Rathaus:Ist die SPD noch die München-Partei, wie sie sich selbst gerne nennt?

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Eigentlich wollte Oberbürgermeister Dieter Reiter kein "weiter so". (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Der Schock über das katastrophale Abschneiden bei der Bundestagswahl ist lange nicht aufgearbeitet, stattdessen zeichnet sich ein "weiter so" ab. Allerdings wird der Ton rauer, vor allem gegenüber den Grünen.

Analyse von Heiner Effern, München

Roland Fischer, SPD-Vize in München, wird von den eigenen Leuten gedemütigt. Isabell Zacharias, eine der bekanntesten Abgeordneten, hat mit letzter Kraft verhindert, dass sie nicht der Vorsitzende ihres eigenen Ortsvereins verdrängt. Die Aufstellungen für die Landtagswahl in der vergangenen Woche hinterlassen in der SPD massive Spuren. Auch von Verschwörung ist im Hintergrund die Rede. Dazu sitzt der Schock über das katastrophale Abschneiden bei der Bundestagswahl noch tief. Die Grünen sind vorbeigezogen, man ist nur noch Nummer drei in der Stadt. Ob und welchen Anteil daran auch die Münchner SPD hat, ist noch nicht aufgearbeitet. Es ist angerichtet für einen Parteitag am Samstag, der viel über den Zustand der SPD im Herbst 2017 verraten könnte.

Ist sie noch die München-Partei, wie sich selbst gerne nennt? Hat sie die Kraft, die aufmüpfigen Grünen bei der Landtagswahl im Herbst 2018 in die Schranken zu weisen? (Die CSU ist außer bei Kommunalwahlen eh nur noch mit dem Fernglas zu sehen, wie es Bayern-Präsident Uli Hoeneß formulieren würde). Findet die SPD einen Ausweg aus dem "Weiter-so", das sie nach der Bundestagswahl unbedingt vermeiden wollte? Ist sie eine moderne Großstadtpartei, oder muss sie es erst (wieder) werden? Wo will sie mit dieser Stadt, die sie seit Jahrzehnten regiert, eigentlich hin? Viele Fragen stehen im Raum, vielleicht liefert der Gastredner eine Idee. Dierk Hirschel, Verdi-Bereichsleiter Wirtschaftspolitik, wird über "Gut leben in München - in jedem Alter!" sprechen.

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Gut leben in München ist über alle Altersgruppen hinweg allerdings gar nicht das Hauptproblem. Die Menschen kämpfen darum, angesichts der explodierenden Mieten überhaupt in München leben zu können. Die SPD bemüht sich glaubhaft darum, von Oberbürgermeister Dieter Reiter und der Stadtratsfraktion über die Abgeordneten des Landtags und des Bundestags. Die Stadt baut neu, was und wo es geht. Die mühevoll durchgesetzte Mietpreisbremse der SPD wurde von der Union kaputt zerfasert, sozialer Wohnungsbau ist im Bund und im Land kein Thema.

Wenn die Münchner hören, dass eine Wohnung von knapp 90 Quadratmetern auf dem Paulaner-Gelände für eine Million weggeht, denken sie aber an die SPD. Wenn sie 18 oder 20 Euro Miete zahlen sollen, ebenfalls. Das wichtigste Thema der Stadt fällt ihr auf die Füße, und sie kann nicht mal viel dafür. Jedenfalls nicht im Tagesgeschäft. Mit fatalen Folgen. "Da wird uns nicht mehr abgekauft, dass wir die München-Partei sind", sagt der Bundestagsabgeordnete Florian Post.

An diesem Beispiel zeigt sich ein Unbehagen, das viele SPD-Mitglieder verspüren. Sie attestieren ihren Mandatsträgern solide Arbeit im Tagesgeschäft, aber es fehlt die große Idee dahinter. "Was wir uns wünschen, ist eine Vision, ein großes Bild, wie die Stadt in der Zukunft aussehen soll", sagt zum Beispiel die Juso-Vorsitzende Lena Sterzer. Bei all den drängenden Fragen einer wachsenden Stadt wie Wohnen und Verkehr fehlt ihr zwischendurch der Schritt zurück, der andere Blick. Wie ein solcher gelingen kann, machte der Partei ausgerechnet ein 91 Jahre alter Senior vor.

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Hans-Jochen Vogel platzierte die Idee seiner Bodenrechtsreform neu, passend in die Zeit. Diese muss nicht die Lösung aller Probleme sein, aber da steht Mut dahinter, auch radikal zu denken. Die Stadtratsfraktion unternimmt gerade einen Versuch in kleinerem Rahmen, die gewünschten kostenlosen Kita-Plätze für alle würden ein stärkeres Zeichen abgeben als viele lobenswerte Klein-Klein-Entscheidungen im Stadtrat. Wenn sich nicht doch noch die Bedenkenträger durchsetzen, "dazu haben wir einen Hang", sagt Sebastian Roloff, der im Süden für den Bundestag kandidierte. Dort musste er wie seine Münchner SPD-Kollegen wieder einmal erfahren, dass sich persönliche Ergebnisse kaum vom überregionalen Trend der SPD abkoppeln lassen.

Welche Lehren die Münchner sonst noch daraus ziehen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Bei der Art der Aufarbeitung praktiziert sie das ungeliebte "Weiter so", Arbeitsgruppen untersuchen die Gründe für den Absturz auf 16,2 Prozent. Das angesetzte Treffen von OB und Fraktion mit der Parteispitze fiel aus, weil Dieter Reiter die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises an diesem Abend vorzog. Nachgeholt wurde es vor dem Parteitag nicht.

Der Oberbürgermeister hatte gleich nach der Wahl auch eine Fraktionsklausur zu den Konsequenzen angekündigt, diese stand dann aber im Zeichen des Haushalts für das Jahr 2018. Im Frühjahr sollen die Ergebnisse der Arbeitsgruppen diskutiert werden. Am jetzigen Parteitag will München-Chefin Claudia Tausend lieber "nach vorne blicken".

Der Bundestagsabgeordnete Post sieht aber eine ganz pragmatische Notwendigkeit, um nicht auch bei der Landtagswahl in der Stadt im Herbst hinter den Grünen zu liegen. "Der OB muss mit seiner ganzen Kraft und Popularität in den Ring steigen." Reiter sei "das größte Pfund", das die SPD in München habe. Dazu müsse seine Partei endlich lernen, die Grünen als politischen Gegner zu begreifen, der ihr in der Stadt massiv Stimmen abjagt. "Wenn nach unserem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl auf unserer Wahlparty Jubel beim Ergebnis der Grünen aufkommt, dann haben wir nichts kapiert", ärgert sich Post. "Es gibt kein rot-grünes Lager mehr."

Die Stadtratsfraktion der SPD setzt diese Erkenntnis in den Wochen und Monaten nach der Bundestagswahl bereits voll um. Manche sehen auch die Fahnenflucht der Grünen auf die Seite der Kohle-Gegner beim Bürgerentscheid als Auslöser, jedenfalls herrscht ein rauer Ton zwischen den langjährigen Koalitionspartnern.

Fraktionschef Alexander Reissl bescheinigte ihnen zum Beispiel in der letzten Vollversammlung bei einer Debatte um Elektrobusse "unsägliche Symbolpolitik", nicht nur einmal eine "Profilneurose", die Zeit aller Stadträte sei viel zu wertvoll für den "Quatsch" der Grünen. SPD-Stadtrat Horst Lischka attestierte der Umweltpartei in der gleichen Sitzung, dass sie nicht nur die Grundsätze von Wirtschaftspolitik nicht verstehe, sondern auch die der Umweltpolitik. Hier spricht schon die Fraktion mit einer Stimme, eine Haltung die sich viele SPD-ler für ihren gesamten Stadtverband wünschen.

Am Samstag bringen übrigens die Jusos eine Antrag ein, dass sich die Münchner SPD gegen eine große Koalition in Berlin aussprechen solle. Da bleibt eher zu erwarten, dass die SPD wieder mit sehr vielen Stimmen sprechen wird.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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