Polizei auf dem Oktoberfest:Die Bösewichte kommen durch die Hintertür auf die Wache

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Polizeistreife auf dem Oktoberfestgelände (Foto: IMAGO/aal.photo)

Für 17 Tage ist die Wiesnwache mit 600 Beamten die größte Polizeidienststelle Bayerns. Ihr neuer Leiter Christian Schäfer erklärt, warum die Beamten auf dem Festgelände kaum Masken tragen - und wie sie die Respektlosigkeit mancher Oktoberfestbesucher erleben.

Von Martin Bernstein

Am Montagabend hat Christian Schäfer es selbst erlebt: Da wird die Polizei zu einer Wiesn-Schlägerei gerufen. Kaum nehmen die Beamtinnen und Beamten den Übeltäter in Gewahrsam, sind sie von Menschen umringt. Mobiltelefone werden gezückt, geschimpft wird - auf die Polizei. "Vorher, bei der Schlägerei - da hat sich keiner eingemischt", sagt Schäfer. Der 40 Jahre alte Polizeioberrat ist seit 20 Jahren Polizist. Und jetzt doch Debütant. Erstmals leitet er die Wiesnwache des Münchner Präsidiums, mit rund 600 Beamtinnen und Beamten für 17 Tage die größte Dienststelle Bayerns.

Manche Dinge sieht man mit ein bisschen Abstand deutlicher. Als Neuling. Und nach zwei Jahren Oktoberfestpause. Den rapide erodierenden Respekt vor staatlichen Sicherheitskräften etwa, obwohl der gebürtige Penzberger Schäfer das schon aus seiner Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion 14 kennt, die zwar "Westend" heißt, aber in der Beethovenstraße beheimatet ist. So ganz fremd ist ihm das Wiesn-Umfeld also nicht.

Und auch die Kolleginnen und Kollegen sind es nicht, die im Umkreis des Biergetümmels Dienst tun. Der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Wiesnwache und Nachbarinspektion helfe das natürlich, sagt Schäfer. Und innerhalb der Wiesnwache, die im Behördenhof hinterm Schottenhamel-Zelt untergebracht ist? Da gibt es eine klare Aufgabenverteilung zwischen uniformierten Schutzpolizisten, die möglichst viel auf dem Festgelände unterwegs sein sollen, und den Kriminalpolizisten auf der Wache, zu denen die Delinquenten dann durch den Hintereingang gebracht werden. Die spezialisierten Ermittler müssen auf der Wiesn Allrounder sein - da bekommt der Experte für Online-Betrug auch schon mal einen Masskrugschläger vorgesetzt. Jede Menge Neues also auch da.

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Doch alle, die auf der Wache Dienst tun, machen das freiwillig. "Und mit Freude und Engagement", wie ihr Chef sagt. Das gelte auch für ihn. Wer ihn so sitzen sieht in seinem Büro im Untergeschoss des Behördenhofs, wie er von der Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen erzählt und mit funkelnden Augen von den ersten Tagen auf der Wiesn, der glaubt ihm gerne den "Stolz und die Freude", die er empfunden habe, als vor zwei Monaten endgültig feststand, dass er die Leitung der Wiesnwache übernehmen soll.

"Das gäbe ein komisches Bild"

Freiwillig ist auch alles, was auf der Wache der Covid-Prävention dient: das Maskentragen, die Tests vor Dienstantritt. Selbst Festbesucher werden nur darum gebeten, im Wachraum einen Mund-Nasen-Schutz anzulegen. Die meisten tun das. "Zumindest die, die durch die Vordertüre kommen", sagt Schäfer. "Die wollen ja was von uns." Die anderen, die Delinquenten, die durch die Hintertür hereingebracht werden, sind zumeist renitenter. Respektlos eben, in Verbindung mit jeder Menge Alkohol. Und in der Zelle dürfen sie aus Sicherheitsgründen ohnehin keine Masken aufhaben.

Vorne, am Tresen, sind Plexiglasscheiben nachträglich aufgeschraubt worden. Neben den Masken tragenden Beamten einer der wenigen Hinweise, dass das erste Oktoberfest seit Pandemiebeginn noch lange keine Post-Covid-Wiesn ist. Stichproben haben gezeigt, dass einer von 50 Besuchern infiziert sein könnte. An jedem fünften Biertisch ein potenzieller Superspreader - wie geht die Polizei damit um? Auf den ersten Blick: business as usual. Die Polizistinnen und Polizisten, die in Sechsergruppen auf dem Festgelände unterwegs sind, tragen in der Regel keine Masken. "Das gäbe ein komisches Bild", sagt ihr Chef. Stichwort Bürgernähe.

Doch in der Regel müssen die Gruppen sich auch gar nicht in die bedrohlichen Aerosol-Wolken der Festzelte wagen. Rund 2000 Einsätze hatte die Polizei auf dem Oktoberfest 2019. Und nur 42 davon führten die Beamten in eines der Zelte. Übeltäter werden von der Security meistens im Freien an die Polizei übergeben. Dennoch geht auch Schäfer davon aus, dass coronabedingte Ausfälle vor allem in der zweiten Wiesnwoche wohl unvermeidlich sein werden. Dafür habe man Vorsorge getroffen, Ersatz steht bereit.

Aber - und da kommt wieder die Freiwilligkeit ins Spiel: Der Leiter der Wiesnwache rechnet fest damit, dass seine Kolleginnen und Kollegen selbst ein großes Interesse daran hätten, nicht krank zu werden. 50 Prozent seiner Mannschaft sind Wiesn-Neulinge wie ihr Chef. Meist junge Beamte, die sich darauf freuen, nach zwei Corona-Jahren jetzt auf der Wiesn andere Einsätze zu erleben, mit allem, was den Polizistenberuf für sie interessant macht. Aber mit dem Hintergrundrauschen von Fahrgeschäft-Sound und Kapellen-Animation im Ohr und dem Geruch von gebrannten Mandeln und Steckerlfisch in der Nase.

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Ein bisschen anders ist die Wiesn 2022 schon, glaubt Schäfer an den ersten Tagen beobachtet zu haben. Weniger ältere Menschen, vergleichsweise mehr jüngere, viele von ihnen wohl auch Oktoberfest-Neulinge mit entsprechend wenig Erfahrung damit, wann genug wirklich genug für sie ist. Zur Halbzeit am Sonntag sagt Schäfer: "Wir waren tatsächlich überrascht, dass die erste Woche so ruhig war."

Natürlich, gibt der erfahrene Polizist zu, sei auch er auf die Endabrechnung nach dem 3. Oktober gespannt. Wie die Zahlen dann so seien im Vergleich zu den Vor-Corona-Wiesn. Weniger Straftaten und auch weniger Gewaltdelikte? Dafür aber vielleicht mehr Alkoholisierte? Und auch mehr Attacken auf Polizistinnen und Polizisten? Die Erfahrungen der ersten Tage, die Schäfer selbst machen musste, deuten darauf hin.

Die Freude am Wiesn-Einsatz will er sich nicht verderben lassen. Auch wenn er kaum Zeit finden dürfte, privat über die Theresienwiese zu bummeln. Polizeichef auf dem Oktoberfest zu sein, ist ein Vollzeit-Job. "Vormittags bin ich oft eine Art Touristenführer", sagt Schäfer. "Dann darf ich Delegationen und anderen Interessenten unsere Wiesnwache zeigen." Am Familientag hat Christian Schäfer sich dennoch ein paar Stunden reserviert für einen Bummel mit dem eigenen Nachwuchs.

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