Paul R. wollte diesmal lieber nichts sagen. Still lächelte der 24-jährige Antifaschist am Mittwoch am Landgericht München I in sich hinein und ließ seinen Anwalt Markus G. Fischer reden. Auch der empfand es als Farce, dass sein Mandant am Amtsgericht wegen des Diebstahls mehrerer Kisten mit aussortierten Lebensmitteln und des Tragens einer kleinen Fahne, die die Polizei als Waffe einstufte, zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt worden war.
Doch so sehr sich Fischer nun im Berufungsverfahren vor der 18. Strafkammer mühte, das erstinstanzliche Urteil zu zerlegen, am Ende gab es wieder einen Schuldspruch für seinen Mandanten. Das Urteil fiel mit einer viermonatigen Bewährungsstrafe zwar etwas milder aus. Angesichts der Tatsache, dass Paul R. wegen seiner vergleichsweise harmlosen Taten sogar knapp zwei Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, ist der Richterspruch für ihn doch hart und bitter.
Für ihn als Linksaktivisten ist es Verschwendung, was Supermärkte mit abgelaufenen Lebensmitteln anstellen. Die durchaus noch zum Verzehr taugliche Ware wird kurzerhand auf den Müll geworfen. Auch bei einem Rewe-Markt in Sendling wird das so gehandhabt. Eine Entsorgungsfirma holt die Müllbehälter dann ab und kippt die Lebensmittel in eine Biovergärungsanlage.
Weggeworfene Lebensmittel:Mülltauchen statt einkaufen
Aus Protest gegen Verschwendung klauben Menschen weggeworfene Lebensmittel aus Containern. Rechtlich ist das umstritten. Unterwegs mit einem "Mülltaucher".
Bewaffneter Diebstahl wegen eines Sprays?
Leute wie Paul R., der gerade den Bundesfreiwilligendienst ableistet und zuvor bei der Münchner Tafel gearbeitet hatte, finden das nicht gut. Sie klettern nachts heimlich über die Zäune von Supermärkten und sammeln aus den Müllbehältern alles Verwertbare zusammen - "Containern" nennt man das.
So war es auch am 20. Mai bei Rewe in der Alramstraße. R. und ein Kumpel luden gegen Mitternacht gerade vier Kisten mit alten Lebensmitteln und weggeworfenen Zeitschriften in ihr Auto, als eine Zivilstreife auf sie aufmerksam wurde. Die jungen Männer wurden durchsucht, in R.s umgeschnallter Hüfttasche fand sich ein Pfefferspray.
Er sagte, er brauche das Mittel gelegentlich zur Abwehr von Hunden. Obwohl die Lebensmittel nichts mehr wert waren und Rewe auch keine Anzeige erstattete, wurde gegen die beiden jungen Männer Ermittlungen eingeleitet. Paul R. musste sich sogar bewaffneten Diebstahl vorwerfen lassen, weil er das Pfefferspray dabei hatte.
Zwei Monate nach dem "Containern" kam er in Haft. Er war bei einer Demonstration gegen Pegida am Marienplatz mitgelaufen und hielt dabei eine kleine zusammengerollte Fahne in der Hand. Zivilpolizisten wurden gleich auf das 40 Zentimeter lange, im Durchmesser knapp zwei Zentimeter messende Holzstück mit rotem Tuch aufmerksam.
Solange die Polizisten Paul R. beobachteten, das waren fünfzehn bis zwanzig Minuten, schwenkte er die Fahne nicht. Die Beamten kamen zu dem Schluss: Das ist kein Kundgebungsgegenstand, sondern eine Waffe - eine sogenannte Knüppelfahne.
Mehrere Zivilbeamte nahmen nach der Demo die Verfolgung R.s auf und stellten ihn schließlich in einem Kaufhaus. Er reagierte nicht unfreundlich, als die Polizisten in seinen Rucksack sehen wollten und die Knüppelfahne zum Vorschein kam. Weil gegen R. bereits das Diebstahlsverfahren lief und er wegen Beleidigung und Widerstands zu Geldstrafen verurteilt worden war, erließ ein Ermittlungsrichter Haftbefehl. "Fluchtgefahr", lautete die Begründung.
"Das ist ein politischer Prozess", meint der Angeklagte
Am Amtsgericht bekam er dann die neumonatige Strafe aufgebrummt. Nun rechnete Paul R. auch in der Berufung nicht wirklich damit, dass er freigesprochen werden würde: "Das ist ein politischer Prozess", sagte er. "Wenn die Fahne nicht rot, sondern schwarz-rot-gold gewesen wäre, dann säßen wir jetzt nicht hier." Die Zuhörer im Gerichtssaal waren begeistert.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, das Urteil des Amtsgerichts zu bestätigen. Die Lebensmittel seien zwar nichts wert gewesen, wohl aber die vier Rewe-Plastikkisten, die R. und sein Kumpel zum Transport verwendeten, argumentierte die Anklägerin. Das Pfefferspray habe der Angeklagte "griffbereit" in seiner Tasche mit sich geführt. "Es kann nicht nur gegen Hunde, sondern auch gegen Menschen eingesetzt werden."
Urteil gegen Antifa-Aktivisten:Neun Monate Haft auf Bewährung für Paul R.
Seit Ende Juli saß der Antifa-Aktivist wegen zweier Vergehen in Untersuchungshaft. Nun ist er verurteilt. Zu Ende ist der Rechtsstreit damit aber noch nicht.
Bei der Fahne rückte die Staatsanwältin auch nicht von ihrer bisherigen Einschätzung ab, dass es sich "um einen Gegenstand mit unfriedlichem Charakter" handele: "Der Zweck sticht ins Auge."
Teilerfolg für Paul R.
Verteidiger Fischer beharrte darauf, dass sich sein Mandant bei der Demo völlig friedlich verhalten habe und schließlich "fast jeder Gegenstand zur Verletzung von Personen" eingesetzt werden könnte. "Mit einer Krawatte können sie jemanden strangulieren", so der Anwalt.
In dem Lebensmittel-Fall konnte er ebenso keine strafbare Handlung erkennen. Die Kisten im Gesamtwert von 12,60 Euro seien doch bloß Behältnisse zum Transport gewesen, an denen R. gar kein Interesse gehabt habe.
Alle Argumente Fischers brachten aber nur einen Teilerfolg. Das Gericht unter dem Vorsitz von Renate Baßler wertete das "Containern" als minderschweren Fall und reduzierte die vom Amtsgericht verhängte Strafe. Die Fahne wurde von der Kammer letztlich aber als "eine Art Schlagstock" eingestuft. "Auch wenn Sie sie so nicht verwendet haben", meinte Baßler zu Paul R.