Kritik:Pianopoesie

Nikolai Tokarev und das Münchener Kammerorchester im Prinzregententheater.

Von Klaus P. Richter

77 lange Takte muss der Pianist in Chopins f-Moll Klavierkonzert warten, bis er endlich seinen Fanfarenakkord ins Orchester donnern darf. Obwohl Chopin, der noble Klavierromantiker viel lieber Solitäre für den Flügel dichtete, als für opulentes Orchester. Aber so konnte das Münchener Kammerorchester in seiner Matinee im Prinzregententheater einen sensiblen Klangteppich für Nikolai Tokarev bereiten, nachdem es zuvor mit drangvollem Schostakowitsch brilliert hatte, vor allem violinistisch durch Konzertmeisterin Yuki Kasai.

Aber auch Tokarev ging den ersten Satz des Chopin-Konzerts mit größter Sensibilität an. Geprägt von der berühmten Moskauer Gnessin-Schule, einer Kaderschmiede klavieristischer Weltelite, ließ er sich im "Maestoso" nicht zu russischer Klavierpranke verleiten, sondern verwandelte alle Virtuosität in Poesie. Denn obwohl das Konzert vom erst 19-jährigen Chopin stammt, enthält es viel mehr technische Spitzfindigkeiten als das e-Moll Konzert - vielleicht um sich in der damaligen Klaviermania von Liszt bis Hummel zu legitimieren. Die spielte Tokarev vor allem im Finalsatz aus, einem fulminanten Vivace-Rondo über eine polnische Krakowiak-Tanzmelodie. Im zauberischen Larghetto aber vertiefte er sich inbrünstig in As-Dur Lied-Kantabilität und die irisierenden Harmoniewechsel.

Das wahre poetische Kabinettsstück lieferte er aber mit der Zugabe, einer Bearbeitung des e-Moll Präludiums aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, Teil I. Er nützte alle dynamischen Subtilitäten und Abtönungen des Steinway-Klavierklangs, um die Sechzehntel-Perlenketten des Diskants zu beseelten Arabesken auszuspinnen: das barocke Potenzial, entfaltet zu zeitlos-kantabler Lyrik. Lyrisches Sentiment ganz anderer Art brachte dann noch Tschaikowskys Serenade für Streichorchester C-Dur. Aber auch hier gab es viel geigerische Brillanz, vollendet serviert vom MKO.

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