Oper:Dank an die Diva

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In der kommenden Saison werden nun auch Produktionen erstmals gezeigt, die es bislang nur im Stream gab: Donizettis "Anna Bolena" zum Beispiel. (Foto: Marie-Laure Briane)

Premiere am Gärtnerplatztheater: "Anna Bolena" live im Netz

Von Egbert Tholl, München

Ein bisschen bizarr ist es schon, dass das Staatstheater am Gärtnerplatz just zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal eine Premiere live im Netz überträgt, an dem die Bayerischen Staatsoper das Ergebnis des Corona-Pilotversuchs veröffentlicht. Dieses Ergebnis besagt, verknappt gesagt, dass die Hygienemaßnahmen des Hauses dafür sorgten, dass sich kein Besucher infizierte, solange noch Zuschauer zugelassen waren. Interessant, dass die Politik ein Pilotprojekt ins Leben ruft - und dem Ergebnis keinerlei Bedeutung beimisst. Und so produzieren die Häuser, egal ob Sprech- oder Musiktheater, halt weiter auf Halde oder fürs Netz.

Nun sitzt man also abermals in totaler Vereinsamung allein vor dem Computer und schaut sich Donizettis "Anna Bolena" an. Seltsam eigentlich, dass alleine Fernschauen nicht dieses Gefühl auslöst, aber bei jedem Stream einer Aufführung schaut halt auch das Gefühl des Defizits mit. Natürlich wäre man nun lieber dort im Theater. Dabei unternimmt das Gärtnerplatztheater Einiges, um von der Verlorenheit der Situation abzulenken. Bevor es losgeht, begrüßt einen der Intendant Josef E. Köpplinger von seinem Büro aus, in der Pause unterhält er sich mit dem Dirigenten Howard Arman, der Hauptdarstellerin Jennifer O'Loughlin und dem Tenor Lucian Krasznec, im Parkett spielen ein paar Mitarbeiter des Hauses Publikum - man sieht sie nicht, aber man hört ihren Applaus. Immer wieder. Und so können sich am Ende immerhin alle Beteiligten gebührend feiern lassen. Die Ereignishaftigkeit wird zudem dadurch verstärkt, dass der Stream nicht beliebig verfügbar ist, sondern erst einmal nur am Premierenwochenende zu sehen war. Es werden weitere folgen, am 17. Dezember "Der Vetter aus Dingsda", an Silvester "Drei Männer im Schnee". Ein lustiges Silvester also.

Anders als der "Falstaff" der Bayerischen Staatsoper zwei Tage zuvor ist die von Maximilian Berling eingerichtete Aufführung kein Schrei gegen die Gängelung der Kunst, sondern eine perfekt ablaufende, semikonzertante Präsentation des Werks, ein klingender Opernführer, der dank der Darsteller durchaus emotional mitreißend ist und am Ende richtig anrührend wird. Dann nähert sich Anna Bolena, die in der Dramaturgie dieser Oper von Anfang an verloren hat, in aufgerautem Geisteszustand der eigenen Hinrichtung, und wäre Jennifer O'Loughlin nicht von ihrem ersten Ton an eine bewundernswürdige Belcanto-Diva, spätestens jetzt läge man ihr vor dem Bildschirm zu Füßen.

Anna-Katharina Tonaver ist bezaubernd als verliebter Page, Margarita Gritskova eine schöne und stimmlich leicht harsche Rivalin im Ringen um die Gunst des Königs, der selbst, Sava Vemić, als einziger etwas blass bleibt. Der Chor verkörpert die Enge und Strenge des königlichen Hofs, die beiden Freunde Timos Sirlantzis und Lucian Krasznec brillieren gerade in den beeindruckenden Ensembles. Und Arman holt aus der kleinen Orchesterbesetzung heraus, was geht.

© SZ vom 07.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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