Neuperlach:Ärger im grünen Bereich

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Sieht aus wie ein einfacher Parkplatz - ist es aber auch einer? Für die Bebauung des Siemens-Areals könnte diese Frage entscheidend sein. (Foto: Florian Peljak)

Ein Investor will auf dem Siemens-Parkplatz nördlich des Otto-Hahn-Rings Hochhäuser mit 750 Wohnungen errichten. Eine Bürgerinitiative wirft der Stadt vor, das Areal auf fragwürdiger Rechtsgrundlage zu verschleudern. Sie hält es für eine Schutzzone, die gar nicht bebaut werden darf

Von Hubert Grundner, Neuperlach Süd

"München gehört uns allen. Nicht den Spekulanten." So steht es auf einem Plakat und auf einem anderen heißt es: "Mieter stärken. Spekulanten stoppen." Die aktuellen Wahlkampf-Slogans von SPD und Oberbürgermeister Dieter Reiter kommen vermutlich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern gut an. In den Ohren von Florian Andres, Reinhardt und Ilse Mauser, Erwin Jäger, Theodor Pater und Felix Jahn hingegen dürften sie eher wie Hohn klingen: Die Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Otto-Hahn-Ring und mit ihnen mehr als 700 Unterstützer sind enttäuscht und fühlen sich getäuscht. Das haben sie jetzt in einem Schreiben an die Rathausfraktionen deutlich gemacht.

Enttäuscht sind die BI-Mitglieder, weil sie ihr prinzipielles Verständnis für die Zwangslage der Stadt, Wohnraum zu schaffen, und ihre konstruktiven Vorschläge dazu nicht honoriert sehen. Und getäuscht fühlen sie sich durch die Art und Weise, wie OB Reiter und Stadtbaurätin Elisabeth Merk am 2. Oktober 2019 im Stadtrat den Eckdatenbeschluss zur geplanten Bebauung des Siemens-Areals nördlich des Otto-Hahn-Rings zur Abstimmung gebracht haben - er wurde mit Mehrheit der Stimmen verabschiedet. Dem Eigentümer des Areals, das als Parkplatz dient, der HIH Real Estate GmbH aus Hamburg, soll dadurch der Weg geebnet werden, auf rund acht Hektar 750 Wohnungen zu errichten.

Dazu sagen wiederum viele Bewohner der Siedlung, die sich nördlich des Parkplatzes bis zur Putzbrunner Straße erstreckt, entschieden Nein. Aber nicht etwa, weil sie gegen den Bau von Wohnungen an sich sind, sondern weil nach den bislang vorliegenden Plänen auf die im Umfeld vorhandene Bebauung keinerlei Rücksicht genommen würde. Und zweitens wirft die BI Oberbürgermeister und Stadtbaurätin vor, die Chance zu verspielen, dass die Stadt dort selbst Wohnraum schafft. Stattdessen würde auf fragwürdiger Rechtsgrundlage einem Investor durch die absehbaren Bodenwertsteigerungen ein Spekulationsgewinn in Höhe von geschätzt 300 bis 500 Millionen Euro ermöglicht.

Doch der Reihe nach. Das Schreiben der BI an die Stadträte führt diese zum Teil in das oft nur schwer durchschaubare Dickicht von Verwaltungsvorschriften und Baugesetzen. Zur Orientierung empfiehlt sich daher, stets den Ausgangspunkt im Auge zu behalten. In diesem Fall ist es der Bebauungsplan 57ag, auf dem die Argumentation der Bürgerinitiative fußt. Ihr zufolge musste bei der Entwicklung des Bebauungsplans für das Entwicklungszentrum für Elektrotechnik in den Siebzigerjahren zwischen dem Gewerbegebiet und dem Reinen Wohngebiet im Norden ein ausreichender Abstand gewahrt werden.

Siemens wurde aber gestattet, die für das Entwicklungszentrum erforderliche Baumasse in verdichteter Form auf dem Teilgrundstück südlich des heutigen Otto-Hahn-Rings zu realisieren. Im Gegenzug war nach dem Verständnis der BI die Fläche nördlich des Otto-Hahn-Rings gewissermaßen als Kompensationsfläche von jeglicher Bebauung freizuhalten und als begrünte Schutzzone zum Wohngebiet hin anzulegen, zu pflegen und dauerhaft zu erhalten. Nachzulesen sei dies unter Paragrafen 2 des Bebauungsplans 57ag. Leider sei der Textteil den Stadträten vorenthalten worden, so die BI. Innerhalb der begrünten Schutzzone durfte Siemens aber den Parkplatz für seine Beschäftigten anlegen.

Des weiteren wurde verfügt, zwischen dieser Stellplatzanlage und dem Wohngebiet einen zwei bis vier Meter hohen Lärmschutzwall anzulegen. Darüber hinaus sei im Flächennutzungsplan entlang der Siedlung ein schmaler Streifen als öffentliche Grünzone ausgewiesen. Bei der BI ist man jedenfalls davon überzeugt, dass diese begrünte Schutzzone nicht so ohne weiteres zu beseitigen ist. Mitglieder haben deshalb in der Bürgerversammlung vom 28. Mai 2019 erfolgreich den Antrag gestellt, die Stadt möge kurzfristig durch die Regierung von Oberbayern überprüfen lassen, ob der vorhandene rechtsgültige Bebauungsplan aufgrund der besonderen Rechtslage überhaupt geändert werden kann. Ob die Stadtverwaltung ihrer Bitte nachgekommen ist, wissen die BI-Mitglieder aber bis heute nicht. Sie drängen deshalb jetzt die Stadträte, diese Überprüfung zu veranlassen. Denn für die Kritiker des Projekts ist das der Dreh- und Angelpunkt: Nach ihrer Rechtsauffassung ist der Siemensparkplatz Nord ohne Änderung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans 57ag nicht bebaubar und "nicht einmal als Bauerwartungsland einzustufen".

Aus Sicht der BI stellt sich deshalb die Situation so dar: Das Planungsareal ist in seinem Status gleichzusetzen mit einer öffentlichen Grünfläche. Wenn aber nun einmal die Stadt die begrünte Schutzzone unbedingt bebauen wolle, dann solle sie sich doch die baurechtlichen Gegebenheiten wenigstens zunutze machen - für eine "perfekte Bodenpreis-Bremse". Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Die Bürgerinitiative empfiehlt der Stadt, den Ist-Zustand beizubehalten und die weitere Entwicklung auszusitzen. Denn mit dem bisherigen Baurecht verlöre der Parkplatz für den Investor praktisch allen Anreiz. Ein Verkauf würde somit wahrscheinlich - und zwar an die Stadt, weil nur der Stadtrat in der Lage ist, das Baurecht zu ändern, um dann in städtischer Regie selbst zu bauen. Bis zu rund 2400 nachhaltig bezahlbare Wohnungen ließen sich auf diese Weise schaffen, glaubt man bei der BI.

Stattdessen komme der Investor in den Genuss einer Bodenwertsteigerung von wenigstens 300 Millionen Euro und zu einer Wohn- und Gewerbeimmobilie im Gesamtwert von geschätzt 3,5 Milliarden Euro. Als Gegenleistung des Investors winken der Stadt nach den jetzigen Plänen 225 Sozialwohnungen nach der sozialgerechten Bodennutzung und 75 sogenannte preisgedämpfte Mietwohnungen, allerdings nur für den Zeitraum der Sozialbindung. Die BI kritisiert dies als einseitige Begünstigung des Investors, die ausschließlich zu Lasten der Menschen in der Kleinsiedlung im Norden des Parkplatzes geht, und natürlich zu Lasten aller Münchner Bürger.

Abschließend lohnt auch ein Blick auf das von der Stadtbaurätin dem Investor in Aussicht gestellte Baurecht. Bei den vorgesehenen Bauhöhen - an manchen Stellen laut BI mehr als 55 Meter - bezieht sich Merk auf Paragraf 34 Baugesetzbuch, der die Umgebungsbebauung zum Vergleichsmaßstab macht. Nun ist aber das Planungsareal, also der Siemensparkplatz, im Westen, Norden und Osten von einer zweigeschossigen Bebauung umgeben. Somit verbleibe ihr, wie die BI dazu anmerkt, als einziger Bezugspunkt, und nur aus dem weiteren Umfeld südlich des Otto-Hahn-Rings, die Siemens-Denkfabrik selbst. Womit man an den Anfang der Betrachtung zurückgekommen wäre: Die verdichtete Bebauung auf dem Gelände des Entwicklungszentrums, für die im Gegenzug der Schutz des Grünstreifens verlangt worden war, soll nun den Bau möglichst hoher Betonburgen erlauben, unter denen genau dieses Grün begraben wird.

Eine Bitte der SZ um Stellungnahme zur Kritik der BI hat OB Reiter nicht selbst beantwortet, sondern an das Planungsreferat weitergereicht. Dessen Antworten enthalten nichts zu Spekulationsgewinnen des Investors durch erwartbare Bodenwertsteigerungen und die möglicherweise von der Stadt leichtfertig vergebene Chance, selbst nachhaltig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Stattdessen erklärte das Referat, dass es sich bei dem Areal um keine Kompensationsfläche, sondern um einen Stellplatzbereich handele. Allerdings geht die Behörde nicht auf den zum Bebauungsplan 57ag gehörenden Textteil ein. Gleiches gilt für die Forderung der Bürger, vor dem Eckdatenbeschluss die Regierung von Oberbayern prüfen zu lassen, ob eine Änderung des Bebauungsplans 57ag überhaupt rechtmäßig ist. Denn das sei für die BI entscheidend, wie ein Sprecher sagt: "Der Bebauungsplan 57ag soll von einer neutralen Stelle geprüft werden, das ist unser sehnlichster Wunsch. Und das Ergebnis soll den Stadträten vorgelegt werden."

© SZ vom 11.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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