Rathaus:Wie es der CSU in München geht

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Bürgermeister Josef Schmid weiß, dass seine Strategie die CSU in München nach oben gebracht hat. (Foto: Robert Haas)

Die Fraktion verliert Stadträte an die Bayernpartei und Bürgermeister Josef Schmid findet das überhaupt nicht schlimm. Wie kann das sein?

Von Heiner Effern und Wolfgang Wittl

Der "Sonnenkönig" der CSU wirkt nicht besonders getroffen angesichts dieser Schmähung. Er hat die Ärmel zurückgekrempelt, der Hemdkragen steht offen. Seine Fersen wippen unter dem Tisch im Stakkato, während er von seinen Erfolgen seit der Wahl erzählt. Die Fenster sind weit geöffnet, vom Marienplatz schwirren Klarinettentöne ins Rathaus herein. Die Sonne scheint am weiß-blauen Himmel über dem Marienplatz. Josef Schmid hat sich eingerichtet im Rathaus: "Ich bin voll angekommen. Ich fühle mich total wohl", sagt er.

Aber zwei Stadträte seiner Fraktion sind doch gerade zur Bayernpartei übergelaufen? Seine Partei hat den Status der stärksten Fraktion verloren, liegt nun gleichauf mit der SPD. Der abtrünnige Mario Schmidbauer hat ihn gar einen Sonnengott genannt, den man in der CSU ohne Widerrede anbeten müsse.

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Und der Oberbürgermeister kommt immer noch von der SPD, ununterbrochen seit 1984. Der heißt gerade Dieter Reiter, und ließ Schmid nach einer etwas ruhigen Anfangsphase manches Mal aussehen wie einen Verwaltungsangestellten, dem er die Welt erklärt. Geschickt setzte sich Reiter zum Beispiel an die Spitze der Weltstadt mit Herz, die Flüchtlingen einen warmen Empfang bereitete.

Als Schmid in einem Interview früh anmerkte, dass es viele, zu viele werden könnten, pfiff Reiter ihn öffentlich zurück. Als im Oktober der Haushalt außer Kontrolle geriet, zog ihn Reiter mit Kämmerer Ernst Wolowicz auch zum Erstaunen vieler CSUler zur Überarbeitung einfach zurück. Diese machten mit, erweckten aber nicht den Eindruck, wesentlich beteiligt zu sein.

Den Ärger über Schmidbauer wischt Schmid weg. Kritik eines Gekränkten, der einen Posten nicht bekommen hat, sagt er über ihn. Von einem, der nie im Regieren angekommen sei. Wie auch die frühere CSU-Stadträtin Eva Caim, die ebenfalls zur Bayernpartei floh. Schmid deutet den Verlust in einen Vorteil um: Zwei weniger, die stören, auf dem Weg nach ganz oben. Der Bürgermeister, der die CSU erstmals seit 1984 wieder in die Stadtregierung gebracht hat, fühlt sich zwar angekommen, aber nur auf einer Zwischenstation.

Reiter hat Schwächen gezeigt in den vergangenen Wochen, als sich seine Sozialreferentin Brigitte Meier auf Druck der CSU zurückziehen musste. Schmid sieht Chancen, der nächste Wahlkampf soll ihn in Reiters Eckbüro führen. Den Kurs dafür legt nur einer fest, Schmids Credo der CSU als liberaler Großstadtpartei gilt weiter. "Es ist meine Strategie, die dahin geführt hat. Von der werde ich nicht abrücken."

Was Seehofer zur Münchner CSU sagt

Bis dahin heißt für die CSU: Vom totalen Desaster im Jahr 2004, als sie nach der Dossier-Affäre und dem Rücktritt von Monika Hohlmeier als Parteichefin am Boden lag, bis in die Rathausregierung. Und nicht nur das. Die Münchner haben zuletzt alle vier CSU-Kandidaten direkt in den Bundestag gewählt und sieben von acht in den Landtag. "Die Partei steht personell so gut da wie nie zuvor", sagt München-Chef Ludwig Spaenle.

Der Ministerpräsident und Parteichef selbst findet für die Entwicklung der Münchner CSU mit ihrem liberalen Kurs nur lobende Worte. Niemand könne ernsthaft bestreiten, dass diese "eine satte Großstadtkompetenz" für sich in Anspruch nehmen dürfe, sagt Seehofer. Ein Modell für ganz Bayern sieht er darin allerdings nicht. Die Gefahr, mit einer modernen Ausrichtung wie in München konservative Wähler zu verprellen, ist Seehofer bewusst.

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Aber genau das müsse die CSU leisten: Heimat zu sein für alle Wähler. Wenn die Stadtratsfraktion Mitglieder verliere, wie zuletzt an die Bayernpartei, sei das schade, sagt Seehofer. Man müsse sich bemühen, die Leute zusammenzuhalten: "Das ist die große Führungsaufgabe."

Erfüllen sollen sie Spaenle und noch mehr Schmid. Ihre Aufgabe unterscheidet sich grundsätzlich von der Seehofers im Land: Der kann nach rechts weit ausholen und so versuchen, klassisches CSU-Klientel zu binden. Die SPD leistet in der Mitte so viel Widerstand wie eine Weichschaummatratze.

In München muss Schmid dagegen mit einer starken SPD ringen und gleichzeitig versuchen, keine Wähler am rechten Rand zu verlieren, die sonst zu Splitterparteien wie der Bayernpartei oder der AfD abwandern. In der Lokalpolitik wirkt sich das direkt aus, weil es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. Also versucht Schmid den Spagat, etwa in der Flüchtlingsfrage. "Ich vertrete da hundertprozentig die Haltung der CSU", sagt er. "Allerdings manchmal in einer anderen Diktion."

Er darf aber nicht nur auf die Wähler blicken, sondern muss auch weiter die Fraktion im Auge haben. Den Verlust von zwei Mandaten konnte er einigermaßen schlüssig wegreden. Jetzt darf keiner mehr abtrünnig werden, das weiß Schmid. Als die Stadträte vergangene Woche in Bremerhaven zur Klausur weilten, wurde nicht nur eine Fabrik für Windkraftanlagen besucht.

Es gab auch eine Fragerunde: Gibt es noch jemanden, der Fluchtgedanken in sich trägt oder extremen Frust? Es soll sich niemand gemeldet haben. "Die Fraktion steht wie eine Eins, da gibt es nichts zu rütteln", sagt Stadtrat Otto Seidl.

Die Alten, eher Konservativen mussten sich bekennen. Die neue, jüngere CSU wird Schmid ohnehin nicht angreifen. Es ist die Generation, die er in Stellung bringt, um die SPD zu attackieren. Umweltreferentin Stephanie Jacobs (parteifrei, aber von der CSU positioniert) und der künftige Personalreferent Alexander Dietrich (aktuell noch CSU-Stadtrat) sind die jüngsten Mitglieder der Stadtregierung. Manuel Pretzl wird Fraktionschef werden, wenn Hans Podiuk im Herbst nach seinem 70. Geburtstag das Amt aufgibt. Es ist Schmids Team. Ein deutlich jüngeres als das der SPD.

Nun müssen die Jüngeren der CSU beweisen, dass sie es auch können. Der erfahrenste in der CSU-Fraktion wird aufhören, einer der für den Begriff konservativ in der CSU steht. Fraktionschef Hans Podiuk glaubt aber nicht, dass mit seinem Rückzug der CSU die Stammwähler wegbrechen. "Der Kurs von Josef Schmid spiegelt die Veränderungen in der Gesellschaft wieder." Allerdings warnt er auch zur Vorsicht. "Diese Frage hast du in der Politik: Wo ist der Punkt erreicht, wo du andere versprengst?"

Was das Regieren mit der CSU gemacht hat

Wenn Podiuk die konservative Seite des Spiels abdeckt, dann steht Stadtrat Marian Offman in der CSU sicher für die gegenteilige Position. Mancher in seiner eigenen Partei nennt ihn schon mal deren "Linksradikalen". Die Diskussionen in der Fraktion seien mitunter schmerzhaft, was aber nicht immer mit links und rechts zu tun habe, sagt Offman. "In der Opposition hat man viel mehr Freiheiten. Aber wir werden besser."

Allerdings eröffnet die Macht auch Freiheiten, die man so nicht kannte. Attraktive Posten sind plötzlich in Griffweite. Im Wahlkampf giftete Schmid noch gegen das Personal-Geschachere von Rot-Grün, gerade sind aber Pläne öffentlich geworden, wie das Rathausbündnis freiwerdende Geschäftsführerposten bei den städtischen Wohnungsgesellschaften unter sich aufteilen will.

"Erstaunlich wendig" zeige sich hier die CSU, sagt Grünen-Fraktionssprecher Florian Roth. Auf dieser Ebene sei sie schon mehr an der Macht angekommen als auf der Sachebene, wo immer wieder mal "Oppositionreflexe" durchbrächen. Gleichzeitig müsse die CSU nun auch erkennen, was früher auch die Grünen verzweifeln ließ: wie eng verwoben die SPD nach Jahrzehnten an der Stadtspitze mit der Verwaltung ist und welchen Vorsprung sie deshalb oft beim Regieren hat.

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"Nervös und verunsichert" nimmt deshalb auch Michael Mattar, Sprecher der Fraktion aus FDP, Hut und Piraten, die CSU wahr. Dass Schmid einen amtierenden OB Reiter tatsächlich ernsthaft angreifen könnte, hält er für "aussichtslos. Auch wenn Reiters Glanz etwas stumpfer geworden ist, reicht der noch aus".

Schmid selbst weiß, dass ihm viele den ganz großen Sprung nicht zutrauen. Doch das spornt ihn an. Auch als er sich die Doppelfunktion als Bürgermeister und Wirtschaftsreferent aussuchte, habe es geheißen: Der übernimmt sich. Alle Lästereien seien verstummt, so empfindet es Schmid. Das soll so bleiben.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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