Pop:Liebe, Mut und Größenwahn

Lesezeit: 3 min

Die "Zitronen Püppies" sind eine Punkband aus dem Bayerischen Wald. Nun legen die Vier ein klangästhetisch völlig verrücktes zweites Album vor

Von Christian Jooß-Bernau

Sie zittern wie ängstliche Tierchen, die gezupften Töne der ersten Gitarrenakkorde: "A Spezi vo mir hod a schwoaz-braun-gscheckerte Katz ghobt. Seit am hoiben Jahr is die blöderweise tot," singt Johannes Maria Haslinger im Satzgesang mit seinen Bandkollegen. Wie die Gitarrentöne mit Gleichlaufschwankung bibbern, ist so mitleiderregend wie der Spezi, der rote Rosen auf das kleine Grab legt und jeden Tag noch ein Schüsserl Milch vor das Haus stellt. So einen Gitarreneffekt, kann man nicht kaufen. Und tatsächlich, gibt es auf diesem Album keine einzige Gitarre, die über einen Verstärker läuft, nur solche, die man auf Band eingespielt, geloopt und dann beispielsweise durch einen Kinderkassettenrekorder geschickt hat.

Ihr erstes, 2017 bei Trikont veröffentlichtes, Album war noch poppiger Punk mit Texten, die, zwischen Dialekt und Hochdeutsch, in die Merkwürdigkeiten des Lebens verknallt waren. Die Zitronen Püppies waren unter den letzten, die der 2018 gestorbene Achim Bergmann noch unter Vertrag nahm. "Ich glaub, da hab ich drei Wochen durchgegrinst", sagt Haslinger: "Ich hab das überhaupt nicht verstanden, dass jemand so ein Interesse an dem hat, was wir da machen." Wenn Bergmann über seine Musik redete war da Kraft, Vision und eine wahnsinnige Liebe zu Künstlern, die über den Sound hinaus etwas bedeuten. Er hat die Zitronen Püppies tief beeindruckt: "Ab dem Punkt haben wir auch viel mehr über Musik nachgedacht, was wir da machen und wie wir's machen, und wo vielleicht die Stärken liegen."

"Wir samma schon sehr unterschiedlich", sagt Sänger und Gitarrist Johannes Maria Haslinger (links) über seine Bandkollegen und sich. Trotzdem haben die Zitronen Püppies es geschafft, als Band zusammenzubleiben. (Foto: Alex J. Friedrich)

Ihr neues Album heißt: "The Rise and Fall of the Zitronen Püppies and the Lemon Orchestra from outer Space". Mit der Anspielung auf Bowies Ziggy und den Arthur der Kinks ist das für eine kleine Band aus dem Bayerischen Wald natürlich größenwahnsinnig - einerseits. Andererseits ist da nach dem Hören der sieben Nummern ein Glücksgefühl, dass sich endlich einmal wieder eine Band traut, alles anders und einfach so zu machen, wie man Lust drauf hat. Es ist ein Album, das sich gerade nicht um konsistenten Sound bemüht, sondern von Brüchen, Sprüngen, Assoziationen lebt. Von der Lust auf die Unsicherheit und den tausenden Details. Ob es jemals jemandem gelingen wird, all die Hommagen zu entschlüsseln, die sie untergebracht haben, fragt sich Haslinger. Seine liebste: ein Beastie-Boys-Sample von deren "Hello Nasty"-Album, das die Püppies mit ihren Instrumenten nachgespielt haben.

Auch die Nepal-Reise von Haslinger, aus der 2019 schon das Klangcollagen-Album "Songs from the Kathmandu Valley" wurde, ist in Samples noch präsent - und vor allem im Geist der neuen Songs. Sie feiern die große, weiten Welt und ihre Überfülle der Klänge. Eh klar, dass man sich - soviel Zeitbezug muss sein - in "Roude Krawattn" abgrenzt von Typen, die derzeit an Schaltstellen der Macht auf das Kleine, das Enge, das Feige des Nationalen setzen.

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Die Püppies haben mit diesem Album das mechanische Werk einer Band freigelegt, das bei den meisten Gruppen durch ein klares Stilbekenntnis verkleidet ist. Hier werden vier Individuen hörbar: "Wir samma schon sehr unterschiedlich", sagt Johannes Maria Haslinger. Trotzdem haben die Zitronen Püppies es geschafft, als Band zusammenzubleiben, und das ist nun wirklich keine Selbstverständlichkeit. Bis vor eineinhalb Jahren lebten die vier verstreut. Begonnen hatten sie als Band in und um Zwiesel im Bayerischen Wald: Passau, Zwiesel, Regen - Haslinger arbeitete als Fotograf in München. Der Wohnungsmarkt hat ihn nun in die Heimat zurückgetrieben. Hier hat er mit seiner Freundin das Rote Schulhaus in Rinchnach gekauft. Ein Backsteinhaus, das man eher in Norddeutschland vermuten würde. Im Untergeschoss des Hauses wird ein Ausstellungsraum eingerichtet. Haslinger will ihn von August an auch mit Künstlern bespielen, die er in der Münchner Szene kennengelernt hat. Mit Haslingers Rückkehr war für die Püppies die Voraussetzung für ein komplexes Album geschaffen. Bassist Florian Seemann, legt mit tight perfektem und knallig federndem Bass das Fundament mit Schlagzeuger Alexander Lange. Der arbeitet konsequent nach vorne und integriert die Rhythmuswelt von Kathmandu bis Zwiesel. Fabian Weinzierl ist Gitarrist und Soundfreak und pustet mit dem Gespür für bekifften Kraut-Rock ordentlich Rauch in die Tracks. Und Haslinger selber? Dem gefällt, was eigenartig ist, sagt er. Das ist auf diesem Album vieles zwischen "Indish Mama", einer sich durch Soundschichten rockenden Reise, und "Haus", einer als moderner Poprock getarnten Mörderballade mit knarzenden Böden.

Auf der Bühne spielen sie die neuen Songs nicht zu einem Backing Track, sondern aktivieren die Samples live, was ein viel dynamischeres Reagieren möglich macht. Eigentlich sind sie eine Band für die kleine Kneipe, wo die Leute Schulter an Schulter stehen, sagt Haslinger. Corona hat das unmöglich gemacht. Immerhin eine Handvoll Konzerte haben sie dieses Jahr noch vereinbart.

Bei Trikont haben sie anfangs gerätselt, was dieses Ding wohl ist, das die Zitronen Püppies als ihr neues Album vorstellten. Aber auf die Label-Chefin Eva Mair-Holmes und ihre Kollegen kann man sich verlassen. Sie haben eine Band ermutigt, kopfüber ins Unbekannte zu springen. Und auch Achim Bergmann mit seiner wilden Begeisterung ist für Haslinger immer noch präsent: "Es würd mich freuen, wenn er das gut findet, was wir da gemacht haben."

Zitronen Püppies: "The Rise and Fall of the Zitronen Püppies and the Lemon Orchestra from outer Space" (Trikont)

© SZ vom 22.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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