Besuch zum Jubiläum:Wie man den OB als Geburtstagsgast gewinnt

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Dieter Reiter besucht Klara Kockel zum 100. Geburtstag. (Foto: Robert Haas)

Klara Kockel wurde am Donnerstag 100 Jahre alt und wünschte sich hartnäckig den Besuch von Dieter Reiter. Der kam dann sogar und gab ihr ein weitreichendes Versprechen.

Von Philipp Crone

Klara Kockels Antwort ist eindeutig. Gerade stehen schon fünf Personen um sie herum in ihrer Wohnung in der Mommsenstraße, und nun tritt auch noch die zweite Hauptperson neben der Jubilarin in deren Wohnzimmer. Dieter Reiter, Münchens Oberbürgermeister und selbstverständlich auch ein jahrelang geübter und geschulter Gesprächsmeister, gerade auch für Menschen, die im ersten Moment ein wenig ehrfürchtig sind beim Treffen mit dem Münchner OB. Wobei davon bei Kockel nicht viel zu spüren ist.

Die Frau im senffarbenen Sakko, die am 21. März 1924 geboren wurde und deshalb zunächst einmal vor einigen Wochen Post aus dem Rathaus bekam, schaut sich den Mann neben ihr, der 35 Jahre jünger ist als sie selbst, genau an. Als Reiter zu seiner Gratulationsgirlande ansetzt und dabei von der bislang ältesten Person erzählt, die er zu so einem Anlass getroffen habe, sie war 107, und ob das nicht auch noch was für sie wäre, sagt Kockel mit wunderbarer Deutlichkeit: "Naa!" Nein, so alt mag sie nicht werden. Wie alt dann? Und wie hat sie es bis ins 101. Lebensjahr geschafft?

Kockel ist ein wenig aufgedreht am Donnerstagvormittag um 10.30 Uhr, was anwesende Verwandte und Freunde bestätigen, schließlich hat sie sich monatelang auf diesen Tag gefreut, der aber eigentlich gar nicht mit Reiters Besuch hätte gekrönt werden sollen. Denn die besagte Post aus dem Rathaus war die Ankündigung, dass ein Vertreter sie gerne zum Geburtstag besuchen würde. Da hatte Kockel aber längst den Fensterputzer beauftragt, die Scheiben mit Blick auf den Englischen Garten sauberzumachen, und sich generell einfach schon auf den OB gefreut.

Der Nachbar zwei Stockwerke tiefer, mit dem sie oft in Kontakt ist, schrieb dann der Stadt, ob Reiter denn nicht doch Zeit hätte, Kockel würde sich so darauf freuen. Und ein paar Mails später steht nun an diesem verregneten Vormittag unten eine schwarze Limousine mit Blaulicht auf dem Dach und oben ein OB mit Geschenken in der Hand. Blumen, natürlich, aber auch ein Karton in den Farben Münchens. Was schenkt man jemandem, der so alt ist und mutmaßlich alles hat, was er braucht? Keine Porzellanfigur, lieber einen kleinen Fresskorb.

Ein Fresskorb als Geschenk. (Foto: Robert Haas)

Bei Kockel ist es so: Sie hört wie eine 30-Jährige, braucht keine Hörgeräte, sie sieht nur nicht mehr gut und ist ansonsten ziemlich schlagfertig und guter Dinge. Sie bietet das kleine Buffet, das die Verwandten vorbereitet haben, den Gästen an, und hört ansonsten Reiters kleiner Rede zu, in der es auch um seine Mutter geht. Die sei 94 und lebe ebenfalls noch in ihrer eigenen Wohnung in Sendling, sagt Reiter. Und da steht sie dann schon im Raum, die Frage, wie alt man eigentlich werden will. Wenn man Kockel so anschaut, ist 100 auf jeden Fall ein schönes Alter. Sie sagt: "100 ist ok, aber 200 nicht." Auch Humor hält jung. "110 geht aber doch locker", sagt Reiter, und als sie mit dem Kopf schüttelt, geht er beim Feilschen etwas runter: "A bissl was geht doch noch". Dabei ging ja schon so viel.

Kockel wurde in der Pettenkofer Straße geboren, Hausgeburt, sie wuchs in München auf, war ihr ganzes Leben hier. "Das war kein eintöniges Leben, ich musste mich immer wieder neu engagieren." Ventile schraubte sie in einer Fabrik während des Krieges zusammen, später war sie Sekretärin bei einer Versicherung, bis sie ihren Mann kennenlernte.

305 Münchner sind älter als 100 Jahre, vor allem Frauen

Kockel ist längst nicht die einzige 100-Jährige in München, die Zahl derer ist gut dreistellig. Sie ist aber wahrscheinlich eine der hartnäckigsten, wenn es darum geht, den Besuch des OBs einzufordern. Die Statistik von Dezember 2023 weist 305 Münchnerinnen und Münchner aus, die mehr als 100 Jahre alt sind. Vor allem Münchnerinnen, Männer sind es nur 65.

Ein Rückblick auf 100 Jahre von einer Hundertjährigen? Packt Kockel locker in einen Satz: "Hat den Krieg überstanden und fertig aus." Sechs Jahre aus 100, die alles bis heute überlagern. Und sonst? Bergsteigen war sie gerne, überhaupt hat sie gerne Sport getrieben. Und gekocht. Mittlerweile verlässt Kockel das Haus nicht mehr, ihre Verbindung nach draußen ist das Radio. Viel hören, am Leben teilnehmen, mit den Nichten telefonieren, das hält am Leben. Und dazu trinkt sie täglich ein Bier, was in Bayern ja in manchen Kreisen auch als gesundheitsfördernd gilt. Kockel sieht sich um, das schöne Wohnzimmer mit Schränken, Sofas, Vitrinen und vielen Blumensträußen an diesem Tag, schaut raus und sagt: "Ich hab' den Rohbau hier ja schon gesehen." Seit 60 Jahren wohnt sie hier, mehr als ein Vierteljahrhundert auch alleine. Ihr Mann starb früh, das Paar hat keine Kinder.

Reiter muss dann nach einer Viertelstunde weiter, aber er verabschiedet sich mit den Worten: "Wir machen jetzt ein jährliches Rendezvous aus, ich komme jedes Jahr zu Ihrem Geburtstag." Wer weiß, ob Kockel mit dieser Aussicht, viel Radio, netten Nachbarn und einem Bier am Tag die 107 nicht doch knackt.

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