Hells-Angels-Prozess:Nebenkläger reist trotz Fußfessel ins Ausland

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Seit November läuft der Prozess gegen ein Hells-Angel-Mitglied in München. (Foto: dpa)

Nächste Kuriosität im Hells-Angels-Prozess: Ein Tatverdächtiger ist mit seinen Kumpels in der Türkei untergetaucht - und das Opfer hat sich auch aus dem Staub gemacht.

Von Julian Hans

Erst eine Keilerei vor dem Gericht, dann ein Angriff mit einem Kleintransporter auf den Nebenkläger, dann eine Fußfessel für das Opfer. Seit Donnerstag ist der Prozess um eine Messerstecherei im Crowns Club vor fünf Jahren um eine weitere Kuriosität reicher: Erdinç D., dem die Polizei vor zwei Wochen eine elektronische Fußfessel angelegt hatte, hat das Land verlassen.

Der Gerichtssaal B275 wird immer leerer. Zum Prozessauftakt im vergangenen November waren noch Dutzende Anhänger der Hells Angels aufmarschiert, um dem Angeklagten Khaled B. ihre Unterstützung zu demonstrieren. Er wird beschuldigt, bei einer Auseinandersetzung im Crowns Club im Mai 2015 Erdinç D. und dessen Bruder ein Messer in den Bauch gestochen zu haben. Dann kam Corona und der Überfall auf D. vor einem Supermarkt in der Ungererstraße im Juni. Organisiert haben soll ihn Murat Ş., der Chef der Hells Angels Munich Area. Er und mindestens zwei weitere Hells Angels sind untergetaucht. Statt im Gericht sitzen der Hells-Angels-Chef und seine Kumpel nun in einem Hotelpool in Antalya, wenn man Fotos auf Instagram glauben darf.

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Am Donnerstag bleibt auch noch der Stuhl neben der Nebenklagevertreterin Julia Weinmann leer. Mitte des Monats ist auch Erdinç D. in die Türkei gereist. Dass die Münchner Polizei ihm zuvor eine elektronische Fußfessel angelegt und das Verbot ausgesprochen hatte, sich seinen Rivalen in München zu nähern, empfand er als Demütigung. Schließlich war er das Opfer sowohl der Messerattacke im Crowns Club als auch des jüngsten Angriffs. Wenngleich auch gegen ihn Verfahren laufen.

Die Polizei will keine weiteren Zwischenfälle mehr riskieren. Nach der Attacke in der Ungererstraße hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gesagt, es sei "unerträglich, dass solche Bandenkriege auf offener Straße in München ausgetragen werden". Die Szene-Kenner im Dezernat für Rockerkriminalität befürchteten Racheaktionen. Entsprechende Drohungen wurden in beide Richtungen ausgestoßen. Das Polizeiaufgabengesetz erlaubt elektronische Fußfesseln für Gefährder.

Wegen unentschuldigten Fehlens verhängt das Gericht ein Ordnungsgeld von 200 Euro gegen D. Sie gehe davon aus, dass ihr Mandant nach dem Sommerurlaub weiter am Prozess teilnehmen werde, sagt Weinmann. Bezüglich eigener Verbindungen ins Rocker-Milieu wolle er allerdings künftig von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gebrauch machen. Adam Ahmed, der Verteidiger von Khaled B., glaubt nicht, dass D. zurückkommt. Es sei ein einmaliger Vorgang, dass ein Nebenkläger die Flucht ergreife, sagt er.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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