Plätze in München:Schau mal, wer da sitzt

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Schnurren, plätschern, knistern - am Genoveva-Schauer-Platz fühlt man sich fast wie in einem Dorf, würde nicht ab und an die Tram vorbeirollen. (Foto: Robert Haas)

Münchens Plätze bestimmen das Leben der Stadt. Geprägt werden sie von ihren regelmäßigen Besuchern. Georg Mudroch, Pfleger und Plattensammler in Haidhausen, ist einer von ihnen.

Von Philipp Crone

Wenn sich Georg Mudroch mitten auf dem Genoveva-Schauer-Platz einfach hinlegt, das Wasser aus dem Brunnen plätschert und am Gemüsestand eine Papiertüte raschelt, weil der Betreiber sie mit Pfirsichen füllt, muss man schon auf die Tram warten, um daran erinnert zu werden, dass dieser Ort mitten in München liegt.

Und wenn die Linie 25 durch die Steinstraße rollt, einen halben Meter an der Bank vorbei, auf der Mudroch sich immer hinlegt, und an der davor abgestellten Club-Mate-Flasche, dann fühlt sich der 47-jährige Behindertenbetreuer wie daheim in Wien. Der Sound der Tram, dieses rollende Grollen - fast schon ein Schnurren.

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Zu drei Seiten gehen vom Genoveva-Schauer-Platz kleine Straßen ab, und auf dem dreieckigen Platz, der von der Tram geteilt wird, stehen acht Bäume, vier Bänke, ein Dutzend Blumenkübel, ein Gemüsestand und ein Brunnen. Vom Café Mezzodi auf der anderen Tramseite klirrt am Nachmittag Geschirr rüber. Schöner kann Bewegung und Großstadt nicht klingen. Schnurren, plätschern, knistern. Nur, wer ist Georg Mudroch?

Zunächst einmal ein Mann, der die Stadt entdeckt hat. Sonst würde er nicht dreimal in der Woche hier im Dreieck zwischen Getränkemarkt, Café und Metzgerei Vogler Rast machen. Die Augen schließen ist entspannend, sie zu öffnen faszinierend. Hundert Meter von der nächsten Hauptstraße entfernt liegt ein Dorfplatz in der Metropole.

Eine Mutter lässt ihre zweijährige Tochter den Trinkwasserbrunnen erkunden, eine Immobilien-Unternehmerin auf Mudrochs Nachbarbank erklärt die Umgebung. Sie engagiert sich für Flüchtlinge, genauso wie der Schulleiter der anliegenden Wörthschule, und die Frau weiß nicht, ob sie nun von der Metzgerei, von der Kunstwerkstatt im Nebenraum oder vom Verein der Freunde Haidhausens schwärmen soll.

Mudroch liegt da, von der Mate-Flasche laufen ab und zu ein paar Kondenstropfen herunter, und zwei Frauen fahren ihre Hunde auf Hollandrädern ratternd im Korb über das Kopfsteinpflaster spazieren. Es ist 15.47 Uhr, 13 Minuten hat Mudroch noch Zeit. Der Mann mit dem kurzen dunklen Haar und dem ganz feinen Lächeln, das aussieht, als würde er leicht in die Sonne schauen, wartet darauf, dass der Laden am Eck aufmacht: Monkey Records.

Mudroch, eine Zufallsbegegnung an diesem Nachmittag, bekommt Konturen. Den Zivildienst machte er bei der Lebenshilfe in Wien und erkannte danach für sich: Die Arbeit mit behinderten Menschen erfüllt ihn, "weil man da sieht, wie unglaublich die sich entwickeln können".

Dreimal in der Woche kommt Mudroch nach der Arbeit als Behindertenbetreuer im Münchner Förderzentrum hierher, um nach Platten zu suchen. Er weiß auf den ersten Blick, ob es etwas Neues gibt. Die neuen Sachen sind ausgehängt, und die alten kennt er. Da sind zwar Tausende Schallplatten in Kästen geschichtet, aber die hat er schon zigmal durchgeblättert, und er interessiert sich auch nur für Musik zwischen 1966 und 1972, "für Mod, diese einmalige Mischung aus Folk, Psychedelic und Beat."

Mudrochs schwere Silberkette rutscht hin und her, wenn er über Musik spricht. Er war ein paar Mal DJ im Atomic Café, aber eigentlich geht es ihm eher um den Ort als um die Platten. "Seit 2002 bin ich in München und in dem Laden", sagt er. Reingehen, reden, immer eine Stunde, immer mit den gleichen Leuten, immer über die gleichen Themen, immer am gleichen Ort, das ist Entspannung. Gelegentlich kauft er was. "Nur Originale, die kosten vü." Dann heim, wo der siebenjährige Sohn und die Frau, sie ist Sonderschullehrerin, warten. Der große Sohn ist 19 und in Wien.

Kurz vor vier, Mudroch sieht sich um, "ist schon ein krasses Bionade-Viertel geworden", summt es Wienerisch aus ihm heraus. Vorn ist jetzt die Szene-Bar Roter Knopf, "da war vorher ein Haubenkoch drin", also ein Sternekoch. Egal, solange seine Platten-Gang da ist. "Nach dem Spätdienst geht das ja nicht mit dem Laden, nur wie heute nach dem Frühdienst."

Der beginnt um 5 Uhr. Mudroch hat kein Handy, dafür Lust, morgens ganz früh aufzustehen. Dann sitzt er auf dem Platz an der St. Quirin-Straße. Einfach ein bisschen in die Luft schauen, bevor es losgeht. Mudroch betritt den Laden um Punkt 16 Uhr, während im Café Mezzodi zwei Bionadinger am Rosé schnuppern. Daneben stoßen drei Handwerker in verdreckten Hosen mit Weißbier an, und die Vögel zwitschern mit.

Genoveva-Schauer-Platz, Haidhausen

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(Foto: 5t)

Auf dem Straßenschild ist unter der weißen Schrift auf blauem Grund mit zwei Schrauben ein Zusatzschild angebracht. "Genoveva Schauer (1898 - 1962), Bezirksausschussvorsitzende in Haidhausen, Stadträtin", steht da, "sie engagierte sich vor allem im sozialen Bereich." Der 2200 Quadratmeter große Platz wurde in seiner jetzigen Form 1998 fertig gebaut und nach Schauer benannt. Über den Platz und an ihm vorbei führen die Milch-, Stein- und Sedanstraße. Die gelernte Teppichweberin Genoveva Schauer trat 1924 in die SPD ein und engagierte sich vor allem für den Aufbau der Wörthschule, die keine 50 Meter vom Platz entfernt liegt. 1953 wurde Schauer in den Stadtrat gewählt, dem sie bis zu ihrem Tod mit 63 Jahren 1962 angehörte. SZ-Karte

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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