Oktoberfest 2023:Null Toleranz für sexualisierte Gewalt gegen Frauen

Lesezeit: 2 min

Abend auf dem Oktoberfest 2022: Nicht immer bleibt es friedlich und sicher. (Foto: Alexander Pohl/IMAGO)

Eine Gruppenvergewaltigung gibt im Jahr 2002 den Anstoß, ein Hilfsangebot für Mädchen und Frauen auf dem Oktoberfest einzurichten. Damals wurde die Anlaufstelle noch belächelt, heute ist sie nicht mehr wegzudenken - und hat mehr zu tun denn je.

Von Katharina Haase

An einem Oktoberfest-Abend im Jahr 2002 kommt es in einem Hinterhof nahe der Theresienwiese zu einem brutalen Übergriff: Vier junge Männer vergewaltigen eine Frau, während ein fünfter Wache steht. Es ist nur eine von vielen Taten sexueller Gewalt, die sich in besagtem Jahr im Umfeld der Festwiese ereignen. Sibylle Härtl, schon damals engagiert bei der Initiative für Münchner Mädchen (Imma e.V.), wohnt zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem Hinterhof und erlebt die auf die Tat folgende Angst und Verunsicherung anderer Frauen selbst mit. "Es war klar, es muss was passieren", sagt Härtl heute. Es ist die Geburtsstunde der Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*".

Seit 20 Jahren setzt sich das Bündnis der drei Fraueninitiativen Imma, Amyna und Frauennotruf München nun für die Prävention und Hilfe vor Ort bei sexualisierter Gewalt oder sonstigen Notlagen von Mädchen und Frauen während des Oktoberfests ein. Der "Safe Space", die Anlaufstelle der Aktion, befindet sich seit dem Jahr 2005 im Service-Zentrum auf der Theresienwiese. 70 ehrenamtliche Helferinnen sowie 13 Fachmitarbeiterinnen aus den Bereichen Soziale Arbeit und Psychologie kümmern sich dort um die Klientinnen. Pro Abend sind 14 Personen im Einsatz.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Die Zahl der Frauen, die im Jahr 2022 im Safe Space nach Hilfe suchten, war mit 450 die höchste je dagewesene und um 50 Prozent höher als 2019, zur letzten Wiesn vor Corona. 41 der Hilfesuchenden waren unmittelbar zuvor Opfer von sexualisierter oder körperlicher Gewalt geworden. "Wir gehen nicht davon aus, dass es mehr Übergriffe und Gewalt gegen Frauen gibt als vor 20 Jahren", sagt Kristina Gottlöber von Imma. Jedoch sei das Selbstbewusstsein der Frauen heute ein anderes. Sie würden sich schneller Hilfe suchen, Taten würden vermehrt angezeigt, selbst wenn klar sei, dass der oder die Täter nicht mehr zu ermitteln seien.

Im Jahr 2003 waren Stadt und Behörden noch wenig begeistert von dem Projekt. Die Wiesn sei sicher, hieß es aus dem Stadtrat. Dass es auf dem Volksfest zu Gewalt gegen Frauen kommt, schien den Verantwortlichen nicht gerade eine werbewirksame Botschaft zu sein. In einem Wohnwagen am Rand des Behördenhofs nahm das Angebot trotz der Widerstände schließlich seinen Anfang. Bereits am ersten Abend suchte eine Frau, die zuvor Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden war, dort Hilfe. Schon nach diesem ersten Jahr ist klar, dass das Angebot weiter bestehen sollte. Auch andere Volksfeste folgen mittlerweile dem Münchner Vorbild und wollen eigene Safe Spaces errichten.

Der Safe Space auf der Wiesn wurde 2005 ins Leben gerufen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die viele Präventionsarbeit zahlt sich aus. Suchten im ersten Jahr noch rund 28 Frauen an insgesamt 17 Wiesn-Tagen die Hilfe vor Ort, waren es im vergangenen Jahr pro Abend durchschnittlich 26 Frauen. Allein am zweiten Wiesn-Freitag, dem absoluten Spitzentag, kamen 68 Frauen an den Safe Space. Insgesamt wurden in den vergangenen 20 Jahren 3068 Personen am Safe Space betreut. Bei besonders schlimmen Vorfällen bleiben die Mitarbeiterinnen bis zum Schluss involviert, begleiten die Betroffenen auf Wunsch ins Krankenhaus oder vermitteln eine Nachsorge.

Die Initiatorinnen betonen, dass ihre Hilfe auch bei vermeintlich kleinen Problemen in Anspruch genommen werden dürfe. Gerade Frauen, die ihre Gruppe oder ihr Handy verloren hätten, seien oft in einer hilflosen Lage, die auch ausgenutzt werden könne, sagt Kristina Gottlöber. Deshalb helfe man am Safe Space auch in solchen Fällen aus, damit es gar nicht erst zu einer schlimmeren Situation kommen könne. Zudem sei man aktuell in Gesprächen mit den Zeltbetreibern, um auch für die häufig von Belästigung betroffenen Bedienungen Präventionsprogramme zu etablieren. "Wir verfolgen eine Nulltoleranzstrategie gegen sexualisierte und jegliche andere Form der Gewalt auf dem Oktoberfest", so Gottlöber. Die Hoffnung bleibt, dass dies eines Tages nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern ankommt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSexismus im Bierzelt
:"Wenn es abends voll wird, dann ist es nur noch eklig"

Zeltbesucher nötigen Küsse auf, Hände landen dort, wo sie nicht hingehören: Bedienungen berichten, wie übergriffig es auf dem Oktoberfest zugeht.

Protokolle von Katharina Haase und Lisa Sonnabend

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: