Ausstellung im Münchner Lenbachhaus:Vom Schweben

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Sie ist eine der schönsten Skulpturen: Rosemary Mayers "Galla Placidia" aus dem Jahr 1973. (Foto: Philipp Hänger/Kunsthalle Basel/2022 The Rosemary Mayer Estate)

Ihre aus Meterware geschlungenen Skulpturen lagen ein halbes Jahrhundert lang verpackt im Loft. Jetzt entdeckt die Kunstszene das opulente Werk der US-Künstlerin Rosemary Mayer.

Von Catrin Lorch, München

Die Skulptur schwebt. Wie eine Seerose hängt sie in der Luft, man spürt, dass die gebauschten Schleier in Rosa, Lila oder Gelb sich jederzeit in Bewegung versetzen könnten. Ihr Anblick ist kostbar, als habe man einen seltenen Vogel im Garten entdeckt oder ein sehr zartes Gespenst im Kleiderschrank. Sie habe Formen schaffen wollen, die gleichermaßen "auf große Kräfte (wie Gravitation) und kleine Kräfte (wie Luftströmungen im Raum) empfindlich reagierten", schrieb Rosemary Mayer einmal über ihre Skulpturen. "Galla Placidia", benannt nach einer weströmischen Regentin der Antike, ist sicher eine der schönsten, im Jahr 1973 wurde sie direkt nach ihrer Fertigstellung in der von der Künstlerin mitbegründeten feministischen A.I.R. Gallery in New York gezeigt.

Jetzt ist sie ins Lenbachhaus in München eingezogen, das nach dem Ludwig Forum in Aachen die zweite europäische Station einer Retrospektive ist, mit der so nicht mehr zu rechnen war. Denn "Galla Placidia" steckte seit den Siebzigerjahren zusammengefaltet in einer Kiste, die wegen ihrer gewaltigen Größe als Raumteiler das Loft der Künstlerin abtrennte. Überhaupt blieben nur ein Dutzend der vielleicht fünfzig Textil-Skulpturen von Rosemary Mayer erhalten, zerlegt, gerollt, gefaltet, verschnürt. Und dass sie nach ihrem Tod im Jahr 2014 wieder auftauchten, hat nicht nur mit aufmerksamen Erben zu tun - sondern auch mit einer Kunstszene, die solche Wiederentdeckungen schätzt. Weswegen man beim Lesen der Ankündigung kurz ein Déjà-Vu zu haben glaubte: wieder ein Frau, wieder das Vergessen, wieder Textil?

Schließlich haben solche Funde der Szene in den vergangenen Jahrzehnten einiges an feministischer Textilkunst beschert, idealerweise monumentale, attraktive, leuchtend bunte Installationen, mit denen eine sehr dekorative, feministische Relevanz in Gruppenausstellungen von Manhattan bis Venedig einzog. Die Hoffnung ist, dass durch die Wiederentdeckungen oder die überfällige Würdigung von übersehenen Nachkriegs-Künstlerinnen der Kanon auch rückwirkend verändert werden kann.

Die Künstlerbücher und Skizzen schließen hervorragend an die Kunstgeschichte an. Erkennbar an der Arbeit "Passages" von 1976, ein handgebundenes und collagiertes Buch, hier Seite 24. (Foto: © 2022 The Rosemary Mayer Estate)

Die Verführung, auch Rosemary Mayer einfach durchzuwinken, indem man auf die überwältigende Attraktivität ihrer aus Meterware geschlungenen Werke setzt, war sicher da, ihr Lebenslauf ist in dieser Hinsicht fast exemplarisch. Doch die Kuratorinnen Eva Birkenstock in Aachen und Stephanie Weber vom Lenbachhaus haben auch auf die komplexeren, widerständigen und eigensinnigen Momente dieses Werks gesetzt. Was vor allem in Europa überraschend gut aufgeht - schließen doch die Künstlerbücher und Skizzen der feministischen US-Künstlerin hervorragend an, ausgerechnet, die Kunstgeschichte an, an Barock, Rokoko, all die Manierismen einer höfischen Kultur.

Denn die im Jahr 1943 in Ridgewood geborene Mayer war zwar Feministin und Mitbegründerin der A.I.R. Gallery in New York. Allerdings war die aus einer katholischen Familie stammende Rosemary - wie auch ihre Schwester, die Dichterin Bernadette - zutiefst vertraut mit christlicher Ikonografie. Zunächst studierte sie Altphilologie, schlug aber ein Fellowship der Harvard University aus, um Kunst zu studieren und zurück nach New York zu gehen. Statt sich auf "Schönheit" zu konzentrieren, was sie langweilte, experimentierte Rosemary Mayer mit Textil-Resten, die ihre Freundin Hanna Weiner mitbrachte, eine Dichterin, die sich ihren Unterhalt als Unterwäsche-Designerin verdiente.

Ende der Sechzigerjahre begann sie, Leinwand vom Keilrahmen abzulösen und einfach herunterhängen zu lassen, später heftete sie Leinwand und Stoffe direkt an die Wand. Drapierte und faltete Meterware, färbte sie, band sie mit Schnüren zusammen - und brach damit unübersehbar mit den Konventionen der Malerei, mit Bildgeviert, Pinsel, Palette. Auch die "impossible sculptures" sollten eine "Art Skulptur zu machen" sein, die "kaum mehr Skulptur ist", wie sie schrieb. Es ging darum - auch in Ablehnung des zunehmend dominanten Kunstmarkts -, Werke zu schaffen, die nicht länger Objekte sind. Nach ihrem Austritt aus der Galerie arbeitete die konsequente Mayer dann lieber als Dozentin und richtete in vorsätzlicher Abkehr von ewigen Werten ihre künstlerische Aufmerksamkeit auf Vogelscheuchen, arbeitete mit Luftballons oder formte Skulpturen aus Schnee.

Rosemary Mayer wandte sich vorsätzlich von den ewigen Werten ab - und richtete ihre Aufmerksamkeit zum Beispiel auf Vogelscheuchen. (Foto: © 2022 The Rosemary Mayer Estate)

Dennoch wies die so radikale Rosemary Mayer, die schon auf der Hochschule einen erklärten Avantgardisten wie den Künstler und Lyriker Vito Acconci kennengelernt hatte (den sie 19-jährig heiratete), zeitlebens nachdrücklich darauf hin, dass ihr Werk vielleicht mit Zeitgenossen wie Eva Hesse, John Cage oder Robert Morris verwandt sei, aber eben auch auf Jean Genet oder Levi Strauss rekurriere. Vor allem aber faszinierten sie, "so lange ich mich erinnern kann", die Schriften von "Mystikerinnen aus fast allen religiösen Traditionen". Mayer zitiert mit großer Geläufigkeit in ihren Titeln die Namen vergessener mächtiger Frauen, während ihr Werk kunsthistorisch selbstbewusst ausgreift: Vor allem Barock und Rokoko interessierten die Vielgereiste. Im Lenbachhaus werden deswegen neben ihren Reise-Tagebüchern, Zeichnungen und Collagen auch ihre Reflexionen auf München ausgebreitet, wo sie vor allem die von den Asam-Brüdern gestaltete St.-Nepomuk-Kirche faszinierte.

Wie das zusammengeht? Ihre Nichte weist im Gespräch mit Nachdruck darauf hin, dass Rosemary Mayer, die im Jahr 1973 direkt nach ihrer ersten Einzelausstellung die A.I.R. Gallery auch wieder verließ, weil sie zu wenig kollektiven Geist dort spürte, sich selbst vor allem den Universalkünstlern des Barock verwandt fühlte, die am Hof nicht nur für das Skulpturenprogramm an der Fassade zuständig waren, sondern auch für Feuerwerk und Kostümball.

Im Aachener Ludwig Forum wurden Rosemary Mayers Skulpturen im Frühjahr fast theatralisch inszeniert, in den verschlungenen Fluchten einer düsteren, ehemaligen Schirmfabrik. Das Lenbachhaus hätte der Ausstellung einen ähnlich effektvollen Parcours im unterirdischen Kunstbau inszenieren können. Die Kuratorin Stephanie Weber hat es dagegen vorgezogen, sie im historischen Altbau zu präsentieren, durchaus museal eingerichtet. Die Textil-Skulpturen teilen sich die vornehmen, kleinen Räume mit Vitrinen, historischen Aufnahmen, Skizzen und Künstlerbüchern. In München reicht der dramatischen "Galla Placidia" eine schlichte Ausleuchtung - und wenn sie auch etwas braver wirkt, wird sie so anschlussfähig für Werke der Sammlung von Joseph Beuys bis Monica Bonvincini. Und scheint durchaus bereit für einen kunsthistorischen Ausflug, als könnte sie auf Exkursion auch kurz Richtung Asamkirche segeln.

Rosemary Mayer. Ways of Attaching, bis zum 18. September im Münchner Lenbachhaus. Der Katalog soll im Juli erscheinen und kostet 29,80 Euro.

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