Junge Backpacker am Oktoberfest:Wer weniger fürs Übernachten zahlt, hat mehr Geld für Bier

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Ausgekatert, Lederhosen an, zurück auf die Wiesn: Ein Campingplatzbewohner bereitet sich auf das nächste Feiern vor. (Foto: Florian Peljak)

Zelten hat sich in München zu einem Geschäftsmodell entwickelt. Zu Besuch auf dem Campingplatz Thalkirchen, wo die Party auch nach dem Wiesn-Besuch weitergeht. Selbst Tracht wird dort verliehen.

Von Caroline Drees

Die einen klettern in Lederhose aus dem Zelt und sind bereit für das erste Bier, die anderen machen Yoga auf der Wiese, manche checken gerade erst ein. Es läuft Elektromusik. Mit nur wenigen Zentimetern Abstand stehen auf dem Campingplatz Thalkirchen graue, weiße und blaue Zelte. Etwa 700 Stück seien es, schätzt der Rezeptionist. Und es werden noch mehr.

Viermal so groß wie noch vor einem Jahr ist der Bereich, der extra für Oktoberfest-Gäste reserviert ist. Ab 40 Euro pro Nacht können sie einen Schlafplatz ergattern, der nur 25 Minuten mit der U-Bahn von der Theresienwiese entfernt ist. Ein Schnäppchen im Vergleich zu einem Hotelzimmer, das auch schon mal das Zehnfache und mehr kosten kann. Das Versprechen: Je mehr Geld man für die Unterkunft spart, desto mehr kann man für Bier ausgeben. Die Zielgruppe: junge Backpacker mit kleinem Budget. Doch was ist der Preis dafür - grölende Besoffene, wenig Platz, schmutzige Duschen?

Um 13 Uhr unter der Woche ist hier wenig los. Ausgebucht ist der Campingplatz nicht, erst zum Wochenenden wird es richtig voll. Gez Monteith hat schon seine Lederhose an. Der 24-Jährige kommt aus Australien und besucht die Wiesn zum ersten Mal. Sein Kumpel und er reisen für zehn Monate durch Europa, drei Nächte lang bleiben sie in München. Den Campingplatz finde er super, da dieser so günstig sei. Außerdem gehe er jeden Morgen nach dem Aufstehen als Erstes in der Isar schwimmen, die sich am Zeltplatz vorbeischlängelt.

Hauptsächlich junge Leute übernachten hier, 18- bis 25-Jährige schätzt er. Und gefühlt 80 Prozent seien Australierinnen und Australier. Nach der Corona-Pandemie ziehe es viele von ihnen ins Ausland.

Gez Monteith (Mitte) und sein Kumpel Max Wilson haben auf dem Campingplatz Adam Welsh (links) kennengelernt - ebenfalls ein Australier. (Foto: Florian Peljak)

In dem Mini-Biergarten neben der Rezeption spiele jede Nacht ein DJ: "Eine Party, deren Ende ich noch nicht erlebt habe", sagt Monteith. Trotzdem sei der Zeltplatz ein Ort, an dem man nicht mehr Zeit als nötig verbringen wolle. Das Frühstück, das man sich hier kaufen kann, sei eher schauerlich und sie hätten gehört, dass Leute in fremde Zelte eingebrochen sind.

Der Campingplatz Thalkirchen kooperiert mit verschiedenen internationalen Unternehmen, die hier nur für die Zeit des Oktoberfests ihre Zelte aufschlagen. Je nach Anbieter kostet eine Nacht zwischen 40 und 65 Euro pro Person. Im Preis mit inbegriffen sind Isomatten und Schlafsäcke. Firmen wie "Lost Souls" oder "Hangover Hospital" reisen um die Welt und stellen günstige Camping-Unterkünfte auf Veranstaltungen wie dem Karneval in Rio, Weltmeisterschaften oder dem Stierkampf in Pamplona zur Verfügung. Gesprochen wird hier nur Englisch.

Cameron Clark, ebenfalls Australier, probiert eine Lederhose an. Sie ist ihm an manchen Stellen viel zu groß, an anderen zu eng. Zu lang sowieso, und aus Polyester, nicht aus Leder. Im Rezeptionszelt der Lost Souls können sich Gäste für 20 Euro pro Tag eine Tracht ausleihen. Der Stand ist mit "Costume Shop" ausgeschildert, Kostümverleih. Neben Clark stehen auf Biertischen halb leere rote Cocktails und ein paar Bierflaschen. Hier kann man auch "Shit Tickets" kaufen - ein paar Blätter Klopapier. Hinten an der Wand hängt ein orangefarbener Trichter. Harald Shipman arbeitet für die Lost Souls und fasst zusammen: "Drunken tourism" - die Leute kommen, um Party zu machen.

Cameron Clark probiert eine Lederhose an. Der Australier besucht die Wiesn zum ersten Mal. (Foto: Florian Peljak)

Von der Wiesn erwartet Clark: "Viel Energie, viel Bier. Singen, umarmen, Würstchen und Schnitzel". Der 22-Jährige sagt, das Oktoberfest stehe bei vielen Australiern auf der Bucketlist, nach Europa zu kommen sei eine große Sache.

Elin Wolfram kommt aus Kanada, sie ist mit ihrem Bruder hier. Die 19-Jährige würde den Campingplatz auf jeden Fall nochmal buchen, sagt sie, günstiger geht es einfach nicht. Auch wenn die Nächte sehr kalt seien und die Zelte morgens stark aufheizen.

Elin Wolfram in ihrer geliehenen Tracht. (Foto: Florian Peljak)
Im Hangover Hospital gibt es Schlafsäle mit jeweils zehn Betten. (Foto: Florian Peljak)

Im Hangover Hospital schlafen die Besucherinnen und Besucher nicht auf Isomatten, sondern in Stockbetten. Der Betreiber erlaubt keine Fotos von innen, die Matratzen sehen dünn und ausgeleiert aus, Bettwäsche scheint es keine zu geben. Das Motto ist "sexy Krankenschwester", auf dem Logo ist eine kurvige Frau in Netzstrümpfen abgebildet. Frauen sieht man hier keine.

Auf verschiedenen Buchungswebseiten gibt es nur wenige aktuelle Bewertungen. Diese loben entweder mit voller Punktzahl die Atmosphäre und den Preis oder sie beschweren sich darüber, dass man für die Duschen extra zahlen müsse und das Personal zu verkatert sei, um hilfreich zu sein. Am häufigsten liest man darüber, wie dreckig die Bäder seien: "Die Sanitäranlagen sind unter aller Kanone", schreibt ein Gast. Überprüfen lässt sich das nicht, vormittags sind die WCs abgesperrt, sie werden wohl gereinigt.

Viele Besucherinnen und Besucher bleiben nur für zwei, drei Nächte, mit dem Ziel, den Großteil dieser Zeit auf der Theresienwiese zu verbringen. Geld für ein Hotelbett scheint hier niemand zu haben. Immerhin: Auskatern an der Isar, das ist echter Luxus.

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