Prozess:Gericht: Westend-Entführer war hoch kriminell, aber wenig professionell

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Mario S. (Foto aus dem Gericht) hatte für die Ottobrunnerin ein hohes Lösegeld erpressen wollen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Das Landgericht München I verurteilte den 53-Jährigen unter anderem wegen Freiheitsberaubung und erpresserischen Menschenraubes.
  • Das Geld brauchte er wohl, um Geld für eine dringende Operation zu bekommen.

Von Andreas Salch

Er hatte Angst das Augenlicht zu verlieren, da wurde Mario S. zum Verbrecher. Um an Geld für eine Operation zu kommen, fasste er den Entschluss, die Frau eines Managers der Stadtsparkasse zu entführen. Am 10. Juni vergangenen Jahres setzte der ehemalige Diplominformatiker, der einmal bei IBM arbeitete, seinen Plan um.

Für die Tat muss Mario S. nun sechs Jahre und zehn Monate hinter Gitter. Das Landgericht München I verurteilte den 53-Jährigen an diesem Dienstag wegen Freiheitsberaubung, erpresserischen Menschenraubes sowie versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Mario S. nahm das Urteil mit gesenktem Kopf äußerlich völlig regungslos zur Kenntnis.

2012 war der gebürtige Kölner mit seiner Frau nach Thailand ausgewandert. Er besaß 250 000 Euro aus einer Abfindung seines früheren Arbeitgebers. Da er keinen Job als Informatiker fand, verdiente er sich sein Geld mit dem Bau von Holzfenstern. Seine Frau betrieb ein Garküche.

Dann kam die Diagnose. Für die dringend notwendige Operation hatte Mario S. kein Geld mehr. Seine Krankenversicherung war längst abgelaufen. Außerdem hatte er seiner Schwiegermutter im Nordosten Thailands ein 4000 Quadratmeter großes Grundstück gekauft, auf dem er ein Haus errichtet hatte.

Vor diesem Hintergrund sagte die Vorsitzende der 20. Strafkammer, Richterin Sigrun Broßardt bei der Urteilsbegründung, habe der Angeklagte den Entschluss gefasst, "sich in den Besitz einer größeren Menge Bargeldes zu bringen".

Im Erpresserbrief war von einer sogenannten "Islamischen Front" die Rede

Noch in Thailand begann der 53-Jährige mit Vorbereitungen für den Coup. Über eine Internet-Plattform knüpfte er Kontakt zum Vermieter einer Wohnung in der Bergmannstraße im Westend. Wie die Ermittlungen ergaben, hatte Mario S. sich aber auch auf dem Internetportal der Stadtsparkasse umgesehen. Dort stieß er auf den Namen seines Opfers: ein 47-jähriger Manager der Bank.

Auf diesem Parkplatz eines Supermarkts im Westend öffnete der Entführer die Tür des VW Polo. So konnte die Ottobrunnerin fliehen. (Foto: Reinhard Kurzendörfer/dpa)

Am 7. Mai kam S. nach München. Er spähte die Wohnung des Bankiers und seiner Familie in Ottobrunn aus. Er fuhr öfters in den Münchner Vorort, um sich ein genaues Bild vom Tatort zu machen. Schließlich kaufte er sich eine Soft-Air-Pistole, Kabelbinder und verfasste einen Erpresserbrief. Darin forderte S. 2,5 Millionen Euro für die Freilassung der Frau.

In dem Schreiben war außerdem von einer sogenannten "Islamischen Front" die Rede. Sollte seine Forderung nicht erfüllt werden, werde er die 46-jährige Ergotherapeutin als Sexsklavin verkaufen oder in einem Wassertank ertrinken lassen, kündigte der 53-Jährige an.

Mario S. hielt sich schon über einen Monat in München auf. Langsam wurde die Zeit für ihn knapp. Am Morgen jenes 10. Juni fuhr er mit der S-Bahn nach Ottobrunn, klingelte an der Tür des Bankiers und gab sich als Paketbote aus. Dann ging alles ganz schnell.

Der Angeklagte drang in die Wohnung ein, stürmte in das erste Obergeschoss. Seine Soft-Air-Pistole war nicht geladen. Die Frau des Managers folgte den Anweisungen von Mario S., ohne Gegenwehr zu leisten, und musste sich hinknien. Plötzlich kam der 12 Jahre alte Sohn seines Opfers aus dem Badezimmer, womit der Angeklagte wohl nicht gerechnet hatte, so das Gericht.

Mutter und Sohn mussten sich auf den Boden legen. Dann forderte S. den Buben auf, sich selbst mit dem mitgebrachten Kabelbinder an einen Heizkörper zu binden. Der Mutter setzte Mario S. eine verklebte Sonnenbrille auf, stieg mit ihr in deren VW Polo und fuhr nach München. Dort wollte er die 46-Jährige in der von ihm angemieteten Wohnung solange verstecken, bis er das Lösegeld hat.

Doch daraus wurde nichts. Bei einem Stopp auf dem Parkplatz eines Supermarktes in der Nähe der Wohnung gelang der Frau des Bankers die Flucht. Da die Sonnenbrille nicht richtig saß, die ihr S. aufgesetzt hatte, konnte die 46-Jährige Passanten erkennen.

Als Mario S. die Autotür öffnete, nutzte das Opfer diese Gelegenheit zur Flucht und machte auf sich aufmerksam. Außerdem ergriff sie das Magazin der Soft-Air-Pistole, das S. auf den Boden gefallen war. In diesem Moment habe der 53-Jährige sie angeschaut, als wolle er sagen: "So war das aber nicht geplant", berichtete die Frau des Bankiers.

Der Vermieter lieferte den Fahndern eine exakte Personenbeschreibung

Die Szene steht für eine Reihe von Pannen, die Mario S. bei der Tat unterliefen. Nachdem sein Opfer hatte fliehen können, flüchtete er nach Thailand. Doch die Ermittler waren ihm schnell auf den Fersen. Denn in dem Erpresserbrief, den er am Tatort hinterlassen hatte, stand die Handy-Nummer, mit der er den Vermieter der Wohnung im Westend angerufen hatte.

Dass er die Sim-Karte des Handys ausgetauscht hatte, nutzte S. nichts. Der Vermieter lieferte den Fahndern eine exakte Personenbeschreibung. Die Auswertung der Funkzellen führte die Fahnder zum Münchner Flughafen, wo Mario S. von Überwachungskameras gefilmt worden war.

16 Tage nach dem misslungenen Coup von Ottobrunn saß er in Thailand hinter Gittern, von wo er später nach Deutschland ausgeliefert wurde. Fazit von Richterin Broßardt: Eine hoch kriminelle Tat und "mangelnde Professionalität".

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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