Oktoberfest:Wenn selbst Wiesnhasser ihr Feindbild vermissen

Lesezeit: 5 min

Der Himmel der Bayern? Den gibt es zwar nicht nur im Hackerzelt, so ganz prinzipiell, aber je näher der eigentliche Wiesn-Termin drückt, desto schmerzlicher vermissen manche gerade diesen Anblick. (Foto: Robert Haas)

Am 18. September hätte das Oktoberfest begonnen. Je näher der Tag rückt, desto größer scheint die Sehnsucht zu werden - und die Fantasie für nicht unbedingt authentische Ersatzveranstaltungen auch.

Von Franz Kotteder

Was wäre eine Stadt ohne Gegensätze? Richtig, eine matte Sache. Gegensätze ziehen sich an, heißt es zwar. Aber das stimmt natürlich nicht. Was ließe sich, in München zum Beispiel, weniger in Einklang bringen als Bayern und Sechzig, als Mieter und Vermieter, als Radler und SUV-Fahrer? Gut, sieht man einmal von den beiden Fußballvereinen ab, so übernimmt man als Person auch mal wechselnde Rollen, fährt zum Beispiel mal Rad und mal Auto. Zu den unversöhnlichen Gegensätzen zählt aber der Antagonismus zwischen Wiesnfans und Wiesnhassern. Vergangenes Jahr, als das Oktoberfest erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ausfiel, war das gut zu beobachten. Der Jubel der Wiesngegner in den sozialen Netzwerken war kaum zu bändigen.

Und in diesem Jahr? Freut sich wer, dass die Wiesn schon wieder ausfällt? Außer vielleicht ein paar Anwohner, die in diesem Sommer die Theresienwiese schon wieder für sich haben und nicht vor abweisenden Aufbauzäunen stehen?

Nein, von den Wiesnhassern ist wenig zu hören, dieser Tage. Fast hat man den Eindruck, selbst ihnen fehlt ihr altes Feindbild. Und auf der Theresienwiese, wo sich die Skater und die Beachvolleyballspieler, die Boulderer und die Bodylifter breitgemacht haben, turnt man inzwischen gar zu Blasmusik mit zünftigen Oktoberfestmärschen aus dem Lautsprecher. So zu beobachten am Donnerstagabend.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Je näher der 18. September rückt - der Tag, an dem die Wiesn in diesem Jahr begonnen hätte -, desto stärker scheint die Sehnsucht zu werden nach dem entgangenen Volksfest. Man merkt das an den vielfältigen Aktivitäten, die derzeit aus dem Boden schießen und irgendwie die Wiesn oder das Oktoberfest im Namen führen. Die Nähe zum wirklichen Ereignis ist dabei komplett nebensächlich; man merkt das an der ganzen Aufregung um die sogenannte Wüsten-Wiesn in Dubai, deren Stattfinden zunehmend unwahrscheinlicher wird. Der langjährige Wirtesprecher Toni Roiderer vom Hackerzelt hat alles Nötige dazu bereits gesagt, als er lapidar feststellte: "Ich bin Wiesnwirt und kein Wüstenwirt."

Am nächsten kommt all den Oktoberfestsurrogaten überraschenderweise einer, der immer Wiesnwirt werden wollte, aber nun sehr wahrscheinlich keiner mehr werden wird: Alfons Schuhbeck. Er tritt im Dinnerzelt teatro, draußen in der Messestadt Riem, tatsächlich selbst elfmal mit seiner Show "Schuhbecks Carousel" auf (das Zelt ist wirtschaftlich unabhängig von dem Starkoch und damit auch nicht von der Insolvenz seiner Betriebe betroffen). Am Freitag, 17. September, zapft Schuhbeck persönlich das erste Fass an, dann gibt's eine Wiesnshow mit der Band Cagey Strings aus dem Hackerzelt, Bier und Brotzeit nebst "süßen Schmankerln von Alfons Schuhbeck" an Holzbänken, fast wie auf dem Oktoberfest. Man möge in Dirndl und Lederhosen erscheinen, heißt es, außer Partymusik gibt es diverse akrobatische Showattraktionen, und wie man Schuhbeck kennt, wird er wohl auch mal zu Mikrofon und E-Gitarre greifen. Das Ganze gibt's an den Wochenenden bis zum 3. Oktober. Auch beim Preis werden Wiesn-Gefühle wach. Der Platz am Sechsertisch kostet pro Person 99,90 Euro aufwärts.

Da kommt die sogenannte Wirtshaus-Wiesn sicher günstiger, dafür hat sie aber auch keinerlei Akrobatik zu bieten - sieht man mal von Kellnerinnen und Kellnern ab, die gekonnt ihr Tablett jonglieren. Wie schon im vergangenen Jahr haben sich 35 Innenstadtwirte und die Wiesnwirte mit ihren rund 20 Gaststätten zusammengetan, um zur eigentlichen Wiesnzeit zwischen 18. September und 3. Oktober Ersatz zu liefern: wiesntypische Speisen, Festzeltdeko, Lebkuchenherzen und bayerische Wirtshausmusik.

Ob das Wesen der Wiesn darin vollinhaltlich zu erfassen ist, mag man guten Gewissens bezweifeln. Schließlich gehören zu einem Volksfest zumindest noch Schausteller, Fahrgeschäfte und Buden - einiges davon hatte man beim "Sommer in der Stadt", auch so ein leicht seltsames Surrogat, bereits erleben können. Aber nur bis zum 22. August, weil dann Platz geschaffen wurde für den Aufbau der irgendwie auch narrischen IAA-Autogaudi.

Weil man Achterbahnen und Kettenkarussells bei den Münchner Grundstückspreisen schlecht in der heimischen Wohnung oder im eigenen Garten aufstellen kann, beschränken sich die Oktoberfestersatzteile in der Regel dann doch auf das Kulinarische oder Dinge, die im Zusammenhang damit stehen. Wiesnchef und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) preist nun schon im zweiten Jahr mit stoischem Gleichmut den offiziellen Wiesnkrug der Stadt an zu einem Fest, das es gar nicht geben wird. So, wie er zuvor schon das zweite, im Grunde völlig überflüssige Oktoberfestplakat angekündigt hatte. Was soll er auch machen? Die Münchner Brauereien haben ja auch wieder ein Festbier eingebraut, als schon längst klar war, dass kein Fest dazu stattfinden würde. Selbst die Giesinger Brauerei hat mit dem "Schürzenjäger" jetzt ein Oktoberfestbier herausgebracht: ein dezenter Hinweis darauf, dass man demnächst auch ein Zelt will?

Als Ersatz gibt es zum Beispiel einen offiziellen Wiesnmasskrug. (Foto: oh)

Man mag das alles als Teil einer großen Illusionsmaschine sehen, die uns vorgaukelt, es gäbe doch so etwas wie ein Oktoberfest in diesem Jahr. Immerhin aber: Feinkost Käfer setzt auf brutalen Realismus und nennt sein Ersatzprogramm eiskalt "Koa Wiesn 2.0". Das Lebkuchenherz mit ebendieser Aufschrift gibt es im Online-Shop bereits für 5,95 Euro (zuzüglich Versandkosten). Dort kann man vom Kaffeehaferl bis hin zu sämtlichen nur denkbaren Spezialitäten fürs Brotzeitbrettl alles erstehen, was mit dem Oktoberfest auch nur ansatzweise zu tun haben könnte.

Ein Rundum-Sorglos-Paket ist allerdings auch auf dem Markt. Es kommt vom Fernsehkoch Alexander Herrmann aus dem fränkischen Wirsberg. Er hat jetzt eine "Oktoberfest-Box" aufgelegt, die für vier bis sechs Personen gedacht ist und beileibe nicht nur "ein authentisch-bayerisches Brotzeitbrettl" enthält, sondern auch noch knusprige Spanferkelhaxen, geschmorte Ochsenbackerl und gebratene Wiesn-Hendl sowie Strudelschmarrn mit Apfel und Vanillesauce. Ein Wiesn-Hendl aus der Kochbox? Das ist eine Herausforderung. Alles zusammen kostet 179 Euro, fehlen nur noch diverse Mass Bier.

Im Restaurant Izakaya gibt es ein Menü mit einem ersten Gang, der sich am besten mit "Brotzeitbrettl, japanisches" umschreiben lässt. (Foto: Maria Pinzger)

Die wird man womöglich auch beim "Oktoberfestmenü" im Restaurant Izakaya vermissen, denn dort, im Luxushotel Roomers an der Landsberger Straße, gibt es das Augustiner-Bier nur in 0,33-Liter-Flaschen. Das Lokal mit seiner japanischen Fusionsküche hat das Motto ansonsten immerhin mit skurrilem Humor umgesetzt. So gibt es eine Art Brotzeitbrettl mit Wammerl, in diesem Fall gegrilltem Schweinebauch mit Ingwer-Tozasu-Salsa, das Hendl als asiatisches Frühlingshähnchen mit Trüffel-Teriyaki-Sauce und die Bauernente in Gestalt einer "knusprigen Entenrolle mit Daikonrettich und Hoisin-Sauce". Als Hommage ans Italiener-Wochenende besteht das Dessert aus einer Cappuccino-Crème brûlée.

Weil das Oktoberfest coronabedingt noch einmal ausfallen muss, lassen sich Gastronomen einiges einfallen. (Foto: Maria Pinzger)

Soweit mag das alles nachvollziehbar sein. Vielleicht braucht es auch noch das "Oktoberfest Memory" aus dem Starnberger Spiele Verlag, das Ende kommender Woche erscheinen soll. Oder das "Wiesn-Playmate 2021", das vom bekannten Interview-Magazin Playboy am Mittwoch nächster Woche vorgestellt wird. Es mag auch angehen, dass der Bayerische Kunstgewerbeverein in der Pacellistraße für seine gerade angelaufene, neue Schmuck- und Textilausstellung "Inspiration aus Tradition" mit dem Oktoberfest wirbt. Ein bisschen bemüht wirkt es allerdings, wenn der Verein zur Förderung urbaner Kunst seine neueste Untergiesinger Graffiti-Aktion in einer Woche "O'gmoit is" betitelt. Den Vogel, wie man im Armbrustschützenzelt sagt, schießt aber ein anderer Verein ab, nämlich der "German Mittelstand e. V.". Unter dem Motto "O'gsogt is" veranstaltet er 16 Tage lang eine "digiWiesn Bayern mit 30 Top-Referenten aus Wirtschaft, Politik und Medien". Man kann sich da zu "fachlichen Gesprächsrunden in virtuellen Wiesn-Boxen" treffen, zum Beispiel mit der Schirmherrin Dorothee Bär.

Da mag sich mancher Liebhaber des Oktoberfests dann fragen, ob er nicht doch besser zum Wiesnhasser werden soll.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ-Serie: Künstlerpärchen
:"Die häufigste Frage, die wir hören, ist: 'Wie schlaft ihr?'"

Seit fast sieben Jahren sind die Tänzerinnen Anna Konjetzky, Sahra Huby und Quindell Orton in einer Liebes - und Arbeitsbeziehung. Sie sagen: Zu dritt sein hat Vorteile. Doch die Gesellschaft glaubt noch nicht an eine Beziehung wie ihre.

Von Rita Argauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: