Es herrscht Lehrermangel in Deutschland: Rund 35 000 Grundschullehrer fehlen einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge bundesweit bis 2025. Auch in Bayern gebe es zu wenige Absolventen, um den Bedarf der Grund- und Mittelschulen zu decken, prognostiziert das Kultusministerium. In München aber sei von einer Notlage im kommenden Schuljahr, das am 10. September beginnt, nichts zu spüren, sagt Schulamtsdirektor Anton Zenz. "Wir sind entspannt, die Situation ist nicht schlecht." Genaue Zahlen gebe es zum kommenden Schuljahr zwar noch nicht, denn die Klassen würden noch gebildet. Aber die Versorgung werde vergleichbar sein mit dem vergangenen Schuljahr. "Es wird keine Klasse ohne Lehrer sein", sagt Zenz. Und auch Wahlunterricht und Zusatzstunden könnten wie geplant stattfinden.
Macht der Lehrermangel einen Bogen um die Stadt? Waltraud Lučić, Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands (MLLV), ist skeptisch. "Ich freue mich, wenn wir genügend Lehrer haben und nichts ausfällt", sagt sie. Aber zum einen gebe es zu wenig Fachlehrer: Werken und Gestalten etwa werde oft von regulären Grundschulpädagogen unterrichtet. Zum anderen entstünden die Probleme oft erst während eines Schuljahres, wenn Lehrer krank werden oder junge Kolleginnen schwanger. Erst vor wenigen Wochen etwa erregte die Klenzeschule in der Isarvorstadt Aufsehen, weil dort zum Schuljahresende wegen fehlender Lehrer die Bundesjugendspiele abgesagt werden mussten.
Für kranke oder schwangere Lehrkräfte käme nicht immer genügend Ersatz, sagt Waltraud Lučić. In den Schulen falle dann oft erst einmal der Fachunterricht weg, dann würden Schüler auf andere Klassen verteilt oder ein Lehrer unterrichte zwei Klassen parallel. Auf diese Art hätten im vergangenen Schuljahr mehrere Münchner Grundschulen in der Spitze mehr als 100 Wochenstunden auffangen müssen, sagt Lučić. Das alles zähle zwar nicht als Unterrichtsausfall; richtig beschult würden die Kinder dabei aber auch nicht. "Wenn es im nächsten Schuljahr wieder so ist wie im letzten, dann wird es zu wenig sein."
Während eines Schuljahres, gerade zum Sommer hin, könne es eng werden, bestätigt Anton Zenz vom Schulamt. Die meisten Ausfälle könne man an den Münchner Grundschulen aber mit der mobilen Reserve von etwa 200 Lehrkräften ausgleichen. Und wenn es ganz eng werde, stelle die Regierung von Oberbayern kurzfristig weiteres Personal ein.
Bemerkbar macht sich der Mangel an Grundschullehrern freilich schon zu Schuljahresbeginn, auch in München. Denn um den Unterricht zu gewährleisten, greift die Regierung verstärkt auf sogenannte Zweitqualifizierte zurück: auf Lehrer, die für die Realschule oder das Gymnasium studiert haben, jetzt aber umschulen oder frisch umgeschult haben. An den 180 staatlichen Grund- und Mittelschulen in München seien derzeit etwa 200 Zweitqualifizierte tätig, besonders viele an den Grundschulen, sagt Anton Zenz. Sogenannte Exaministen, also Studierende, die aushelfen und so schon vor ihrem Abschluss Erfahrung sammeln, kämen dafür in München nur in absoluten Ausnahmefällen zum Einsatz. Auch Seiteneinsteiger gebe es so gut wie gar nicht. Insgesamt unterrichten an den genannten Schulen etwa 4500 Lehrkräfte.
"Es ist grundsätzlich gut, dass diese Lehrer helfen"
Mit den Zweitqualifizierten will das Kultusministerium zwei Probleme auf einmal lindern: Durch die Umschulungen erhalten nicht nur Grund- und Mittelschulen dringend benötigte Lehrkräfte, sondern auch die betroffenen Lehrer kurzfristig einen Job. Denn an Realschulen und Gymnasien ist die Lage am Arbeitsmarkt derzeit spiegelverkehrt zu den Grund- und Mittelschulen: Während dort derzeit zu wenige Pädagogen ausgebildet werden, gibt es für Realschulen und Gymnasien umgekehrt zu viele Absolventen. Auch mit hervorragenden Noten landen Bewerber häufig nur auf der Warteliste. Das Kultusministerium bietet ihnen daher an, die Schulart zu wechseln. Die Umschulung dauert je nach Berufserfahrung ein oder zwei Jahre; sie dürfen derweil auf der Warteliste für die ursprüngliche Schulart stehen bleiben.
"Es ist grundsätzlich gut, dass diese Lehrer helfen", sagt Waltraud Lučić vom MLLV. "Sie sind ja Fachkräfte, auch wenn sie sich auf andere Schüler und eine andere Pädagogik einstellen müssen." Sowohl für die Lehrer als auch für die sie betreuenden Schulen aber bedeuteten die Umschulungen großen Aufwand. Auf Dauer sollte der Freistaat deshalb die Lehrerausbildung reformieren, fordert sie. Statt die Studenten vom ersten Semester an auf Gymnasien, Real-, Mittel- oder Grundschulen festzulegen, müsse man Lehrer für bestimmte Jahrgangsstufen ausbilden; die könnten dann bei Bedarf leichter zwischen den Schularten wechseln.