Prozess:Die grüne Wand

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Eingewachsenes Idyll: Innerhalb von 45 Jahren hat der Efeu die einst kahle Wand am Nachbarhaus erobert. Diese Bepflanzung soll verschwinden. (Foto: Privat)

Weil die Efeu-Fassade an einem Schwabinger Haus der Wärmedämmung weichen soll, beschäftigt der Streit zwischen den Nachbarn nun die Gerichte

Von Ellen Draxel, Schwabing

Vera Stühlers Villa liegt in einer Idylle. Alte Apfelbäume wachsen im Garten, Blumen blühen, ihr fast hundert Jahre altes Haus ist umrankt von Efeu. Schaut Stühler nach Westen, blickt sie auf eine 15 Meter breite und 14 Meter hohe, dicht begrünte Wand. Ob das so bleibt oder ob diese Fassadenbegrünung einer Wärmedämmung weichen soll, ist seit Jahren Grund einer juristischen Auseinandersetzung zwischen den Nachbarn.

Das Stadthaus liegt inmitten einer alten Villengegend. Als Mitte der Siebzigerjahre zwei der benachbarten Gebäude abgerissen und stattdessen ein viergeschossiges Mehrfamilienhaus mit einer weißen Brandschutzwand neun Meter von der Villa entfernt hochgezogen wurde, war das für Vera Stühlers Eltern "schwer zu ertragen". Die 210 Quadratmeter große Fläche nahm ihnen die Sonne - aber sie einigten sich damals mit dem Bauträger darauf, zumindest die kahle Wand zu bepflanzen. "Das war eine Auflage", betont Vera Stühler. Nachweisen kann sie das heute allerdings nicht mehr - die Auflage wurde nie ins Grundbuch eingetragen.

45 Jahre hatte der Efeu seitdem Zeit, zu wachsen. Nun, da die Eigentümer des benachbarten Wohnhauses die Wand dämmen wollen, soll die Fassadenbegrünung weg. Stühler wehrt sich. "Diese Wand, die regelmäßig auf meine Kosten von einem Fachmann gepflegt wird, ist eine Oase für Tiere", sagt sie. "Sie wird seit Jahren von Vögeln und vielen anderen Tieren wie Eichhörnchen und Fledermäusen bevölkert und trägt damit zur Erhaltung der Artenvielfalt in der Stadt bei." Das bestätigt auch Wolfgang Heidenreich vom Begrünungsbüro der Stadt, der für die Umweltorganisation Green City arbeitet. "Das Grün ist ein Biotop, ein Lebensraum." Im Übrigen sei Efeu ein "hervorragender Gebäudeschutz". Die Pflanze, erklärt der Landschaftsarchitekt, leiste weit mehr als eine Dämmung. "Sie kühlt die Wand im Sommer und schützt das Haus im Winter vor Nässe und Auskühlung." Efeu absorbiere Schall und binde Feinstaub - weshalb die städtischen Referate bei jeder Gelegenheit für Dachbepflanzungen und Fassadenbegrünungen werben würden. Aus Sicht von Stühler und Heidenreich ist eine künstliche Wärmedämmung also überflüssig - zumal diese Wand nicht der Wetterseite zugewandt sei. Dass das Efeu auf Vera Stühlers Grundstück wächst und die Bauarbeiter im Falle einer Dämmung durch ihren Garten müssten - mit der Gefahr, Bäume, Hecken und den Rasen zu "zerstören" -, ist für die Schwabingerin ein zusätzlicher Grund zum Protest.

Bei der Sollner Grundbesitzverwaltung, die die Eigentümer vertritt, kann man den Wunsch Stühlers, den Efeu zu erhalten, verstehen. Die Dämmung sei aber "nun mal erforderlich", sollen die energetisch vorgeschriebenen Werte eingehalten werden. "Die Wärmewerte sind unterschritten, das ist ein Betonbau von 1971." Eine grüne Wand stelle wärmetechnisch keinen Schutz dar, ansonsten wäre es in den Wohnungen des Mehrfamilienhauses nicht so feucht. "Die Feuchtigkeit sammelt sich immer an den kältesten Stellen." Alle anderen Seiten des Gebäudes habe man bereits gedämmt, inklusive des Daches. Im Übrigen gehöre Vera Stühler die Wand nicht, die Pflanze wachse an fremdem Eigentum empor.

Seit einem Jahr wird die Sache nun vor dem Münchner Landgericht verhandelt, derzeit sind Gutachter eingeschaltet. Stühler hat den Nachbarn einen Kompromiss angeboten: Dämmung ja, aber danach auch wieder eine Begrünung - auf Kosten der Villenbesitzerin. Die Sollner Grundstücksverwaltung jedoch kritisiert bei dieser Lösung die "erheblichen Mehrkosten", die entstünden, wolle man die Wand später wieder einmal streichen lassen. Der Fall scheint festgefahren zu sein.

Der Westschwabinger Bezirksausschuss, den Stühler um Unterstützung bat, will jetzt das Baureferat und die Untere Naturschutzbehörde einschalten, plädiert aber angesichts der rechtlich schwierigen Lage für eine Mediation. Die Stadt, das ist zumindest die Erfahrung von Wolfgang Heidenreich vom Begrünungsbüro, hält sich bei Streitfällen wie diesen in der Regel heraus.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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