Kolumne Null Acht Neun:Herzchirurg in Eile

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Achtung, gleich kommt einer von links und überholt. (Foto: Stephan Rumpf)

Wer an der roten Ampel andere Radfahrer überholt, hat dafür besser richtig gute Gründe.

Kolumne von Christiane Lutz

Der Winter ist vorbei, der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern und so weiter. Zumindest ist man in München wild entschlossen, dass es flattert. Tischchen werden wieder hektisch vor Cafés gezerrt, Sonnenbrillen rausgeholt, die Leute sitzen dicht gedrängt auf den zweieinhalb Quadratmetern Sonnenschein, für zweieinhalb Minuten, bis die Sonne ums Eck verschwindet. Der jüngste Magendarmvirus ist gerade so abgeklungen, der Aperol Spritz schmeckt, und was da in den wintermüden Leib zurückschießt, ist ganz eindeutig: Dolce Vita.

Dolce Vita auch auf den Radwegen, die sind noch voller als sonst. Und an praktisch jeder roten Ampel, an der man als radelnde Frau hält, geschieht derzeit Erstaunliches: Sie steht, sie wartet auf Grün, und plötzlich schiebt sich durch den mikroskopisch schmalen Spalt zwischen ihr und dem üblicherweise daneben stehenden Auto ein Mann auf einem Fahrrad, meist lautlos, nur um sich dann einen halben Meter vor ihr an die Ampel zu stellen und dort auf Grün zu warten.

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Nicht selten quetscht sich dann ein weiterer Mann auf einem Rad vorbei, stellt sich wiederum vor den ersten Mann an die Ampel. Von Männern muss die Rede sein, weil es sich in den erzählten Fällen aus unerfindlichen Gründen ausschließlich um Männer auf Rädern handelt. Gut, manchmal sind es auch Männer auf Elektrorollern.

Was machen diese Männer? Und: Warum machen Sie es? Im Supermarkt geht man ja auch nicht einfach an den anderen vorbei und reiht sich weiter vorn in der Schlange ein. Sind ihre Bremsen kaputt? Wollen sie nicht wahrhaben, dass die Ampel rot ist? Wollen sie schnell ins Café, die zweieinhalb Minuten Sonne genießen, bevor die weg ist? Oder wollen sie sich gar - irgendwie wichtig machen?

Ausgeschlossen.

Nein, sicher sind diese Männer alles Herzchirurgen in Eile. Sie müssen um jeden Preis fünfzig Zentimeter eher losfahren als man selbst, weil sie auf dem Weg zu einer hochkomplizierten Operation sind, die außer ihnen im Umkreis von 500 Kilometern niemand beherrscht, es geht um Leben und Tod. Alles andere wäre ja albern. Da lässt man doch gern Vortritt.

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