Fahrradfahren:Abgestrampelt in München

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Der Metzger-Seppe und die Radl-Anne: Johann Schuler ist in der Serie "Zur Freiheit" mit Michaela May unterwegs. (Foto: mauritius images / United Archiv)

Wenn die selbsterklärte "Radlhauptstadt" München in Film und Medien vorkommt, spielt das Fahrrad bestenfalls am Rande eine Rolle. Daran konnten weder die Olympischen Spiele noch ein Schunkellied etwas ändern.

Von Martin Bernstein

Die Radl-Anne fläzt mit dem Metzger-Seppe auf dem Dachboden zwischen Kissen unterm blau-goldenen Sternenhimmel. Das Paar, gespielt von Michaela May und Hans Schuler, gehört zum Personal von Franz Xaver Bogners 1988er-Serie "Zur Freiheit", die gerade immer montags im Bayerischen Fernsehen wiederholt wird. Die Radl-Anne heißt so, weil sie eine Fahrradwerkstatt betreibt. Radeln tut sie in den 44 Folgen aus dem Schlachthofviertel eher weniger. Wenn sie zusammen mit dem Metzger-Seppe aufs Tandem steigt, um Richtung Flaucher zu kurven, dann dauert der Ausflug keine zehn Sekunden. Der Flaucher der beiden ist eine Kissenlandschaft am anderen Ende des geräumigen Dachbodens. Das mag der Dramaturgie der mit 25 Minuten recht kurzen "Zur Freiheit"-Folgen geschuldet sein. Es bestätigt aber eine empirische Beobachtung: Wenn die selbst erklärte "Radlhauptstadt" München in Film, Funk und Fernsehen vorkommt, dann kommt eines bestenfalls am Rande vor - das Fahrrad.

"Tatort"-Afficionados entsinnen sich noch des rasant auf einem Rennrad um die Ecken Saarbrückens kurvenden Kommissars ("Salü!") Palu, gespielt von Jochen Senf. Und in derselben Krimireihe, die unser Bild von deutschen Städten prägt, wie es keine Fernsehsendung sonst und erst recht kein Schulunterricht zu leisten vermag, darf Kommissar Thiel selbstverständlich das tun, was in der Vorstellung der meisten Nicht-Münsteraner fast alle Bewohner der westfälischen Bischofsstadt tun - radeln. Aber München? Hat jemand das Duo Batic/Leitmayr schon mal zum Einsatzort radeln sehen? Doch ja, in einer Folge gab es das. In "Ein Sommernachtstraum" (1993), einer wilden Räuberpistole über Satansjünger im Englischen Garten. In Erinnerung geblieben ist die vielen nicht. Vor Miroslav Nemec (Batic) und Udo Wachtveitl (Leitmayr) ermittelten in den Münchner Tatorten Helmut Fischer und Gustl Bayrhammer, bei denen sich die Frage nach dem Radl noch nicht stellte.

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Apropos Bayrhammer. Plastikente, Wollpullover, Spielzeugauto, Schaukel, Segelboot - das alles kommt in den "Pumuckl"-Folgen vor. Eine Episode, die etwa "Meister Eder und das Mountainbike" oder so ähnlich hieße, sucht man indes vergebens. Der originale Hinterhof der fiktiven Schreinerwerkstatt in der Widenmayerstraße, heute natürlich Standplatz etlicher Fahrräder, präsentierte sich damals, anno 1979, zweiradlos, wie der "Pumuckl"-Vorspann beweist. Dabei möchte man doch meinen, dass die Siebzigerjahre in der Landeshauptstadt das Jahrzehnt des Fahrradbooms hätten sein sollen. Im Olympiapark war das Radstadion entstanden, konzipiert übrigens - wie sollte es auch anders sein - von einem Architekten aus Münster.

Beim olympischen Straßenrennen am 7. September 1972 auf einem 22,8-Kilometer-Rundkurs von Grünwald nach Schäftlarn und zurück belegte unter den Augen zahlloser Münchner der Wuppertaler Wilfried Trott immerhin den sechsten Platz. Und in den Volksmusiksendungen wechselten sich die Münchner Dixieland-Kapelle "Hot Dogs" um Sänger und Klarinettist Ludwig Niedermaier und "Die 3 lustigen Moosacher" ab - mit derselben Melodie und demselben Refrain, aber mit unterschiedlichen Strophen eines Liedes, das seinen seltsamen Weg von den Gospel-Kirchen der US-Südstaaten in die bundesdeutschen TV-Wohnzimmer geschafft hatte: "Ja, mir san mit'm Radl da".

Es war auch die Hochzeit der Trimm-dich-Bewegung, offiziell gestartet am 16. März 1970 vom Deutschen Sportbund (DSB). 94 Prozent der Bevölkerung kannten die Aktion und es mag dahin gestellt bleiben, wessen Anteil an der Fitness-Begeisterung größer war: der des DSB oder der drei lustigen Moosacher um Rudolf "Waggi" Schneider. Zu deren "Gloryland"-Adaption ließ sich im Fernsehsessel prima mitklatschen, immer auf der Eins: "Mia trinka Bier und Wein / braucha koan Führerschein / schnappt uns die Polizei heit / mach ma uns gar nix draus / lach ma den Schandi aus / weil uns die Gaudi gfreit ...". Hier sei der Warnhinweis angebracht, dass es sich um einen Text aus dem Jahr 1973 handelt. Heutzutage darf man weder in Moosach noch anderswo alkoholisiert aufs Fahrrad steigen. Die Münchner Polizei kann ein Lied davon singen.

Doch mit der Wirklichkeit - 1986 erster Münchner Radverkehrsentwicklungsplan, 2009 erstmalige Verwendung des Schlagworts "Radlhauptstadt" - konnte das Rad in der Unterhaltungsindustrie danach nicht mehr mithalten. Verkauft die Radlhauptstadt sich unter Wert? Meinte die Radl-Anne vielleicht gar nicht ihren Seppe, sondern die Stadt München, als sie auf dem Lotterbett säuselte: "Woaßt, was des Problem mit dir is? Du bist manchmal so wahnsinnig bläd. Und manchmal so wahnsinnig schee. Muass des so sei?"

In München-Filmen wird selten geradelt. Oft wird nur behauptet, dass irgendwer mit dem Rad fährt. In Ralf Westhoffs Erfolgsfilm "Der letzte schöne Herbsttag" aus dem Jahr 2010 dient das Fahrrad schon im Trailer vor allem als Vehikel für mehr oder minder gelungene Vergleiche zum Beziehungsleben von Claire (Julia Koschitz) und Leo (Felix Hellmann). Sie: "Ich hab den nur getroffen... im Fahrradladen." Er: "Sie hat mich angesprochen." Sie: "Er hatte einen Platten." Er: "Die hat mich gefragt, warum ich den Platten nicht selber repariere." Sie: "Ich hab dem echt das Fahrrad repariert ... und er hat gekocht. Obwohl ich sagen muss: Wenn ich ihm den Platten so repariert hätte, wie er gekocht hat, dann wär der damit nicht mal in die Innenstadt gekommen."

Bereits die 68er-Filmkomödie "Zur Sache, Schätzchen" mit Uschi Glas hatte sich, glaubt man der Überlieferung, des Fahrrads als rhetorisches Mittel bedient. Dass in dem Film "gefummelt" wurde, soll buchstäblich der Oma von Hauptdarsteller Werner Enke zu verdanken gewesen sein. Die habe den Enkel angeblich früh ermahnt: "Fummel nicht so viel am Fahrrad rum."

Vorbei die Zeiten, als ein Karl Valentin ein Fahrrad mit auf die Bühne brachte und Sketche drumherum schrieb. Sogar der legendäre "Wrdlbrmpfd" stammt aus so einer Miniatur. Auffallend übrigens, dass schon damals Radfahrer-Szenen nicht ohne Schutzmann denkbar waren. Die verhandelten Themen sind zeitlos: "Mei Hupe hupt ja nicht" - "i hab's präsant" - "lauft ma die saudumme Frau direkt ins Radl nei". Auch Ludwig Thomas "Münchner im Himmel", veröffentlicht 1911, hat seine transzendente Begegnung mit einem Radler, einem roten noch dazu, was ihn, den gewesenen Dienstmann, in höchste Rage versetzt: "Du Lausbua, du mistiga!" schrie er, "kemmt's ös do rauf aa?"

Die Roten Radler waren keine Erfindung Thomas. Die livrierten Fahrradkuriere waren seinerzeit Realität auf Münchens Straßen. Und berühmt-berüchtigt für ihren forschen Fahrstil.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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