Ostfriedhof:Ein Spiegelbild des Lebens

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"Hier ist jeder willkommen": Wie auf dem Ostfriedhof Bestattungen organisiert werden - und wie es die Mitarbeiter wegstecken, sich jeden Tag mit dem Tod zu beschäftigen. Ein Besuch.

Sarina Pfauth

Es steht ein Satz in der Bibel, der heißt: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden". Wenn das stimmt, dann sind hier, auf dem Ostfriedhof, wohl sehr viele weise Menschen zu finden. Denn an kaum einem anderen Ort in der Stadt wird man so unmittelbar und ununterbrochen mit dem Tod konfrontiert wie hier. "Man muss das schon wegstecken können, wenn man jeden Tag mit dem Thema zu tun hat", sagt Robert Dreher, Beamter bei der Stadt, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Friedhofsverwaltung. Er hätte mit seiner Ausbildung auch zum Kreisverwaltungsreferat gehen können - aber hier war eben eine Stelle frei. Jetzt beschäftigt er sich jeden Tag mit dem Tod.

Steinerner Engel am Ostfriedhof: An kaum einem anderen Ort in der Stadt wird man so unmittelbar und ununterbrochen mit dem Tod konfrontiert wie hier. (Foto: Foto: Hess)

41 Leute arbeiten im Ostfriedhof, im benachbarten Krematorium weitere 21. Sie erstellen den Plan für die Trauerfeiern, heben die Gräber aus, kümmern sich um Grünanlagen und Wege. Andere sind für die Aufbahrung verantwortlich oder die Grabkäufe. Im Krematorium beschäftigen sich die Mitarbeiter vor allem mit den technischen Anlagen.

Es ist neun Uhr morgens, die erste Beerdigung ist in einer Stunde angesetzt. Die Mitarbeiter sind aber schon im Dienst, sie bereiten die Bestattungen vor, die später am Tag im Halbstundentakt stattfinden werden. Es gibt exakte Pläne, wann wo welche Trauerfeier stattfindet. Das Thema Tod wird im Ostfriedhof professionell behandelt - ein Friedhof ist ein Betrieb, der laufen muss.

Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 645 Sarg- und 593 Urnenbestattungen am Ostfriedhof, dazu 131 Urnentrauerfeiern, bei denen die Bestattung danach an einem anderen Ort stattfand. Zurzeit, erzählt später ein Mitarbeiter im Krematorium, verschicken sie viele Urnen in die Schweiz, wo eine Naturbestattung in den Bergen angeboten wird - auf einer Almwiese in den Walliser Alpen, ohne Grabstein oder Markierung.

Fast alles, was die Mitarbeiter hier tun, geschieht hinter den Kulissen, still und unauffällig. Und so perfekt wie möglich, denn wenn etwas schief geht bei einer Beerdigung, dann ist das für die Angehörigen oft eine Katastrophe: Wenn eine falsche CD bei der Trauerfeier abgespielt werden würde zum Beispiel, oder wenn die Totengräber, die heute Grabmacher heißen, das Blumenbouquet der Vereinskameraden vergessen. Oder, noch schlimmer, wenn ein falscher Kranz auf dem Sarg liegt.

"Das Schwierige ist, dass nicht jeden Tag gleich viele Leute sterben", erzählt Dreher. Und dass deshalb nicht jeden Tag gleich viele Trauerfeiern stattfinden. Die Bediensteten müssen an manchen Tagen logistische Höchstleistungen vollbringen. Der Zeitplan muss auf die Minute genau passen. Wer will schon, dass die Beerdigung seiner Mutter mit Verspätung beginnt?

Ostfriedhof
:Ein Spiegelbild des Lebens

"Hier ist jeder willkommen": Wie auf dem Ostfriedhof Bestattungen organisiert werden - und wie es die Mitarbeiter wegstecken, sich jeden Tag mit dem Tod zu beschäftigen. Ein Besuch.

Sarina Pfauth

Auf dem Ostfriedhof werden nicht nur Christen beerdigt, sondern auch Muslime, Juden, Konfessionslose. Hier finden sich die Gräber von Politikern, Schauspielern, Komponisten - und von Leuten, die arm und unbekannt gestorben sind. "Bei uns ist jeder willkommen - soweit man das für einen Friedhof sagen kann", sagt Dreher, ohne dabei zynisch zu wirken. Bei manchen Friedhöfen werden nur Menschen bestattet, die mindestens 30 Jahre lang in der Umgebung gewohnt haben. Auf dem Ostfriedhof gibt es keine Vorgaben.

Und auch bei der Gestaltung von Trauerfeiern und Gräbern versucht der Friedhof, möglichst wenig Vorgaben zu machen und den Wünschen der Angehörigen so weit wie möglich entgegen zu kommen. "'Time to say Goodbye' ist zwar immer noch der große Renner bei Trauerfeiern", erzählt Dreher. Wer aber gerne Rockmusik auflegen möchte, kann das tun: "Die Beerdigung und auch der Grabstein sollen die Persönlichkeit des Verstorbenen widerspiegeln."

Ob sich die Trauerkultur in den vergangenen Jahren verändert hat? Robert Dreher überlegt. Dann geht er voraus in einen kleinen Raum, der mit roten Vorhängen ausgekleidet ist. Am Kopfende des Zimmers stehen Kerzen und immergrüne Pflanzen. Das Zimmer wurde erst vor einem Jahr eingerichtet. "Das Bedürfnis nimmt zu, sich persönlich zu verabschieden", sagt er dann.

Wenn die Angehörigen es wünschen, wird der Sarg vor der Bestattung deshalb in diesen kleinen Raum gestellt. "Man kann den Toten dann noch einmal anfassen und sich persönlich verabschieden", erzählt Dreher, "alleine und ungestört". Vielen Leuten sei diese Möglichkeit angenehmer als die herkömmliche Art. Die sieht so aus, dass die Särge in abgetrennten Abteilen entlang eines öffentlich zugänglichen Flures, dem so genannten Schaugang, aufgebahrt werden, eine Glasscheibe trennt den Flur von den Särgen, und hinter der Glasscheibe lehnt ein Namensschild. Vier Kränze und ein Bouquet liegen normalerweise auf einem Sarg, die anderen werden hinter einem Vorhang gelagert und als Grabschmuck bereit gelegt.

Auf die andere Seite der Glasscheibe, zu den Särgen, kommen normalerweise nur die Friedhofsmitarbeiter. Dreher tritt über die Türschwelle. Es riecht ganz gut, hier, nach Holz und frischen Blumen. Die Särge stehen in dem langen Flur in Zweierreihen hintereinander, Vorhänge verdecken die Sicht vom Schaugang auf diese Aufstellung. In jedem der Holzkästen liegt ein toter Mensch. Jemand mit einer Geschichte, mit Freunden, Verwandten, einem Hund.

Robert Dreher geht an den Reihen vorbei. Auf den Särgen stehen die Namen der Toten. "Jeder Sarg wird mehrfach kontrolliert", erklärt der Friedhofsführer. Die Mitarbeiter öffnen den Sarg und prüfen, ob die Identität des Verstorbenen mit dem Namen auf dem Deckel übereinstimmt. Am Ende des Flurs, im Kühlraum: noch mehr Särge. Durch die ständige Konfrontation mit der Vergänglichkeit verliert das Sterben etwas von seinem Schrecken, sagt der Beamte: "Wenn man sich mit dem Tod beschäftigt, ist er nicht mehr so schlimm."

Robert Dreher spaziert über den Friedhof, die Sonne scheint, in einem Brunnen baden zwei Enten. Der Architekt Hans Grässel hat den Friedhof 1890 entworfen, er war damals erst 29 Jahre alt. Grässel, der städtische Bauamtmann, hatte sich damals im Stadtrat mit der Idee durchgesetzt, statt einem Zentralfriedhof jeweils einen großen Friedhof in jeder Himmelsrichtung anzulegen. Der Magistrat war einverstanden, es entstanden Ost-, Nord-, West- und Waldfriedhof nach den Plänen des Architekten. 1929 baute Grässel noch ein Krematorium an den Rand des Ostfriedhofs. Es war sein letztes Bauwerk: Grässel starb zehn Jahre später und wurde in München auf seinem Lieblingsfriedhof, dem Waldfriedhof, bestattet. Während des Rundgangs deutet Dreher immer wieder auf einen Grabstein, ein Mausoleum, ein Kreuz und erzählt von dem Menschen, dessen Name in Goldbuchstaben darauf steht.

Die größte Beerdigung, die der Friedhof jemals erlebt hat, war die von Kurt Eisner, dem Anführer der Novemberrevolution von 1918 in Bayern und dem ersten Ministerpräsidenten des von ihm ausgerufenen Freistaats nach dem Ersten Weltkrieg. Eisner kam 1919 bei einem Attentat ums Leben, Tausende wohnten der Trauerfeier bei.

Die spektakulärste aller Bestattungen auf dem Ostfriedhof, denkt Dreher, war aber sicherlich die von Rudolph Mooshammer. "Da hatten wir Busse von überall her, aus Norddeutschland und Österreich und Holland. Und Tribünen für die Kameras - wie auf dem Oktoberfest!" Die Beerdigung wurde live im Fernsehen übertragen. Aber, meint Dreher, das hätte Mooshammer ja entsprochen, "die Beerdigung war ein Spiegelbild seines Lebens. So soll es ja sein."

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