Hip-Hop-Festival "Rolling Loud":Tanzen bis zum Umfallen

Lesezeit: 3 min

Große Stars und großen Ärger gab es beim "Rolling Loud" 2023 in München. (Foto: Robert Haas)

Moshpit, Wall of Death, Stage Diving: Etliche besonders ekstatische Tanzformen waren beim Hip-Hop-Festival "Rolling Loud" verboten. Aufgeführt wurden sie trotzdem. Warum?

Von René Hofmann und Anna Weiß

Das Festival "Rolling Loud" vom 7. bis 9. Juli auf dem Messegelände in München-Riem war ein besonderes Festival. Die nach eigenen Angaben größte Hip-Hop-Veranstaltung der Welt gastierte vor dem Stopp in München bereits in Rotterdam in den Niederlanden und in Portimão in Portugal. Dass es wild zugehen könnte, war den Veranstaltern bewusst. Aus eigenen Stücken untersagten sie bestimmte Tanzformen, die bei vielen Festivals üblich sind, wie die "Wall of Death" oder "Moshpits".

Auf großen Musikkonzerten wird oft wild getanzt, nicht nur allein oder mit Freunden, oft finden sich auch fremde Menschen zu Gruppen zusammen. Dabei gibt es verschiedene Tanzpraktiken, der Moshpit oder Circle Pit ist eine solche. Beim Moshpit bilden die Festival-Besucher meist spontan einen Kreis und beginnen, auf der Stelle oder zur Seite zu hüpfen. Es kann auch vorkommen, dass die Musiker von der Bühne aus hierzu auffordern. Bei manchen Varianten steht eine Person zunächst allein in der Mitte des Kreises und die anderen Besucher füllen den Kreis nach und nach auf. Dabei werden oft wild oder scheinbar unkontrolliert die Arme bewegt.

Bei einer Wall of Death teilt sich das Publikum in zwei Teile, sodass in der Mitte eine Freifläche entsteht. Spontan oder auch auf ein Kommando hin, rennen die Besucher dann los und springen gegeneinander. Daraus entsteht ein Mob tanzender Menschen. Diese Phänomene gibt es schon länger. Sie sind bei Konzerten der Musikgenres Metal und Punk entstanden und gehen auf die 1970er- und 1980er-Jahre zurück.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Die ekstatischen Tanzformen sind für viele Besucher ein besonderer Reiz bei einem Konzertbesuch. Im wilden Tanz können sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen: Anspannungen, Aggressionen, Wut, aber auch Freude und Ekstase werden vertanzt. Manche Leute schreiben Moshpits eine kathartische Funktion zu, weil Emotionen sich ohne Reflektion und ohne Bewertung Bahn brechen können. Für Außenstehende mag das beim Anblick gegeneinander springender Menschen nicht immer nachvollziehbar sein, aber manche Mosher empfinden so ein Gemeinschaftsgefühl.

Allerdings: Moshpits sind gefährlich, die Wall of Death ist es auch. Deswegen gilt bei Festivals eigentlich eine ungeschriebene Regel: Sobald eine Person zu Boden geht, stellen sich die um sie Herumtanzenden schützend um sie und helfen ihr wieder auf. Vor allem in der Metal- und Rockszene gilt dieser Kodex.

Bei Festivals anderer Musikgenres ist der Moshpit-Trend relativ neu. Bei Hip-Hop-Konzerten kommt er aus der US-amerikanischen Szene. Bei einem Auftritt des US-Künstlers Travis Scott, dem Abschluss-Act des Münchner "Rolling Loud", kamen 2021 bei einem Konzert auf seinem eigenen Festival "Astroworld" in Texas mehrere Menschen bei einer Massenpanik ums Leben. Zu dieser sollen auch Moshpits beigetragen haben - neben Drogenkonsum und einem schlechtem Besuchermanagement.

Die Stimmung bei Hip-Hop-Konzerten gilt häufig als geprägt vom Auftreten überwiegend junger, männlicher Fans. Konzertveranstalter Live Nation gibt auf Anfrage an, keine Erkenntnisse über die Zusammensetzung des Publikums bei Festivals wie dem "Rolling Loud" zu haben. Dass diese Zusammensetzung ein Grund gewesen sein könnte für die aufgetretenen Störungen - Steinwürfe auf Ordner, Überklettern von Absperrungen -, wird zurückgewiesen: "Wir würden derartige Gründe in Abrede stellen", sagt Geschäftsführer Marek Lieberberg.

Ein Gegeneinander, aus dem ein Miteinander wird: Moshpit bei einem Heavy-Metal-Festival in Kopenhagen. (Foto: Peter Troest/Imago)

Trotzdem wurden Moshpits und die Wall of Death in München präventiv untersagt - ebenso wie das Stage Diving, das Springen von der Bühne auf die aufgereckten Hände des Publikums. Vom Kreisverwaltungsreferat München kamen diese Vorgaben nicht, wie die Behörde wissen lässt. An das Verbot wurde zwischen den Konzerten mit Einblendungen auf den Leinwänden erinnert, per Durchsage wurde betont, dass diese Tanzpraktiken zum Ausschluss von der Veranstaltung führen können.

Dazu im Widerspruch standen die Aufforderungen der Künstler: "Ich will den Moshpit sehen" - "Open that fucking Moshpit" - "Split the fuck open" - "Start running, start running" - "Es ist Zeit für einen Moshpit". Derlei schallte an allen drei Tagen von der Loud Stage, der größeren der beiden Bühnen - obwohl die Künstler über das Verbot informiert worden waren, wie es aus dem Veranstalterumfeld hieß. Am Ende blieb eine Vorgabe, die nicht durchgesetzt wurde und es entstanden Moshpits, bei denen Menschen, die zu Boden gingen oder auf andere Art ein Zeichen äußerten, dass sie sich unwohl fühlten, nicht sicher sein konnten, aus dem wilden Kreis eskortiert zu werden.

Woran das lag? Mehrere Gründe sind denkbar: Am Freitag gab es Konzerte - von Bonez Mc und Raf Camora -, bei denen der Andrang so groß war, dass es schwierig war, bei brenzligen Situationen den Bereich unmittelbar vor der Bühne schnell zu verlassen. Zudem ist der Moshpit-Kodex bei Hip-Hop-Veranstaltungen offenbar noch nicht etabliert, weil das Phänomen dort noch vergleichsweise jung ist. Jung waren auch große Teile des Publikums, was bedeutet, dass viele wegen der Corona-Pandemie ungeübt waren mit derlei sozialen Ausnahmesituationen. Und schließlich: "Respekt" auf Leinwänden und per Durchsage einzufordern, ist nicht sehr glaubwürdig, wenn die dargebotenen Texte dazu im scharfen Kontrast stehen. Achtsamkeit, Rücksichtnahme und gewaltfreie Kommunikation werden von Hip-Hop-Künstlern selten verherrlicht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivHip-Hop-Festival "Rolling Loud"
:"Zum Teil wirklich überzogen"

Konzertveranstalter Marek Lieberberg reagiert auf die Kritik an dem von ihm veranstalteten Hip-Hop-Festival "Rolling Loud" und zeigt sich irritiert über das Verhalten der Münchner Behörden.

Von René Hofmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: