reife Alter hinübergerettet haben. Eine gewisse Flirtbereitschaft liegt in der Luft, so wie früher im Café Nymphenburg auf dem Viktualienmarkt. Auch der leicht anzügliche Unterton der Kellner ("Womit kann ich den Damen eine Freude machen?") trägt dazu bei, die sinnliche Atmosphäre über das rein Kulinarische hinaus zu erweitern. Andere Herren bleiben lieber unter sich, wobei die Konversation etwas ungezwungener ausfällt. "Sag amoi, du Depp", begrüßt ein grau melierter Prosecco-Freund seinen Spezi. "Du hast mir zuletzt meinen 250-Euro-Pullover z'rissen." Der Spezi: "Was? Spinnst du?" - "Doch, der war aus Kaschmir. Warst b'suffa?" - "Kaschmir? Schmarrn! A Löschpapier wird's g'wes'n sei." Worauf man sich fröhlich um den Hals fällt. "Der Käfer hat sich hier richtig breitgemacht", raunt eine Dame ihrem Gatten zu, während sie das Sortiment des sogenannten Feinkost-Moguls im Erdgeschoss begutachtet.

Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass der Käfer hier weiträumig Duftmarken gesetzt hat, gegen die alle übrigen nicht anstinken können. Welch überragende kulinarische Kompetenz das Haus Käfer besitzt, zeigt sich beispielsweise im Pasta-Regal, in dem gefühlte 100 Nudelsorten stehen. Das zeigt, dass man die Münchner Seele verstanden hat. Der Münchner begreift sich ja als Italiener, und weil er seine italienische Natur so ernst nimmt wie sonst nichts auf der Welt, begnügt er sich keinesfalls mit Allerwelts-Nudeln. Seine Spaghetti sollten schon handgeschnitzt und aus Hartweizen sein, der von ökologisch orientierten Kleinbauern mit antikem Saatgut in den Abruzzen kultiviert wird. Jedenfalls ist das Pasta-Angebot in der Schrannenhalle pfeilgerade auf die Bedürfnisse des anspruchsvollen Italo-Münchners zugeschnitten, und auch in den Sugo- und Pestoregalen herrscht eine Fülle, dass sich die richtigen Italiener strecken müssen, um noch mithalten zu können.

Überhaupt zeigt das lukullische Angebot der Schrannenhalle, dass man in München Genuss und Lebensfreude im Süden verortet, während die Gebiete nördlich des Mains als ein für das Kulinarische weitgehend verlorenes Terrain protestantischer Zerknirschung betrachtet werden. Das hat zur Folge, dass es der Kunde hier mit französischer Gänseleberpastete und sizilianischen Süßigkeiten respektive dolci zu tun bekommt sowie mit Spezialitäten aus dem Münchner Hinterland zwischen Kufstein und Gardasee. Gleichsam als österreichische Antwort auf die Käfer-Abteilung darf man den Steirerladen werten. "Die Steiermark", sagt Geschäftsführer Neven Novosel, "hat sich in den letzten Jahren zu einer kulinarischen Region entwickelt."

Edle Weine, Kürbiskernöle, handgeschöpfte Schokolade, Schinken von glücklichen Schweinen und Honig von glücklichen Bienen bringt die Steiermark hervor, "und wir schauen uns um, was es dort Gutes gibt und bieten es an".

Auch sein Kollege Mario Schulter, der seinen Sommelier-Posten in der Steiermark über Nacht aufgegeben hat, um in der Schrannenhalle zu arbeiten, rühmt Klima und Fruchtbarkeit seiner Heimat. Dabei lässt er sich zu einer Behauptung hinreißen, die der normale Italo-Münchner besser überhört: "Die Steiermark ist so fruchtbar wie die Toskana, nur schöner."

Auf der Treppe zur "Käfer-Marktküche" hat man noch im Ohr, womit den erwähnten Kennern zufolge nun unweigerlich zu rechnen sei: mit einem Gewimmel von Grünwalder Millionärsgattinen sowie öligen Typen, in deren Haar eine dunkle Sonnenbrille steckt. Et voilà: An der Küchentheke sitzt ein öliger Typ mit dunkler Sonnenbrille im Haar, ein paar Schritte weiter nippen zwei Damen am Rotwein, die man sich als dekoratives Beiwerk einer Grünwalder Villa zumindest vorstellen kann. Wenigstens in Käfers Küche scheint die Kulturhoheit der Schickeria ungebrochen zu sein. Warum aber sehen die sonstigen Gäste so normal aus? Während der Kellner eine Tagliata vom Rind mit Dijon Aioli und Rucola, die kleine Portion zu 13,20 Euro, serviert, kreist der Blick über die Empore: Hier die junge Frau, die mit ihrem Baby an der Theke sitzt - eine typisch Latte-Macchiato-Mutter, oder? Da die beiden Endfünfzigerinnen, die im Parterre noch über die Preise gegrantelt haben und die jetzt im großen Stil auffahren lassen - sind sie nicht die klassischen Münchner Hausfrauen, ein wenig gschnappig zwar, aber bodenständig und auf rustikale Weise warmherzig? Der Mann im Business-Anzug, der ewig an seinem Handy hängt - ein Spekulant vielleicht, der seine griechischen Staatsanleihen loswerden will. Man weiß ja nicht, was wirklich in den Leuten steckt. Aber eines darf man sagen: Eine Schickeria-Domäne ist Käfers Marktküche nicht. Würde man in ein gutbürgerliches Altstadt-Wirtshaus gehen, träfe man auch kein anderen Gäste.

Wir setzen nicht auf Schickimicki-Kundschaft, bei uns gibt es keinen Hummer und keinen Champagner", sagt dann auch Restaurantleiter Michael Remplik. Stattdessen bietet die launig formulierte Speisekarte eine "Pasta auf die Schnelle", den für Vater und Sohn kreierten Fladen "papa e figlio" und solche Sachen. Offene Weine serviert man in Milchflaschen. "Den Leuten gefällt's", sagt Remplik. "Bei uns können sie schnell was essen oder trinken und dann weiterziehen." Zwar stünden die Dinge noch am Anfang, aber so viel könne er schon mal feststellen: Morgens und mittags kehren vorzugsweise ältere Herrschaften ein, zurzeit auch solche, die schauen möchten, was aus der Schrannenhalle geworden ist. Später stoßen die Büromenschen aus der Umgebung dazu, am frühen Abend - die Schrannenhalle schließt um 20 Uhr - auch jüngere Leute, die das nächtliche Treiben mit einer Flasche Wein einleiten. Restaurant-Chef Remplik, ein junger, agiler Mann, sieht höchst zufrieden drein, wenn er die Startphase Revue passieren lässt. Der Gedanke an die ersten Samstage stimmt ihn sogar euphorisch: "Wir wurden regelrecht überrannt."

Im Erdgeschoss verlustieren sich mittlerweile vier Frauen aus dem hessischen Heidenrod, die ihren München-Besuch mit einem Umtrunk in der Schrannenhalle abrunden. Schöne Stadt, sagen sie, schöner als Hamburg, schöner als Berlin. Aber teuer. Egal, heute lassen sie's krachen, und so etwas wie die Schrannenhalle passe ja wohl gut zu München. Kann man da noch widersprechen? Schaulaufen ist eine der Lieblingsdisziplinen der Münchner, und wenn es eine neue Bühne gibt - umso besser. Man sieht und wird gesehen, selbst von außen kann man durch die Glaswände beobachten, wie der Nachbar eine Kleinigkeit beim Käfer erwirbt. Später wird er in der Käfertüte seine Einkäufe bei Aldi heimtragen.

© SZ vom 05.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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