Stephanie Schuck hatte wohl einfach Pech. Die 29-Jährige ist Lehrerin für Englisch und Geschichte im Gymnasium. Im Januar hat sie ihr Referendariat abgeschlossen. Und bisher sei auch immer alles gut gelaufen, erzählt sie: Professoren und Lehrer hätten sie immer in ihrer Berufswahl bestärkt. Ihr Staatsexamen bestand sie mit einem Schnitt von etwa 1,4. Noch vor wenigen Jahren hätte das locker genügt. In diesem Frühjahr aber reichte es nicht. Und so fand Schuck zwar schnell Arbeit, denn Lehrer werden gesucht. Eine feste Stelle aber bekam sie nicht. Das vergangene halbe Jahr hat sie als Aushilfe unterrichtet, zwei Gymnasien stellten sie ein, jeweils in Teilzeit. Als das Schuljahr endete, wurde sie arbeitslos. Die ersten Wochen der Sommerferien überbrückte sie noch, begleitete eine Schülergruppe nach Großbritannien. Jetzt bezieht sie Hartz IV. Und sie ist nicht die einzige.
Der Arbeitsmarkt für Lehrer ist wechselhaft. Mal strömen zu viele Absolventen aus den Unis, dann zu wenige. Derzeit ist die Konkurrenz für Gymnasiallehrer besonders hart: Der Staat bildet erheblich mehr aus, als er einstellt. Zuletzt erhielt nur etwa einer von fünf Absolventen einen Job beim Freistaat; 2017 gab es 316 Angebote für 1915 frisch examinierte Gymnasiallehrer. Im Februar 2018 waren es immerhin 163 von 712; die übrigen mussten sehen, wo sie bleiben. Mehr als 2000 Lehrer stehen, nach Fächerschwerpunkten sortiert, auf Wartelisten.
Das Problem ist im Kern nicht neu. Seit vielen Jahren wechseln sich Phasen mit Lehrermangel mit Phasen ab, in denen es zu viele Absolventen gibt. Der Freistaat bemüht sich zwar, seinen Bedarf an Lehrkräften möglichst exakt zu prognostizieren. Aber Abiturienten studieren im Zweifel nicht das, was sich die Staatsregierung wünscht, sondern das, was sie wollen. Im Ergebnis kommt es für Berufsanfänger oft weniger auf ihre Prüfungsergebnisse an als darauf, wann sie ihre Ausbildung abschließen. Im Extremfall ist selbst ein Schnitt von 1,09 in beiden Staatsexamen nicht gut genug: Mit dieser Note hat der derzeit beste Wartelistenkandidat Bayerns, ein Gymnasiallehrer für Latein und Geschichte, keine feste Stelle bekommen. Der Freistaat dagegen, der zurzeit Lehrer mit hervorragenden Noten verschmäht, stellt in anderen Jahren Absolventen mit mittelmäßigen Zensuren ein.
Doch zugleich verschärft er die Not. Denn auch wenn es zu viele frisch ausgebildete Gymnasiallehrer gibt, gäbe der Bedarf durchaus mehr Stellen her. Lehrer werden krank, gehen in Pension oder in Elternzeit, daher fehlen Gymnasien oft schon zu Schuljahresbeginn Lehrkräfte. Der Freistaat brauche "ein Stück Flexibilität", erklärte Kultusminister Bernd Sibler (CSU) dazu zuletzt in einer Debatte im Landtag. Aufgefangen wird dies aber nicht mit Planstellen, vielmehr bessern die Schulen eben mit befristeten Verträgen nach. Und die Berufseinsteiger spielen mit. Es gibt Lehrer in Bayern, die sich seit Jahren von Aushilfsvertrag zu Aushilfsvertrag hangeln und dabei ständig die Schulen wechseln. Werden sie gleich im September befristet eingestellt, werden ihnen immerhin auch die Sommerferien bezahlt. Werden sie erst später benötigt, müssen sie sich gegen Ende des Schuljahres arbeitssuchend melden wie Schuck - obwohl klar ist, dass während der Ferien keine Schule Lehrer braucht. 861 Lehrer hätten sich in Bayern 2017 zu den Sommerferien arbeitslos gemeldet, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit.
Die Folge sind Frust und Unzufriedenheit, nicht nur unter Berufsanfängern. Norbert Weigler etwa ist bis zu seiner Pensionierung in diesem Frühjahr Seminarlehrer von Schuck gewesen. Schuck habe eine "ganz herausragende pädagogische Leistung gezeigt", findet er. "Wenn Leute, die so fähig sind, keine festen Jobs kriegen, dann ist das bedauerlich." Und darunter litten auch die Schulen. An seiner Seminarschule etwa seien mit ihm noch drei weitere Studiendirektoren in den Ruhestand versetzt worden. Nur eine halbe Stelle aber sei neu besetzt worden, sagt Weigler. Das Übrige habe das Gymnasium erst einmal mit Aushilfsverträgen aufgefangen. Und diese Praxis gehe auf Kosten der Schulen und der Schüler: Gymnasien bekommen wechselnde Lehrkräfte, die sich erst zurechtfinden müssen. Und Schüler erhalten Lehrer, die sie nicht kennen.
Das Kultusministerium sollte lieber eine Reserve fest angestellter Lehrer einstellen, findet Weigler. Erst recht gelte das im Hinblick auf die Wiedereinführung des neunstufigen Gymnasiums: Das Ministerium plant hierzu für 2025 mit einem einmaligen Sonderbedarf von 2600 Gymnasiallehrern. Doch statt in einigen Jahren alle Bewerber zu übernehmen, solle man jetzt anfangen, findet Weigler: "Man müsste den besten aller Jahrgänge eine Chance geben und so eine nachhaltige Politik machen." Dieselbe Forderung erheben auch Berufsverbände, vom Bayerischen Philologenverband bis zum Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband: Mit einer ausreichend großen Reserve fest angestellter Vertretungslehrer könne der Staat flexibel reagieren, ohne die Not von Berufseinsteigern auszunutzen, heißt es.
Und sich die besten Absolventen sichern. Die Staatsregierung hält indes an den befristeten Verträgen fest. Betroffen sei eine Minderheit, heißt es: Von 155 000 Lehrern im Freistaat hätten nur fünf Prozent eine befristete Stelle. Unter Gymnasiallehrern sind es laut Ministerium nur knapp zwei Prozent. Im Juli kündigte Minister Sibler eine neue Sondermaßnahme an, um befristet beschäftigten Lehrern, die sich bewährt haben, neue Perspektiven zu eröffnen. Darüber hinaus bietet das Ministerium Gymnasiallehrern ohne Stelle an, auf Mittel-, Grund- oder Förderschule umzusatteln. Anders als an Gymnasien und Realschulen herrscht dort derzeit Mangel an Pädagogen. Im Februar 2018 habe man 190 Lehrern eine sogenannte Weiterqualifizierung angeboten, heißt es aus dem Ministerium; 146 nahmen an. Bislang wurden 300 Lehrer umqualifiziert, 1300 Lehrer sind derzeit dabei. 850 entsprechende Bewerbungen lägen auf dem Tisch.
Lehrer, die sich umschulen lassen, berichten mit gemischten Gefühlen davon. Es sei schnell gegangen, sagt etwa eine gelernte Gymnasiallehrerin, die nun an einer Grundschule tätig ist. Am Freitag habe sie eine elfte Klasse im Gymnasium unterrichtet, am Montag stand sie vor Siebenjährigen, erst als Hospitantin, wenig später auch alleine, weil Kollegen krank wurden. Die übrigen seien hilfsbereit, sie komme gut zurecht, sagt sie. Doch ihr Studium sei damit zu großen Teilen hinfällig.
Für Schuck war das keine Option. "Ich habe nicht umsonst Lehramt Gymnasium studiert", sagt sie. Aber was tun? Soll sie auf immer neue Aushilfsverträge setzen? Fünf Jahre lang können sich frisch examinierte Lehrkräfte auf eine Warteliste setzen lassen, solange könnte sie weiterhin auf eine feste Stelle hoffen. Sie hätte auch das Bundesland wechseln können, außerhalb Bayerns herrscht vielfach Lehrermangel. Doch am Ende entschied sie sich, den Arbeitgeber zu wechseln. Statt für den Freistaat, der ihr all die Jahre die Ausbildung finanziert hat, wird sie nun vorerst für eine Privatschule arbeiten. Sie habe sich vom Staat am Ende behandelt gefühlt wie eine Nummer, die hin- und hergeschoben wird, sagt sie. Auf der Warteliste steht sie aber weiterhin.