Prozess: Täter von Solln:"Ich will nicht als Depp dastehen"

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Nach dem ersten Prozesstag ist für die Öffentlichkeit unverständlich, wie die schmächtigen und schüchternen Angeklagten in der Lage waren, Dominik Brunner zu Tode zu prügeln. Wer sind diese beiden jungen Männer?

Lisa Sonnabend

Die beiden sind schmächtig, schüchtern, fast verängstigt. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sie im September vergangenen Jahres so fest auf Dominik Brunner eingeschlagen haben, dass er starb. Der 19-jährige Markus S. und der 18-jährige Sebastian L. müssen sich seit Dienstagmorgen vor dem Landgericht verantworten. Die Anklage: Mord.

Zwei schmächtige junge Männer auf der Anklagebank: Sebastian L. wird an Markus S. vorbei ins Gericht geführt. (Foto: rtr)

Markus S. hat ein blau-weiß gestreiftes Hemd an, das ihm viel zu weit ist. Sein Gesicht ist so blass, als hätte er eine schwere Grippe. Die Augen hat er während der Verhandlung meist geschlossen, nur einmal öffnet er sie kurz und sagt mit stockender Stimme: "Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht zu entschuldigen ist und dass ich absolut falsch reagiert habe. Mir tut der Tod des Herrn Brunner so unendlich leid, ich kann es nicht beschreiben."

Es sind die einzigen Worte, die Markus S. am ersten Verhandlungstag spricht. Er sagt nicht selbst aus. Er sei dazu physisch und psychisch nicht in der Lage. Stattdessen lässt der 19-Jährige seine Erklärung zum Tatgeschehen von seinem Verteidiger Maximilian Pauls verlesen.

Die Verteidigung beschreibt Markus S. als schüchternen, zurückhaltenden, gar ängstlichen Menschen, der noch sehr jugendlich wirkt. Markus S. sei, wie in der Verhandlung deutlich wird, jemand, der, wenn andere Jugendliche um Geld erpressen, mitmacht, weil er "nicht als Feigling und Depp dastehen" will. Aber er ist auch jemand, der angetrunken Dominik Brunner anfährt: "Du Spasti, was mischt du dich ein?" Er ist jemand, der zuschlägt und sogar zutritt.

Markus S. hat bis zu seiner Verhaftung bei seinen Eltern in Johanneskirchen gewohnt, doch die Verhältnisse sind schwierig. Markus S. hat bereits Vorstrafen wegen Diebstahl und Körperverletzung, saß einen Monat lang im Jugendarrest. Sein älterer Bruder ist Markus' großes Vorbild. Er sitzt ebenso im Gefängnis - wegen eines Drogendeliktes. Auf der Internetplattform Lokalisten.de hat Markus S. einmal geschrieben: "Mein Traumtag sieht so aus: Der Tag an dem ich den scheiß drecks bullen erwisch, der mir mein Bruder genommen hat click BUUUUUUUUMMMMMMMM". Sein Profilfoto zeigt ihn mit einer Pistole in der Hand - das brachte ihm eine Anklage wegen Androhung einer Straftat ein.

Das Bild, das Mittäter Sebastian L. am ersten Verhandlungstag von seinem Freund Markus S. zeichnet, beschreibt ihn als einen, der viel trinkt. Täglich. Mehrere Bier. Oft auch Wodka. Am Tag der Tat hat er nach eigenen Angaben "Wodka zum Frühstück" getrunken. Wenn Markus angetrunken war, sagt Sebastian L., habe er mehr geredet als sonst, war gut drauf, habe viel gelacht.

Zum Tatzeitpunkt kannten sich die beiden Angeklagten seit einem halben Jahr. Es war die eine Minute am Bahnsteig Solln, in der sie Dominik Brunnner zu Tode prügelten - und die ihre beiden Leben für immer miteinander auf schreckliche Weise verknüpfte. Dass ihnen das Geschehen leidtut, ist auch Sebastian L. anzumerken. Er sagt: "Ich wollte niemals, dass so etwas passiert. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt."

Sebastian L. trägt im Gericht ein kurzärmeliges, weißes Hemd, modische Jeans und neue, schwarze Turnschuhe. Er hat sich entschlossen, selbst auszusagen - und so ist an den ersten beiden Verhandlungstagen weit mehr über ihn zu erfahren als über den Mitangeklagten.

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Vor einem Jahr traten zwei Jugendliche so brutal auf Dominik Brunner ein, dass dieser starb: Die Tat sorgte bundesweit für Aufsehen. Eine Chronologie in Bildern.

Mit leiser, monotoner Stimme beantwortet er die Fragen von Richter Reinhold Baier in kurzen Sätzen. Baier fragt genau nach. "Wie hat Markus getreten?", "Stand die S-Bahn noch?", "Wie viele Schläge haben Sie gesehen?" Sebastian L. antwortet meist: "Nein", "Ich kann mich nicht erinnern" oder "Keine Ahnung."

"Ich trete nicht auf Personen ein, die am Boden liegen." Ob die Version von Sebastian L. stimmt, wird sich zeigen, wenn die Zeugen aussagen.   (Foto: rtr)

Sebastian L. sagt, Markus S. habe zuerst auf Brunner eingeschlagen. Und: "Ich trete nicht auf Personen ein, die am Boden liegen." Während sein Freund berichtet, sitzt Markus S. regungslos da, die Hände auf dem Tisch gefaltet, der Blick nach unten, der Mund offen. Ob dieses Bild, das Sebastian L. von sich und dem Geschehen zeichnet, stimmt, wird sich zeigen, wenn die Zeugen in den kommenden Tagen aussagen werden.

Während Sebastian L. vom Geschehen berichtet, ist dabei auch einiges über sein Leben zu erfahren. Zum Tatzeitpunkt war er 17 Jahre alt - und lebte in einer Wohngemeinschaft für Drogenabhängige. Alkohol, Kiffen und kleinere Delikte bestimmten sein Leben. Einmal klaute er Eiscreme im Wert von 100 Euro. Ein anderes Mal trat er mit dem Fuß gegen den Außenspiegel eines Autos, weil er sauer war, dass ein Freund von ihm ins Heim musste, wie er sagt.

Nun sitzt er zum ersten Mal in Haft. Gut gehe es ihm nicht. Die anderen Insassen würden ihn meiden, er habe sogar einige Drohungen bekommen, sagt er aus. Aus dem Knast hat Sebastian L. Briefe geschrieben, in denen er darstellt, wie er die Tat bedauere und dass er große Angst vor der Hauptverhandlung habe. Besuch habe er immerhin regelmäßig bekommen: von seiner Tante, seiner Oma und von seinem Betreuer aus der Wohngemeinschaft.

Durch die Berichterstattung im Vorfeld des Prozesses ist bekannt: Seine Kindheit war alles andere als behütet. Die Eltern trennen sich, als Sebastian L. sechs Jahre alt ist. In der Schule macht er keine Hausaufgaben, schwänzt oft, fliegt von der Schule. Mit 13 fängt er an zu trinken, mit 14 Drogen zu nehmen. Er bekommt mehrere Anzeigen - wegen Diebstahls oder räuberischer Erpressung.

Als er 16 Jahre ist, stirbt plötzlich sein Vater. Ein Schock für ihn. Seine Mutter ist schwer krank, lebt in einem Heim. Das Jugendamt übernimmt deswegen die Vormundschaft. Sebastian L. zieht in die Jugendpension "Jup", später in die WG des Suchthilfevereins Condrobs. Ein Heimleiter sagte zur SZ: "Sebastian ist eine verlorene Seele." Dass es zu einem Gewaltakt wie dem in Solln kommen könnte, daran hatte keiner geglaubt.

Wohl auch wegen Sebastian L.s Körpergröße. Nicht einmal 1,70 Meter ist er groß und wiegt nach eigenen Angaben nur etwa 50 Kilogramm.

Warum diese zwei jungen schmächtigen Männer so eine Wut bekommen, dass sie einen Mann totschlagen, das wird wohl für immer unerklärlich bleiben.

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