Neuperlach:Die Zukunft ist eine Baustelle

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An einer 200 Meter langen Absperrung entlang der Fritz-Schäffer-Straße entwirft ein Künstler-Ensemble fantasievolle und nachdenkliche Antworten auf die Frage, wie städtischer Raum einmal aussehen könnte

Von Katja Gerland, Neuperlach

"Das knallt richtig", da hat Robert Posselt schon recht, wenn er den Bauzaun an der Fritz-Schäffer-Straße beschreibt. Quietschgelb steht er dort im Norden von Neuperlach und trennt ein kalkweißes von einem mausgrauen Gebäude. Auf dem auffälligen Untergrund sind bunte Kunstwerke zu sehen, manche im klassischen Graffiti-Stil, manche erinnern eher an detaillierte Wandgemälde. Und so ist es kein Wunder, dass vorbeiziehende Menschen ihrem ersten Blick auf den leuchtenden Bauzaun noch einen zweiten folgen lassen, stehen bleiben und ein Foto mit dem Smartphone schießen. Und fast jedem Passanten steht die Neugier ins Gesicht geschrieben: Was hat es auf sich mit der Bauzaunkunst?

Wenn man Posselt diese Frage stellt, hat er die Antwort sofort parat. Er wohnt selbst im Viertel und findet: "Neuperlach muss bunter werden." Als Teil des Künstlerkollektivs "Der blaue Vogel" hat er schon einigen tristen Flächen in München Farbe verliehen, meist in Form von Graffiti. Der Moosacher Kunsttreff, die Kletterwand an der Theresienwiese und die Pfeiler der Brudermühlbrücke hat das Künstlerkollektiv in den vergangenen Jahren geschmückt. Deshalb ist es wohl nur konsequent, dass sie nun auch in Neuperlach Pinsel und Spraydosen schwingen.

An der 200 Meter langen Fläche arbeiten internationale Künstler ebenso wie Neuperlacher, erfahrene Sprayer ebenso wie Kreative aus anderen Sparten. (Foto: Florian Peljak)

Mit dem Bauzaun hat das Kollektiv regelrecht ein Großprojekt ausgesucht. 200 Meter zieht sich die Absperrung um einen ehemaligen Allianz-Standort, den die Immobilienfirma Hines erworben hat. Schon im Juli trat Posselt mit seiner Idee, den Zaun künstlerisch zu nutzen, an die Firma heran - mit Erfolg. Die erlaubte nicht nur die Arbeit am Bauzaun, sondern stellte dem Künstlerkollektiv auch ein Budget bereit und strich den Zaun in dem knallgelben Ton, in dem er heute an der Fritz-Schäffer-Straße steht. Im Gegenzug gab Hines das Thema vor, mit dem sich die Künstlerinnen und Künstler nun in ihren Bauzaun-Gemälden auseinandersetzen: "Die Stadt der Zukunft" sollten sie mit Pinsel und Spraydose an den Zaun malen. Zwangsläufig, sagt Posselt, komme dann auch das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel. Und so findet man nun ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie der städtische Raum künftig aussehen könnte.

"Auf den zweiten Blick entdeckt man hier tiefsinnige Gedanken", sagt Posselt, während er am Bauzaun entlanggeht. Zehn bis zwölf Meter, erklärt er, habe jeder Künstler zur Verfügung, um seine Ideen auf die Fläche zu bringen. Mit dabei sind aber nicht nur die Mitglieder des Kollektivs - ganz bewusst, wie Posselt erklärt: "Wir wollten nicht nur unsere drei Homies aus der Graffiti-Szene." Vielmehr solle das Ensemble aus Künstlerinnen und Künstlern ganz divers daherkommen und "Leute zusammenbringen". Deshalb pinseln und sprayen nun Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund an dem Bauzaun. Neuperlacher und internationale Künstler, erfahrene Sprayer und Kreative aus anderen Sparten, Männer und Frauen, Ältere und Jüngere. Und so kann man Posselt wohl zustimmen, wenn er schlussfolgert: "Das haben wir gut hinbekommen."

Eine Hommage an den Film "Zurück in die Zukunft" hat Robert Posselt vom Künstlerkollektiv "Der blaue Vogel" auf den Bauzaun gesprüht. (Foto: Florian Peljak)

So unterschiedlich, wie sich das Ensemble zusammensetzt, sehen auch die Entwürfe für die Stadt der Zukunft aus. Utopische Vorstellungen reihen sich an Werke, die durchaus realistisch daherkommen. Etwa in der Mitte des Bauzauns trifft man auf Richard Schleich, der gerade seinen Abschnitt weiter bemalt. Als Architekt hat er sich sein Leben lang mit Baukunst beschäftigt. Nun arbeitet er nur noch halbtags in seinem bisherigen Beruf und tobt sich die restliche Zeit anderweitig künstlerisch aus. Für das Projekt des Kollektivs malt er zum ersten Mal im großen Stil. "Das war schon eine Herausforderung, erst einmal vor zwölf Metern Gelb zu stehen", sagt Schleich. Die "zwölf Meter Gelb" hat der Architekt mit einer schwarzen Münchner Silhouette versehen. Für ihn sei es die Stadt der Engel, deshalb finden sich die Flügel der berühmten Münchner Figuren, etwa des Friedensengels, auch in seiner Zukunftsvision wieder.

Etwas weiter hat einer der Künstler eine außergewöhnliche Lösung für den Platzmangel in der Stadt an den Zaun tapeziert. In seiner Vorstellung werden zukünftig verlassene Bohrinseln auf hoher See besiedelt und begrünt. Und auch Robert Posselt hat seine Zukunftsvision gesprayt: Als Hommage an den Film "Zurück in die Zukunft" ist dort ein fliegendes Auto zu sehen. Anders als bei Marty McFly stößt Posselts Fahrzeug jedoch ausschließlich Sauerstoff aus, die Bläschen schimmern auf seinem Wandgemälde und bereichern die städtische Luft. Realistisch ist das wahrlich nicht, das gibt Posselt schon zu. "Aber das ist ja das Schöne am Künstlerdasein, ich kann machen, auf was ich Bock habe."

In anderen Graffiti geht es um Umweltzerstörung, Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit. (Foto: Florian Peljak)

Etwa zwei Jahre, sagt Posselt, sei der Zaun noch an der Fritz-Schäffer-Straße zu sehen. Was dann mit den Werken der Künstler geschieht, ist unklar. Eine Broschüre mit Fotos des Bauzauns könne er sich gut vorstellen. Und auch eine Ausstellung mit einzelnen Abschnitten, die man herausbrechen könnte, sei eine Überlegung wert. In jedem Fall wird man die Ideen von Posselt und seinen Künstlerfreunden auch in Zukunft in München entdecken - beim nächsten Projekt des "blauen Vogels".

© SZ vom 01.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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