Null Acht Neun:Falten und Frohnaturen

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Das Plakat. (Foto: Christian Mayer)

Es gibt Münchner, die erstaunlich gut durch die Pandemie kommen. Das erkennt man unter anderem am Ibiza-Teint und Perlweiß-Lächeln auf Wahlplakaten

Glosse von Christian Mayer

Es gibt Münchner, die erstaunlich gut durch die Pandemie gekommen sind, sie wirken irgendwie wacher als zuvor, fast wie nach einem langen Urlaub auf einer Mittelmeerinsel. Frisch geimpft, braun gebrannt und blendend gelaunt tauchen sie im Biergarten oder im Büro wieder auf, als sei die vergangenen Monate nichts geschehen. Bei der Erwähnung von Reizworten wie "Inzidenz" oder "Lauterbach" können sie sich ein feines Lächeln nicht verkneifen, denn für Ende Juli haben sie schon die nächste Reise gebucht, und sowieso, muss man ja alles nicht so ernst nehmen. Und dann gibt es die zweite Gruppe: jene Großstadtbewohner, die im Corona-Jahr einiges durchgemacht haben und bei Begriffen wie "Wechselunterricht" und "Vierte Welle" nervöse Zuckungen kriegen, zusätzlich zu den pandemischen Sorgenfalten, Frustbeulen und Haltungsschäden.

Es ist ganz offensichtlich, zu welcher Gruppe mein alter Bekannter Wolfgang Stefinger gehört. Er hat sich super gehalten, das muss man ihm lassen; so dynamisch hatte ich ihn gar nicht in Erinnerung. Der Stefinger ist ja jetzt mit 36 im allerbesten Mannesalter, wurde auch Zeit, nachdem er schon seit 2013 im Bundestag sitzt, endlich wird er nicht mehr mit seinem eigenen Schülerpraktikanten verwechselt. Auf den neuen Wahlplakaten schaut er wirklich atemberaubend gesund aus, mit einem perlweißen Lächeln, stechend blauen Augen, prächtigem Haupthaar und einem eher für die südlichen Münchner Stadtviertel typischen Ibiza-Teint, obwohl der Stefinger sich fast noch lieber im Oman herumtreibt, wo ein gnädiger Sultan darauf achtet, dass wichtige Staatsgäste aus München-Ost auf ihre Kosten kommen.

Jeden Tag fahre ich jetzt wieder, wie vor vier Jahren, an den Dr.-Stefinger-Plakaten vorbei. Dabei frage ich mich nie, wofür der Kandidat eigentlich steht; ob er sich der digitalen Zukunft, dem Kampf gegen Miethaie, der Besteuerung von Superreichen oder wie der Kollege Florian Post der Sprechblasen-Reduzierung verschrieben hat - wobei bei Post die Falten nicht von der Pandemie, sondern vom ständigen Ärger mit der eigenen Partei, der SPD, kommen. Stefinger steht für Stefinger, das ist doch klar.

So was wie Sprechblasen hat der Kandidat gar nicht nötig, einer Frohnatur wie ihm reicht als Botschaft ein Lächeln, das sich vom Bogenhausen bis Berg am Laim erstreckt. Und wohin geht die Reise jetzt noch mal, nach Berlin oder ans Mittelmeer? Das sehen wir dann im September.

© SZ vom 03.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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