Nicht lange mehr, dann werden Philomela, Piffaro und Fugara zusammenspielen. Das heißt, sie tun es jetzt schon, aber wenn ihnen Stephan Niebler noch einmal zu Leibe rückt, werden sie das so tun, wie man es sich von ihnen wünscht: präzise, homogen, in sensibel gemischter Klangfarbe. Denn Philomela, Piffaro und Fugara sind keine Commedia dell'arte-Figuren. Die klingenden Namen bezeichnen Register der neuen Chororgel, die die Klangmöglichkeiten der Münchner Kirche Sankt Michael grundlegend verändert.
Auf dem Holztisch neben dem Chorprobenraum liegen filigrane Zangen, Spachtel, Feilen, Kegel, Messerchen, Bohrer. Zahnarztwerkzeug, das Arbeiten ausführt, bei denen ein Millimeter hin oder her die Welt bedeuten kann.
Stephan Niebler hat sich im Laufe von über zwei Jahrzehnten als Intonateur akustische Expertise und handwerkliches Geschick angeeignet. Am Wiener Stephansdom hat er intoniert, ebenso am Mainzer Dom. Nun steigt er die schmale Treppe hinauf, in den Dschungel aus Ahorn-, Fichten- und Metall-Pfeifen, die einem der sogenannten Werke der Orgel zugeordnet sind, dem Chorwerk. Auf seinem Handy hat er ein kleines Manual, das ihn die Pfeifen anspielen lässt. "Bisschen viel Wind", sagt Stephan Niebler.
Er nimmt die zwei Meter lange Metallröhre aus ihrem Bett, traktiert das untere Ende mit einem Kulphorn. Das macht den Windeinlass leiser. Ein anderer Ton wird angeschlagen. "Der schleppt", konstatiert der Intonateur. Er nimmt eines der Werkzeuge, das nach feineren Schmerzen aussieht, den Kernschläger, und bearbeitet das Innere der Pfeife. "Jetzt kommt er pünktlich." Abgesehen vom Handy hat sich wenig geändert an der Technik des Intonateurs in den letzten fünfhundert Jahren. Etwas mehr als 1300 Pfeifen, verteilt auf 22 Register, werden auf diese Weise angepasst. Die längste misst etwa fünf Meter, die kürzeste zehn Millimeter.
Die Pfeifen der Firma Rieger wurden zwischen November und Februar in die Kirche montiert, ein paar Tage bevor der Intonateur sich ans Werk macht. Er geht den entscheidenden letzten Schritt. Der Klang der Orgel muss zur Kirche passen. Da es sich um eine Chororgel handelt, soll sie vor allem zur Begleitung von Ensembles dienen, dem liturgischen Zweck, aber auch als Solo-Instrument einsetzbar sein. Das oberste Manual des Instruments ist deshalb mit der Hauptorgel der Kirche verbunden, wie Peter Kofler demonstriert.
Der Organist von Sankt Michael setzt sich an den Spieltisch, auf dem kein Stäubchen liegt, und zeigt, wozu die Chororgel fähig ist - Klang von allen Seiten einströmen zu lassen. "Man möchte eine gleichmäßige Klangabdeckung", sagt Kofler. "Die Chororgel ist der verlängerte Arm der Hauptorgel." Als Organist ist er hauptverantwortlich für die klangliche Disposition. Ein universell einsetzbares Instrument mit Einschlag ins deutsch-romantische Spektrum sollte es sein, das aber auch eigene Persönlichkeit hat. "Die Register mischen sich sehr gut, sind aber charakteristisch", sagt er mit leichtem Südtiroler Zungenschlag. "Wie im Orchester braucht man auch gute Solisten." Kofler spielt einen Ton im Klarinetten-Register: "So eine Klarinette hat nicht jede Kirche!"
Peter Kofler ist vertraut mit dem Ablauf eines Orgeleinbaus. Seit 2008 ist er Organist der Jesuitenkirche. 2011 wurde die Hauptorgel reorganisiert und erweitert. In Zeiten schrumpfender Gemeinden stellt sich die Frage, wieso Sankt Michael eine neue Orgel bekommt. "Wenn alles gut zusammenwirkt, dann ist das eine große Chance, dass Leute in die Kirche kommen", sagt Kofler.
Die Kirche, zumal diese Kirche in der Münchner Fußgängerzone, sei ein offener Raum, der von einer exzellenten Kirchenmusik profitiere. Besonders, weil mit dieser Orgel, die ihren Spieltisch im Chorraum hat, der Organist nicht mehr unsichtbar ist, sondern Teil der singenden Gemeinde, im Kontakt mit allen. "Es ist nicht so, dass gefragt wird: Wozu braucht's das?", sagt Kofler. Die circa 600 000 Euro für das neue Instrument wurden vorwiegend von einem privaten Spender aufgebracht, der anonym bleiben möchte.
"Und die Orgel bleibt ja lange", sagt der Kirchenmusiker. Es gebe Orgeln, auf denen sich auch hunderte Jahre nach ihrem Einbau noch wunderbar musizieren lasse. Den Beginn dieser Ära markiert die Chororgelwoche: Am Sonntag, 7. April, wird die neue Orgel in einem Festgottesdienst eingeweiht. Am Nachmittag desselben Tages wird der französische Organist Olivier Latry mit Werken zwischen Renaissance und Spätromantik die Bandbreite des Instruments demonstrieren. Martin Sturm gestaltet ein Abendkonzert am Freitag, 12. April, mit Werken etwa von Bach, Reger und Schubert, aber vor allem Improvisationen, ehe die Woche mit einem Konzert am Sonntag, 14. April, schließt. Peter Kofler wird dabei unter anderem Werke von Bach und den französischen Impressionisten spielen. Der Eintritt für alle Veranstaltungen ist frei.
"Der Raum umhüllt einen mit Klang", beschreibt Kofler die veränderte Situation der Kirchenmusik in Sankt Michael. Philomela und ihre Geschwister warten darauf, sich hören zu lassen, frisch montiert und klanglich abgestimmt.