Planegg:Schlussakkord

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Das Würmtal klingt schöner, seit Ludwig Götz 1980 seine Stelle in St. Elisabeth angetreten hat. Nun geht der Kirchenmusiker in den Ruhestand

Von Wolfgang Görl

Vor 40 Jahren, als Ludwig Götz anfing als Kirchenmusiker von St. Elisabeth in Planegg, waren die Bänke bei den Sonntagsgottesdiensten noch gut gefüllt. Das hat sich radikal geändert. "Der Gottesdienstbesuch ist drastisch gesunken", sagt Götz. Wirklich voll sei die Kirche nur noch an Weihnachten, "Ostern ist schon schwieriger, Pfingsten eine Katastrophe." Ganz übel schaut es bei den morgendlichen Messen unter der Woche aus. "Ich spiele jeden Tag bis auf Montag Orgel. Ich spiele am Dienstag vor zwei Leuten, am Mittwoch vor zwei bis vier Leuten, am Donnerstag vor zwei bis vier Leuten, am Freitag vor zwei bis vier Leuten. Ich hab' auch schon gespielt, wo keiner da war." Selbst seine drei mittlerweile erwachsenen Töchter, die mit der Kirche aufgewachsen sind, "haben nix mehr damit am Hut".

Nun ist Ludwig Götz der Letzte, dem man diesen Schwund anlasten könnte. Die Krise der Kirche, namentlich der katholischen, hat vielfältige Gründe, die Kirchenmusik zählt eher nicht dazu. Und schon gar nicht die Musik, die Götz spielt. Was er seit seinem Dienstantritt 1980 für das musikalische Leben in Planegg, Krailling und darüber hinaus geleistet hat, geht weit über das hinaus, was man von einem Kirchenmusiker erwartet. Es sind ja nicht nur die festlichen Weihnachtskonzerte, bei denen Götz am Dirigentenpult steht, sondern auch die vielen Konzerte, die der Verein "Musica Sacra" veranstaltet und bei denen Sänger und Instrumentalisten auftreten, die gewöhnlich auf großen internationalen Bühnen zu hören sind. Da ist der Kirchenchor, den Götz wiederaufgepäppelt hat, der Musica-Sacra-Chor, das Collegium Vocale, da sind die diversen Kinder- und Jugendensembles, die fast schon legendären Faschingskonzerte und so weiter.

Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt: Das Würmtal klingt schöner, seit Ludwig Götz da ist. Anfang Januar freilich wird er seinen Posten als hauptamtlicher Kirchenmusiker der katholischen Gemeinde St. Elisabeth niederlegen - schlichtweg, weil er das Rentenalter erreicht hat. Das Silvesterkonzert ist seine letzte Amtshandlung. Das ist die schlechte Nachricht für die Würmtaler Musikfreunde. Die gute ist: Als künstlerischer Leiter der Musica Sacra will er weitermachen. Für einen leidenschaftlichen Musiker wie Götz gibt es keine Altersgrenze. Die Würmtaler Klassikfreunde werden also weiterhin sehen, wie er am Dirigentenpult steht, wie er, ehe es losgeht, für einige Momente in Konzentration erstarrt, wie er den Taktstock hebt und, sobald das Orchester ertönt, ganz in der Musik aufzugehen scheint, wie sein Körper wippt oder sich wiegt, und wie sich in seinem Gesicht die Emotionen, die die Komposition zum Klingen bringt, widerspiegeln, wie er die Instrumentalisten fordert und den Chor zu Höhenflügen treibt, die Klänge auskostend bis zum Schlussakkord. Es ist, als würde die Musik, die er zu Gehör bringt, zuvor durch seinen Körper fahren.

Wer das beobachtet, wundert sich, wenn Götz sagt: "Zum Musiker bin ich erst mit 50 oder 55 Jahren geworden." Das klingt nach einem langen, verschlungenen Weg, und so ist es auch. Geboren im Juni 1952 in Finningen bei Neu-Ulm, hat er schon in jungen Jahren Klavier- und später auch Orgelunterricht bekommen. Als Schüler mit 16 Jahren gründete er eine Rockband, "Brain Extension" hieß sie; die fünf Jungs spielten Rolling Stones, Beatles, Procol Harum rauf und runter, jedes Wochenende rockten sie die amerikanischen Kasernen rund um Neu-Ulm, was zur Folge hatte, dass Götz die zehnte Klasse wiederholen musste. Egal, er wollte ja Rockmusiker werden. Oder Fußballprofi, so wie sein Klassenkamerad Horst Raubold, der später für 1860 in der Bundesliga spielte.

Stattdessen studierte Götz nach dem Abitur vier Semester Schulmusik in München, bis er beim Praktikum merkte: "Das ist ja Wahnsinn. Da stehst du in der Schule, und keiner interessiert sich für das Zeug, das du machst." Nein, das war nichts, und so liebäugelte er mit einer Pianistenkarriere, die er aber bald als "zu gefährlich" bewertete, weil "dann endest du als Klavierlehrer an einer Musikschule". Grundschullehrer zu werden erschien ihm hingegen verheißungsvoll, nach dem Examen aber stellte sich heraus, dass seine Farbenblindheit einem gedeihlichen Unterricht im Weg stünde. Also stand er wieder vor der Frage: Was mach' ich jetzt? Seine Antwort lautete: "Ach komm, jetzt studier' ich noch Orgel, Kirchenmusik." Mit 28 Jahren war er fertig. Auf den Tipp eines Kommilitonen hin stellte er sich beim damaligen Planegger Pfarrer Franz Oßner vor - und siehe da: Er hatte den Job. Seine Hintergedanken verriet er natürlich nicht: "Ich hatte nie im Sinn, in Planegg zu bleiben. Was mich aber reizte, war die große Orgel."

Nach rund einem Jahr hatte er einen neuen Chef, den Pfarrer Hermann Egger, der ein passionierter Akkordeonspieler war und ein Herz für Musik hatte. So allmählich dämmerte Götz, dass seine Verbindung mit Planegg doch dauerhafter sein könnte. Eines Tages ging er zu Egger und sagte: "Herr Pfarrer, ich möchte mal was anderes machen. Mozart. Das Requiem." Gute Idee, sagte der Pfarrer, aber leider fehlt es an Geld. "Gehen S' doch zum Bürgermeister." Götz ging also zum damaligen Bürgermeister Günther Schuppler (CSU) und bekam - die Achtzigerjahre waren eine lockere Zeit - sogleich 5000 Mark. "Cash, bar auf die Hand, ohne Unterschrift. Ich hätte damit nach Mallorca fliegen können." Nun, er flog nicht und führte tatsächlich das Mozart-Requiem in der Kirche auf, sein erstes großes Konzert.

Gern auch mal Diva: Ludwig Götz, hier als Florence Foster Jenkins verkleidet. (Foto: Juergen Sauer)

Es lag auf der Hand, dass die unorthodoxe Finanzierung über kurz oder lang Ärger bereiten würde. Um auf der sicheren Seite zu sein, gründete man im September 1987 einen Verein, nannte ihn Musica Sacra und freute sich, dass die Gemeinde Planegg und schließlich auch Krailling Geld beisteuerten. Damit ließ sich was machen, und weil Götz und seine Mitstreiter eine atemberaubende Dynamik entwickelten, avancierte das Würmtal zu einem musikalischen Hotspot. Orchesterkonzerte, Chorkonzerte, Kammermusik, Liederabende - weit mehr als 400 Veranstaltungen sind es mittlerweile. Und weil Götz bestens vernetzt ist, brachte er Musiker an die Würm, die in der obersten Liga spielen. Der Bariton Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerald Huber, heute Weltstars, waren mehrmals in Planegg zu hören, die Geigerin Katharina Lindenbaum-Schwarz bot unter anderem Mozarts A-Dur-Violinkonzert, auch die Flötistin Stephanie Hamburger, der Violinist Ingolf Turban, der Solotrompeter Josef Bierlmeier, die Sopranistin Edith Wiens oder der Tenor Wolfgang Bünten gehören zu den Stammgästen der Musica Sacra.

"Der dirigentische Höhepunkt war für mich Anton Bruckners 8. Sinfonie." Wann das war, weiß er auswendig, da muss er keine Sekunde überlegen: am 7. Oktober 2012. Aber ehe er mehr darüber erzählt, blendet Götz noch einmal zurück, lässt die Zeit Revue passieren, in der er Kurse bei Sergiu Celibidache absolvierte, damals der hochverehrte Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker. Kaum hat er den Namen Celibidaches ausgesprochen, ist Götz schon auf 180, und ja: Es fallen Schimpfworte. Die bereinigte Fassung liest sich so: "Der hat mich total zerlegt. Er hat gesagt, du dirigierst wie ein Amerikaner, total unmusikalisch. Celibidache hat jeden zerlegt. Du hast noch gar nicht eingeschnauft, da ging es schon los. Alles schlecht. Er hat alles zunichte gemacht." Es war eine Tortur, und die, glaubt Götz, war auch noch vergebens: "Ich hab' bei ihm nichts gelernt."

Lehrreicher war es, Celibidache bei den Proben zu beobachten, aber auch Leonard Bernstein, Georg Solti oder Riccardo Muti. Wann immer es möglich ist, kiebitzt Ludwig Götz bei den ganz Großen. "Da hab' ich es gelernt." Inspiriert hat es ihn auch, wenn er hörte, wie wunderbar Mozarts c-Moll-Messe, das Verdi-Requiem oder Brahms' "Deutsches Requiem" klingen können. "Da hab' ich mir gedacht: Das möchte ich auch dirigieren. Ich will das machen, egal, wie ich kämpfen muss." Man spürt, dass er einen inneren Drang empfindet, den zu benennen er um Worte ringen muss: "Ich möchte so ein Werk selber als Dirigent erleben, ich möchte es selber gestalten, so wie ich mir das vorstelle." Das ist weitaus mehr, als einfach nur die Einsätze zu geben. Aber er hat ja stets erstklassige Musiker um sich, die es ihm leichter machen, so zu dirigieren, wie er die Musik empfindet. "Aber das musst du dich erst einmal trauen!" Dafür hat er 20 Jahre gebraucht.

Derzeit bastelt er bereits am nächsten Faschingskonzert der Musica Sacra, und wie immer wird es eine Mischung aus aktueller Satire, atemberaubender Virtuosität, Parodie und höherem musikalischen Blödsinn sein. Neben den Musikern, die Götz seit Jahrzehnten begleiten und unter anderem die komische Vokaltruppe "Wilde Gurgl" bilden, sind schon Brettlgrößen wie die Diseuse Susanne Brantl, der Kabarettist André Hartmann oder das Stoiber-Double Wolfgang Krebs in der Planegger Faschingsrevue aufgetreten. Einmal moderierte der mittlerweile gestorbene Musikprofessor Hanno Blaschke in der Rolle des Kritikers Marcel Reich-Ranicki die Show, und bei geschlossenen Augen konnte man glauben, der streitbare Literaturpapst sei nun persönlich da. Ein Wunder wäre es nicht gewesen, denn wenn Ludwig Götz ruft, kommt jeder. Nur bei den Gottesdienstmuffeln ist er machtlos.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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