Neuperlach:Rigoros durchgezogen

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Der Stadtrat stellt die Weichen für die Bebauung des Siemens-Parkplatzes. Anwohner und lokale Politiker sind fassungslos: Eine einmalige Chance auf bezahlbare Wohnungen sei vertan worden

Von Hubert Grundner, Neuperlach

Nördlich des Otto-Hahn-Rings in Neuperlach wird in den nächsten Jahren ein neues Wohnquartier mit bis zu 750 Wohnungen entstehen. Der Stadtrat hat am Mittwoch den Eckdaten- und Aufstellungsbeschluss dazu gefasst, der gleichzeitig grünes Licht für den städtebaulichen und freiraumplanerischen Wettbewerb gibt. Der Beschluss fiel gegen die Stimmen von Grünen, Bayernpartei, ÖDP und der zwei CSU-Stadträtinnen Anja Burkhardt und Beatrix Burkhardt. Abgelehnt worden war zuvor der Änderungsantrag der CSU, der die Zahl der Wohnungen auf maximal 600 beschränken wollte. Ebenso fiel der Vorschlag der Bayernpartei durch, der für das Gebiet eine Grenze der Bebauung bei Erdgeschoss plus maximal vier Obergeschosse eingezogen hätte.

Laut Rathaus-Pressestelle sollen die Bürgerinnen und Bürger bereits vor dem Architekten-Wettbewerb zu einer Informationsveranstaltung eingeladen werden, um eigene Anregungen und Hinweise beizusteuern. Das Planungsgebiet wurde bisher großteils als Parkplatz der südlich des Otto-Hahn-Rings ansässigen Firma Siemens genutzt. Mit dem Wettbewerb soll ein zeitgemäßer Wohnstandort entwickelt werden. Neben Wohnungen sind Angebote zur Versorgung und Gastronomie sowie nicht störende gewerbliche Nutzungen geplant, soziale Einrichtungen sowie Grün- und Freiflächen.

Ziemlich enttäuscht von der Stadtratsentscheidung zeigte sich die Fraktion von Grünen/Rosa Liste. Sie monierte, die schwarz-rote Mehrheit habe "es heute abgelehnt, frühzeitig für zusätzliche städtische Wohnbauflächen im Areal Carl-Wery-Straße und Otto-Hahn-Ring zu sorgen". Anders als von den Grünen/Rosa Liste beantragt und vom Planungsreferat in der Beschlussvorlage als Prüfauftrag vorgesehen, werde der Otto-Hahn-Ring nicht in den Umgriff des Bebauungsplans einbezogen. Grünen-Stadtrat Herbert Danner kritisiert das: "Der Otto-Hahn-Ring ist an dieser Stelle völlig überdimensioniert. Mit 35 Metern ist er fast doppelt so breit wie die Maximilianstraße. Eine derartige Breite ist für die Abwicklung des Verkehrs nicht notwendig." Dort dränge sich eine veränderte Nutzung auf: Mit einer Verschmälerung der Straße könnte eine Fläche in beträchtlichem Umfang dem städtischen Wohnungsbau - bezahlbar und auf Dauer - zugeschlagen werden. Doch Danner bedauert: "Diese Gelegenheit wurde fürs erste verpasst."

Regelrecht fassungslos haben Lokalpolitiker und Anwohner auf die Weichenstellung für das Gebiet nördlich des Otto-Hahn-Rings reagiert. So teilt der Vorsitzende des Bezirksausschusses Ramersdorf-Perlach, Thomas Kauer (CSU), mit: "Die mehrheitliche Entscheidung des Stadtrats, die Eckdaten des Aufstellungsbeschlusses unverändert zu lassen, ist für mich nicht nachvollziehbar." Es fehlten Antworten auf Fragen der Schulversorgung, der Gesamtperspektive für Neuperlach Süd und auf viele weitere Fragen von Anwohnern. Niemand sei dort gegen Wohnungsbau gewesen, aber nun drohe "aus Einfältigkeit ein weiteres gesichtsloses Zweckwohnquartier an einer Stelle, wo Potenzial gewesen wäre für echte zukunftsgerichtete Stadtplanung". Kauer fügte hinzu: "Diejenigen Stadträte, die den Beschluss heute befürwortet haben, müssen sich aber fragen lassen, welche Bedeutung für sie örtliche Belange haben."

In einer gemeinsamen Erklärung von Anwohnern heißt es, sie empfänden es als empörend und undemokratisch, dass sich CSU und SPD im Stadtrat mit ihren Anträgen nicht ernsthaft auseinandergesetzt und auf die Bebauung im Umfeld keine Rücksicht genommen hätten. "Weshalb die CSU-Fraktion, die immerhin eine Begrenzung der Höhenentwicklung der Hochpunkte auf 30 Meter, der Geschossfläche auf maximal 70 000 Quadratmeter sowie auf maximal 600 Wohnungen erreichen wollte, trotzdem der weitergehenden Beschlussvorlage mit den Eckdaten des Planungsreferats (45 Meter, 80 000 Quadratmeter und 750 Wohnungen) zugestimmt hat, können wir nicht nachvollziehen." Etwas anderes aber glauben die Anwohner sehr wohl verstanden zu haben: "Bei Ausschöpfung der beschlossenen Eckdaten erfährt das Grundstück - zusätzlich zum vorhandenen Baurecht aus dem Gesamtareal - über das neue Baurecht eine Wertsteigerung von wenigstens 280 Millionen Euro, und der Investor bekommt die Möglichkeit, auf dem Straßenbegleitgrün eine Immobilie im Wert von mehr als 1,5 Milliarden Euro zu errichten", rechnen sie vor. Die Stadt verliere die Chance auf 600 bis 700 bezahlbare Wohnungen, die fast zum Nulltarif zu erhalten gewesen wären, und erhalte nach der Sozialgerechten Bodennutzung lächerliche 225 fristgebundene Sozialwohnungen sowie 75 im Preis gedämpfte Wohnungen.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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