Neuperlach:Forschen über das Gangster-Image

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Ghetto und Gewalt - so zeigen die Medien Neuperlach. Sehen die Bewohner dies genauso? Eine Ethnologin hat nachgefragt.

H. Schwarzenbeck

Veronika Knauer ist 28 Jahre alt, hat gerade ihren Magister in Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität gemacht. Sie hat sich im Rahmen eines Lernforschungsprojektes des Instituts für Volkskunde mit dem Image von Neuperlach auseinandergesetzt. Ihr Aufsatz "Learning Ethnicity - Oder: Wie nehmen die Bewohner Neuperlachs ihre multikulturelle Wohnsituation wahr?" erscheint zusammen mit acht weiteren Studien über Migration in München im Sammelband "München migrantisch - migrantisches München", der am Montag Abend in der Glockenbachwerkstatt vorgestellt wird.

Veronika Knauer ist selbst in Neuperlach aufgewachsen und findet die Vorurteile gegenüber dem Viertel völlig übertrieben. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Neuperlach - da denken die meisten Münchner an Plattenbauten und soziale Probleme. Was ist Ihr Eindruck von dem Viertel?

Veronika Knauer: Ich bin dort aufgewachsen, lebe aber mittlerweile woanders. Die Vorurteile gegenüber Neuperlach sind völlig übertrieben. Als ich dort gelebt habe, hatte ich nie das Gefühl, dass man besonders viel Angst haben muss. Und im Vergleich zu anderen Vierteln habe ich den Stadtteil nie als "anders" empfunden. Jedes Viertel hat eben seine Eigenheiten.

sueddeutsche.de: Dann wären Sie nicht lieber woanders aufgewachsen?

Knauer: In Neuperlach aufzuwachsen war schön, aber ich kann nicht sagen, ob es besser oder schlechter war als in einem anderen Stadtteil. Auf jeden Fall gab es dort am Stadtrand viele Parks und viel Platz zum Spielen.

sueddeutsche.de: Wie reagieren Sie, wenn Sie jemand blöd anredet, weil Sie aus Neuperlach kommen?

Knauer: Das kommt ganz darauf an, was derjenige sagt. Aber wenn Leute nur irgendeinen Blödsinn nachplappern, den sie irgendwo aufgeschnappt haben, habe ich meistens gar keine Lust darüber zu diskutieren. Das meiste nehme ich nicht persönlich. Dafür mit Humor.

sueddeutsche.de: Weshalb sind Sie aus Neuperlach weggezogen?

Knauer: Ich wollte einfach weiter ins Zentrum der Stadt und bin mit einer Freundin zusammengezogen.

sueddeutsche.de: Fühlen Sie sich als Neuperlacherin?

Knauer: Ich hab mich noch nie wirklich als Neuperlacherin gefühlt. Genauso wenig wie als Maxvorstädterin oder als Schwanthalerhöherin, wo ich danach gewohnt habe. Ich fühle mich einfach als Münchnerin.

sueddeutsche.de: Weshalb haben Sie einen Aufsatz über das Image von Neuperlach geschrieben?

Knauer: In den Medien wird Neuperlach immer als Problemviertel oder sozialer Brennpunkt mit einer hohen Kriminalität dargestellt, die auf den hohen Ausländeranteil zurückgeführt wird. Ich wollte herausfinden, wie die Neuperlacher selbst ihr Viertel wahrnehmen, welche Rolle für sie Herkunft spielt und wie sie das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe selbst erleben und bewerten.

sueddeutsche.de: Wen haben Sie befragt?

Knauer: Für meine Studie haben sich Sportvereine und Schulen besonders angeboten. Dort habe ich mich dann mit Kindern und älteren Bewohnern über das Viertel unterhalten.

sueddeutsche.de: Wie erleben die Kinder das multikulturelle Viertel?

Knauer: Ich habe eine vierte Klasse beim Unterricht beobachtet und sie kurze Aufsätze schreiben lassen zum Thema "Mein bester Freund oder meine beste Freundin". Das Ergebnis war überraschend: Die Kinder denken überhaupt noch nicht in den Kategorien "Ausländer - Deutsche" oder "Wir - Die", wie die Älteren.

sueddeutsche.de: Wann ändert sich diese Sichtweise?

Knauer: Diese Kategorien werden durch die Schule, die Eltern und die Medien erst erzeugt. Gerade durch den Lehrplan werden solche Denkweisen sehr stark vermittelt: Hier wird oft von "den deutschen Kindern" und "den ausländischen Kinder" geredet, wenn auch meist im Zusammenhang mit Integration. Da heißt es dann "Wir müssen die ausländischen Kinder integrieren" oder es werden Themen diskutiert wie "Welche Kultur haben 'Die', welche Kultur haben 'Wir'?".

sueddeutsche.de: Welches Bild haben die älteren Bewohner von Neuperlach?

Knauer: Auch wenn die Leute das durch die Medien vermittelte Bild Neuperlachs als sozialer Brennpunkt ablehnen und der Meinung sind, dass es mit Ausländern keine Probleme gibt - die Kategorien "Wir - die Anderen" sind in den Köpfen der Menschen fest verankert. Zum Beispiel habe ich mit einer Versicherungskauffrau, Mitte 20 geredet, die in ihrer Jugend ihre Freizeit mit ihren Freunden auf dem Sportplatz verbracht hat. Sie war sehr stark in Neuperlach verwurzelt und schätzte an ihrem Viertel besonders, dass man in einer Clique ist und Zusammenhalt erlebt, dass man sich von Innen gegen Außen wehrt. Sie meinte, dass in ihrem Freundeskreis Herkunft keine Rolle gespielt hat. Trotzdem war bei ihr immer die Rede von "den Ausländern" und "den Deutschen".

Eine Book-Release Party findet am Montag, den 8. Februar um 18 Uhr in der Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, statt.

Veronika Knauer: "Learning Ethnicity - Oder: Wie nehmen die Bewohner Neuperlachs ihre multikulturelle Wohnsituation wahr?" In: Sabine Hess, Maria Schwertl (Hg.): "München migrantisch - migrantisches München". Herbert Utz Verlag München, 2010.

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