363 Tage im Jahr rühmt sich der Münchner damit, in der nördlichsten Stadt Italiens zu leben - nur am Italienerwochenende nicht. Sonst wird der Italiener gern bewundert, für seinen Wein, seine Vespas, seinen caffè und seinen Stil in sämtlichen Lebenslagen. Aber am Italienerwochende will der Münchner am liebsten nichts mit ihm zu tun haben, der Wiesn-Italiener ist ihm entweder lästig oder peinlich, er trinkt und lärmt und hat eine Vorliebe für merkwürdige Kostümierungen. Celeste aus Trento und sein Kumpels zum Beispiel, die tragen schicke Hüte und tun auch sonst einiges, um dem Klischee zu entsprechen, das der Münchner so vom Wiesn-Italiener hat. Dass sie im Wohnmobil wohnen etwa, am Riemer Wiesn-Campingplatz. Oder dass sie hier einen Junggesellenabschied feiern, den von Massimo. Celeste hat nicht nur einen schicken Hut, sondern auch ein Lebkuchenherz, und das hat er nicht etwa gekauft, sondern beim "Hau den Lukas" gewonnen. Auch sonst könnte sich der Münchner noch einiges abschauen bei Celeste und seinen Kumpels: mal mit dem Jammern aufzuhören zum Beispiel. "Das Bier ist nicht teuer hier", findet die Runde. Der Preis sei absolut angemessen.
Gut, dass der Münchner auf den Wiesn-Italiener etwas hochnäsig herabschaut, mag auch damit zusammenhängen, dass der Wiesn-Italiener nun nicht unbedingt repräsentativ für den Italiener an sich ist. Aber auch der Wiesn-Münchner trinkt und lärmt und hat eine Vorliebe für merkwürdige Kostümierungen. Und den Wiesn-Italienern muss man zugutehalten: die meisten bleiben im normalen Outfit, bei der Vorliebe für Plastiklederhosen liegen Amerikaner, Engländer und Australier klar vorne. Alessandro (ganz rechts) und seinen Freunden zum Beispiel reichen T-Shirts. Sie sind zum ersten Mal da und stehen seit einer halben Stunde vor dem Hofbräuzelt an, ohne große Hoffnung, noch reingelassen zu werden. Dafür haben sie Tea aus Mailand beim Warten kennengelernt. "So ist das unter Italienern, wir finden uns immer gegenseitig", sagt sie. Immerhin gab es schon ein paar Mass im Paulaner Winzerer Fähndl. Und am Abend haben sie alle sowieso ein anderes Ziel: das Hofbräuhaus.
Valentina (links) und Flaminia werden immer wieder für Deutsche gehalten, doch beide kommen aus Rom. Ihre Dirndl haben sie sich in diesem Jahr gekauft, es ist ihr drittes Mal auf der Wiesn. Naja: Valentina war auch als Kind schon mal da - mit ihrer Mama, die eine echte Münchnerin ist. Dass die italienischen Jungs sie nicht gleich als Italienerinnen erkennen, finden die beiden lustig. Sie kontern auf sämtliche Sprüche - und ernten dann erstaunte Blicke. Und die Deutschen, wie sind die so? "Sie versuchen zumindest noch einen Dialog und dann wird irgendwann klar, was sie wollen", sagt Flaminia. Aber mit steigendem Alkoholpegel flirten dann irgendwann auch die Deutschen direkter.
Wieso sie alle am Italienerwochenende, also dem mittleren Wiesnwochende, aufs Oktoberfest kommen? Es gibt einfach keine richtige Antwort darauf. Lorenzo aus Como mit der Italienflagge war letztes Jahr auch schon da, auch am zweiten Wochenende. "Da fahren eben die Busse bei uns", sagt er. Andere erzählen, dass das Wochenenden eben weit genug weg ist von den Sommerferien und noch nicht so nah am Advent, wo man auch gerne mal wieder wegfährt. Lorenzo und seine Kumpels sind am Freitagabend losgefahren, neun Stunden im Bus, zwölf Stunden Wiesn, dann geht's zurück, ohne Übernachtung. Dass es weniger Besucher sind dieses Jahr, das spürt man, sagt sein Kumpel. Die Flagge trägt Lorenzo im Übrigen um zu zeigen, dass sie Italiener sind. Und dann? "Dann grüßen uns die anderen Italiener."
Ein eigentliches Italienerwochenende gibt es heuer gar nicht, ist vom Vorsitzenden des Hotelverbandes für München, Conrad Mayer, zu erfahren. Die Hotelbuchungen aus Italien gehen zurück. In der Wirtschaftskrise können sich viele den Oktoberfesttrip nicht mehr leisten. Und nachdem es in Italien noch keine IS-Terroranschläge gab, fühlten sich einige Italiener wohl zuhause sicherer, mutmaßt Mayer. Dazu kommen die Grenzkontrollen: Da wächst die Angst, stundenlang im Stau zu stehen. Außerdem könne man die Wohnmobile dann gar nicht mehr so gut überladen, wie das bisher oft geschah, sagt Mayer. Bruno aus Trento hat keine Bedenken. Bald wird er seine Natalia heiraten und er kann sich kaum einen besseren Ort vorstellen, um seinen Junggesellenabschied zu feiern. Er ist schon Freefalltower gefahren, "keine Ahnung, was ich da bezahlt habe." Das Schild um den Hals haben seine Freunde gebastelt. "Das Deutsch ist bestimmt voller Fehler, oder?"
Eigentlich haben sie ja doch viel gemeinsam, die Italiener und die Münchner. Auch in vielen italienischen Familien hat der Oktoberfestbesuch Tradition. So wie etwa bei Daniele aus Bozen (irgendwo in dem Knäuel unter seinen Freunden). Daniele war selbst schon vier Mal da und trägt ein T-Shirt mit Oktoberfest-Aufdruck, das ihm sein Vater geschenkt hat. Er weiß nicht einmal, wie alt das ist. Gut, das kann man nun nicht so sehen, das T-Shirt. Aber es könnte ein echtes Erbstück werden, wenn Daniele ein bisschen aufpasst.
Guglielmo und Francesco sind auch mit dem Bus da, und vom Reiseveranstalter gab's praktische grüne T-Shirts, damit man sich gegenseitig als Gruppe wiedererkennt. Nein, Pflicht seien die nicht. "Wir sehen aus wie Shrek - fehlen nur noch die Ohren", sagt Francesco (ganz rechts). Die Gruppe kommt aus der Brianza, die Bewohner dieser Gegend in Norditalien gelten als besonders fleißig. Da ist das Oktoberfest als Abwechslung gerade recht. Die Gruppe kommt auf drei bis sechs Mass, nur einer witzelt, er habe ja nur einen Espresso getrunken. Francesco fühlt sich trotz Bier noch ganz fit: "Ich habe zwei Stunden auf so einem Hügel geschlafen." Dass dieser Hügel auch Kotzhügel genannt wird, will man ihm dann lieber nicht verraten.
Der andere beliebte Hügel ist ja der an der Bavaria. Hier haben sich Marcello und Carlo hingesetzt, um ein Päuschen zu machen. Die beiden kommen aus Basilicata und sind mit dem Flugzeug angereist, drei Tage bleiben sie. Die Hüte haben sie gerade eben direkt auf dem Festgelände erstanden. Es ist ihr erstes Mal auf der Wiesn - und sie sind geradezu überwältigt. Groß haben sie sich das Ganze vorgestellt, ja, aber so enorm und ausschweifend dann doch nicht. "Alte, Junge, Familien, alle sind hier dabei! Und keiner denkt sich was, obwohl so viele Betrunkene unterwegs sind. So etwas gibt es in Italien einfach nicht."